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alles in Ordnung.“

      Professor Bergmeister zögerte, die Klinke schon in der Hand. „Na, dann wollen wir mal“, sagte er mit Überwindung und öffnete die Tür.

      Hinter ihm rauschte der Stab der Ärzte, Schwestern und Hospitanten in das kleine Zimmer und umringte das Bett der Patientin.

      Gunhild Wigand richtete sich aus den Kissen auf und stellte das Taschenradio ab, das auf ihrem Nachttisch stand. Sie wirkte sehr hübsch und gepflegt in einem hellblauen, mit Rüschen besetzten Nachthemd. Ihr kurzgeschnittenes Haar war kunstvoll zurechtgebürstet, der Mund zart geschminkt. Nur die Mullbinde, die sie um das linke Auge trug, störte den erfreulichen Anblick.

      „Schönen guten Morgen, Fräulein Wigand“, sagte Professor Bergmeister und reichte dem Mädchen seine schmale, kühle Hand, „Sie brauche ich wohl nicht zu fragen, wie es Ihnen geht … Sie sehen glänzend aus.“

      „Das kann ich mir eigentlich gar nicht vorstellen“, erwiderte Gunhild mit einem zitternden kleinen Lächeln, „ich fühle mich jedenfalls schauderhaft.“

      „Schlecht geschlafen?“

      „Überhaupt nicht.“

      „Die Patientin hat gestern abend zwei Schlafpulver bekommen“, berichtete die Oberschwester, die auf ihrer Medikamentenliste nachgeschaut hatte.

      „Ich habe trotzdem nicht geschlafen“, behauptete Gunhild Wigand trotzig.

      „Sie wissen sehr gut, Fräulein Wigand, daß Sie nur zu klingeln brauchen, wenn Sie …“

      Professor Bergmeister brachte die Oberschwester, eine allzu energische, aber sehr tüchtige und deshalb fast unersetzliche Frau, mit einer Handbewegung zum Schweigen.

      „Es gibt Situationen“, sagte er und nahm zart das Handgelenk der Patientin, um ihren Puls zu fühlen, „wo selbst die stärksten Medikamente nichts mehr nutzen. Gegen Seelenpein gibt es keine Medizin.“

      Gunhild Wigands gesundes Auge wurde feucht. „Daß Sie das verstehen, Herr Professor!“

      „Man braucht nicht besonders klug zu sein, um zu begreifen, wieviel Angst Sie vor dem Moment haben, der jetzt vor Ihnen liegt. Wenn Sie wollen …“

      „O nein!“ rief Gunhild impulsiv. „Nur nicht noch einmal verschieben!“

      Professor Bergmeister lächelte. „Das war es nicht, was ich vorschlagen wollte, mein liebes Mädchen. Etwas ganz anderes.“ Er wandte sich zu seinem Stab um. „Wenn Sie die Bande stört, werfe ich sie hinaus.“

      Gunhild zögerte, sagte dann: „Nicht meinetwegen, Herr Professor … wenn es so üblich ist …“

      „Allerdings.“ Professor Bergmeister zog sich einen Stuhl an den Bettrand. „Schwester Gerda, bitte schütteln Sie der Patientin mal die Kissen auf, daß sie ganz ohne Mühe aufrecht sitzen kann … und Sie, Oberschwester, entfernen bitte den Verband …“ Zu Gunhild Wigand gewandt, sagte er: „Schließen Sie bitte beide Augen … ja, beide, bis ich Sie auffordern werde, sie zu öffnen. Und seien Sie nicht erschrocken, wenn Sie mit dem operierten vielleicht vorerst nur schattenhaft sehen. Das würde gar nichts besagen.“

      Schwester Gerda ging zum Fenster, zog die goldgelben Vorhänge zu. Im Krankenzimmer herrschte jetzt ein sanftes Dämmerlicht.

      Die Oberschwester hatte begonnen, den Mullverband umständlich vom Kopf der Patientin abzuwickeln. Gunhild Wigand vergrub ihre Zähne in die Unterlippe. Es war ihr anzusehen, wie sehr sie unter der Spannung litt.

