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Spaziergänge ins Jenseits. Paul Rosenhayn
Читать онлайн.Название Spaziergänge ins Jenseits
Год выпуска 0
isbn 9788711592618
Автор произведения Paul Rosenhayn
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Vor etwa einem halben Jahre erschien bei einem Pfarrer in einer schottischen Kleinstadt eine Dame. Herr Y. sei krank und sehne sich nach geistlichem Zuspruch. Sie habe ihren Wagen draussen stehen; der Pfarrer würde ein gutes Werk tun, wenn er sofort mitkäme. Er kam der Bitte nach. Die Dame kutschierte ihn an die Peripherie der Stadt und bat ihn, in jenes Häuschen zu gehen. Der Name des Herrn Y. stand an der Gartentür.
Ein Herr kam dem Pfarrer entgegen und fragte nach seinem Begehr.
„Herr Y. verlangt nach mir. Bitte führen Sie mich an sein Krankenbett.“
Der Herr schüttelte den Kopf: „Aber ich selbst bin Herr Y.; ich fühle mich wohl und munter.“
Der Parrer zuckte verständnislos die Achseln.
„Wer hat Sie denn hierher geschickt, Reverend?“
„Eine Dame. Warten Sie einmal, sie muss mit dem Wagen draussen halten.“
Die beiden gingen ans Fenster. Weder Wagen noch Dame waren zu sehen.
Nun waren beide Männer überzeugt, einem üblen Scherz zum Opfer gefallen zu sein. Der Pfarrer entschuldigte sich und ging heim.
Am nächsten Morgen wurde er von dem Mädchen des Herrn Y. aus dem Schlaf geklingelt. Die Schluchzende berichtete in stammelnder Eile, ihr Herr sei in dieser Nacht am Schlag verschieden.
Durch diese merkwürdige Prophezeiung — denn eine solche lag zweifellos vor — beunruhigt, fuhr der Pfarrer mit dem Mädchen in die Wohnung des Verstorbenen. Sein erster Blick fiel auf ein Bild, das über dem Bett des Toten hing. Zu seiner Überraschung erkannte er die Dame, die ihn gestern mit ihrem Wagen abgeholt hatte.
„Wer ist diese Frau?“ erkundigte er sich. Und das Mädchen antwortete: „Das ist die Frau des Herrn Y. Sie ist vor drei Jahren gestorben.“
Am 24. Oktober 1850 schrieb Justinus Kerner an A. Schurz, Lenaus Schwager und Biographen:
„Wie locker und leicht beweglich Lenaus Nervengeist war — was bei dem Somnambulen zum zweiten Gesicht, zum Sichselbstsehen, zum Aussichheraustreten Veranlassung gibt und was auch bei Goethe und vorzüglich bei Lord Byron der Fall war —, beweist folgendes Erlebnis:
Wir sassen einmal nach dem Nachtisch, er, ich und meine Gattin, als er auf einmal im Gespräch verstummte, und als wir auf ihn blickten, sass er starr und leichenblass auf seinem Stuhl; im Zimmer nebenan aber, in dem sich kein Mensch befand, fingen Messer und Tassen, die dort auf Tischen standen, auf einmal klingende Töne zu geben an, als würde von jemand an sie geschlagen. Wir riefen: „Niembsch, was ist das?“ Da fuhr er plötzlich zusammen und erwachte wie aus magnetischem Schlaf, und als wir ihm von jenen Tönen im anderen Zimmer während seiner Erstarrung erzählten, sagte er: „Das ist mir schon öfter begegnet; meine Seele ist dann wie ausser mir.“
Hofrat Reinbeck (Stuttgart) behauptete fest, Niembsch sei einmal im Gange seines Hauses auf ihn zugekommen, zu einer Zeit, da er sich gar nicht in Stuttgart befunden habe.
Der preussische General Karl Friedrich v. Steinmetz verlor im Jahre 1854 in Magdeburg seine einzige erwachsene Tochter durch den Tod. Sie war das letzte seiner Kinder, und seine Erschütterung war so furchtbar, dass sich visionäre Zustände bei ihm einstellten. Seine Angehörigen wurden durch seine Erzählungen ausserordentlich beunruhigt — mussten aber zu ihrer eigenen Verwunderung konstatieren, dass der General mit klarer ruhiger Stimme und sichtlich ohne jede Aufregung von seinen Visionen sprach und sie in allen ihren Einzelheiten erzählte, so wie man wohl ein wirkliches Erlebnis berichtet. Bis zum Tode seiner Tochter hatte er, ein robuster Kriegsmann, sich niemals mit übersinnlichen Dingen beschäftigt; das Thema hatte ihn überhaupt nicht interessiert. Er begann nunmehr, sich Lektüre zu verschaffen, die sich mit spiritistischen Erscheinungen befasste. Und er war aufs höchste erstaunt darüber, dass die in diesen Schriften geschilderten Gesichte völlig übereinstimmten mit seinen eigenen Visionen. Der General hatte diese Erscheinungen auch während der Feldzüge (1866 und 1870/71). Allerdings wurden die Visionen allmählich ein wenig schwächer. Der General hat Tag für Tag den Besuch seiner verstorbenen Tochter erhalten; er erzählt, dass er, wenn sie die Wange an ihn geschmiegt habe, die Wärme ihres Körpers gespürt habe. Dann erschien sie eines Tages in Begleitung zweier Geschwister, die vor ihr gestorben waren, die von schemenhaften Gestalten geführt wurden. Der General hat sowohl Theodor Fontane als auch dem Schriftsteller A. E. Brachvogel diese Besuche in allen Details geschildert und dem letzteren eines Tages erzählt: seine Besuche aus dem Jenseits hätten ihm heute die Mitteilung gemacht, seine Schwägerin, die als Gast bei ihm wohnte, werde sterben. Die Voraussetzung ist pünktlich eingetroffen.
Der General, der pünktlich auf seine dienstlichen Pflichten eingestellt war, ein harter, nüchterner, allen Phantastereien abholder Soldat, hat die Erscheinungen ohne jede Sentimentalität, aber auch ohne jedes Sensationsbedürfnis als etwas völlig Reales weiter erzählt und in seinem Bericht hinzugefügt: dass es so sei, darauf gäbe er sein Ehrenwort; auf eine Erklärung müsse er verzichten.
Von einem Erlebnis seltsamer Art, das Ernst Moritz Arndt hatte, erzählt Georg v. Bunsen:
Bunsen hatte Arndt an einem Winternachmittag des Jahres 1856 in vergilbten Papieren kramend angetroffen. Auf die neugierige Frage seines Besuches erklärte Arndt, er bereite auf Wunsch seines Verlegers eine Auslese aus seinen alten Gedichten vor. Er müsse in manchen alten Winkeln suchen, die Arbeit werde voraussichtlich mehrere Jahre dauern. Bunsen sah den alten Herrn, der im 87. Lebensjahre stand, mit erstauntem Lächeln an.
„Sie wundern sich vielleicht, dass ich so freigebig auf mehrere Jahre hinaus disponiere.“
„Nun ja,“ sagte Bunsen, „ich kann es allerdings nicht leugnen.“
Arndt nickte. „Ich will es Ihnen erklären: vor einigen zwanzig Jahren träumte mir einmal, dass ich auf unserem Bonner Gottesacker wandelnd einen aufrechten Grabstein erblickte, worauf deutlich mein voller Name nebst Geburtsort, Jahr, Tag — zu lesen war. Sodann kam nach dem Wort „gestorben“ eine verwischte Zeile. Auf diese aber folgte eine andere „im 91. Lebensjahre“. Nun habe ich ja ernstlich getrachtet, jeden Tag meines Lebens auf das Abscheiden bereit zu sein. Allein seit dem Traume meine ich nun doch immer, das neunzigste Jahr überleben zu sollen.“
Ernst Moritz Arndt starb am 29. Januar 1860, im 91. Lebensjahre.
IV
Das in den folgenden Zeilen beschriebene Erlebnis verzichtet von vornherein auf den Anspruch, irgend etwas mit Spiritismus zu tun zu haben. Es dürfte vielmehr eines Tages gelingen, Erscheinungen dieser Art rein physikalisch zu erklären. Bis heute sind wir allerdings noch nicht so weit. Das Gebiet der Psychometrie wird vermutlich, so heiss umstritten es heute noch ist, in nicht zu ferner Zeit von der Wissenschaft anerkannt sein, ähnlich wie es zum Beispiel der Hypnose ergangen ist. Auch sie war, wie erinnerlich, bis vor einigen Jahren ein verlachtes Stiefkind der wissenschaftlichen Zunft, im günstigsten Falle auf den Varietébühnen geduldet. Auch zu einer Zeit, als zum Beispiel die englische Ärztewelt sich längst mit dem Rätsel des Hypnotismus auseinandergesetzt und mit seiner beim besten Willen nicht abzuleugnenden Existenz abgefunden hatte, galt es in Deutschland noch immer für ein Zeichen von Bildung, diesen ganzen Klimbim abzulehnen. Wir hinken halt immer ein bissel nach. Aber so gewiss heute die Hypnose ein wissenschaftliches Hilfsmittel des Nervenarztes geworden ist, wie die Röntgenkunst und die Vibrationsmassage, so gewiss wird es auch anderen Erscheinungen ergehen. Wenn dann also eines Tages das Rätsel der Psychometrie neben vielen anderen Rätseln gelöst und in den Erfahrungsschatz der Wissenschaft aufgenommen ist, dann werden ... nun ja, dann werden neue Rätsel am Horizont auftauchen. Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag ...!
Auf einem Gut in der Nähe von Fulda ereignete sich eines Tages ein ungewöhnlich dreister Diebstahl. Eine Stunde vor der Löhnung stellte sich plötzlich heraus, dass die bereitliegenden Löhnungsgelder gestohlen waren. Der Gutsbesitzer war persönlich mit den höheren Polizeibeamten der Hauptstadt befreundet;