      „Schere!“ sagte Dr. Hilpert scharf.

      Die Oberschwester sah ihn kurz an, als wenn sie widersprechen wollte, dann aber fügte sie sich, nahm die große Schere, die Schwester Gerda ihr reichte, und durchschnitt mit einer einzigen Handbewegung sämtliche Schichten des Verbandes. Sie nahm den Gazetupfer ab, der das Auge verschlossen gehalten hatte.

      „Eine Sekunde!“ Professor Bergmeister legte beruhigend seine Hand auf ihre zuckenden Finger. „Haben Sie einen Unterschied gemerkt, als der Verband abgenommen worden ist!?“

      „Ja. Es ist heller geworden. Oder ich bilde es mir auch nur ein.“

      Professor Bergmeister wechselte mit seinem Assistenten, der hinter ihm stand, einen raschen Blick.

      „Jetzt, bitte, öffnen Sie beide Augen … langsam und ganz gleichmäßig“, bat Dr. Hilpert. – Die Patientin folgte dem Befehl.

      Aber sie hatte die Augen kaum halb geöffnet, als sie schon voll Entsetzen die Lider wieder senkte. „Ich schiele!“ sagte sie verzweifelt. „Ich kann gar nichts mehr richtig sehen … ich schiele schrecklich.“

      Professor Bergmeister lachte. „Ein gutes Zeichen, mein liebes Mädchen … ein sehr gutes Zeichen. Es beweist nämlich, daß Sie auch mit Ihrem operierten Auge wieder sehen. Sie waren es über eine Woche gewohnt, nur mit einem Auge zu schauen. Jetzt müssen Sie erst wieder lernen, die Bilder beider Augen miteinander zu koordinieren.“

      „Versuchen Sie es ruhig noch einmal“, sagte Dr. Hilpert.

      Wieder öffnete die Patientin beide Augen, hielt sie offen, sah im Zimmer herum. Es war deutlich, daß die beiden Augäpfel sich nicht in der gleichen Richtung bewegten.

      „Ich schiele“, wiederholte Gunhild tonlos, „ich …“ Aber dann stockte sie mitten im Satz, ihr junges Gesicht strahlte auf. „Es geht wieder!“ rief sie jubelnd. „Ich kann richtig sehen!“

      „Na, wunderbar!“ sagte Professor Bergmeister. „Dann hat es also geklappt!“

      „Einen Spiegel“, bat Gunhild und wandte sich an Schwester Gerda, „könnte ich wohl …“

      Schwester Gerda reichte ihr den Handspiegel vom Nachttisch.

      Gunhild Wigand betrachtete sich ganz verblüfft. „Aber, das ist ja …“ Sie ließ den Spiegel sinken und sah von Professor Bergmeister zu Dr. Hilpert. „Es ist ja gar nichts zu sehen! Bin ich denn wirklich operiert worden?“

      Professor Bergmeister war aufgestanden. Er nickte ihr lächelnd zu. – „Es ist nicht zu fassen“, sagte Gunhild, „ich werd’ verrückt!“ Als der Professor die Tür schon fast erreicht hatte, fügte sie mit einer plötzlichen Eingebung hinzu: „Ich glaube, ich war in meinem ganzen Leben noch nie so glücklich – vielleicht weil ich früher alles zu selbstverständlich genommen habe!“

      „Das sind die Momente“, sagte Professor Bergmeister draußen auf dem Gang zu Dr. Hilpert, „wegen denen wir unseren Beruf so lieben, nicht wahr? Das Augenlicht wiederschenken dürfen … manchmal grenzt es fast ans Wunderbare!“

      Der junge Michael Bergmeister kam in einer Gruppe von Kommilitonen vom Seziersaal heraus, als er Monika Ebers sah.

      Sie rannte auf ihn zu. Die roten Locken flatterten um ihren kleinen Kopf, ihre zarte Haut war vor Erregung gerötet. „Mike“, rief sie schon von weitem, „endlich! Ich habe dich den ganzen Morgen gesucht! Wo hast du denn gesteckt!?“

      Michaels Freunde lachten, und auch er lächelte amüsiert.

      „Bei den Leichen“, sagte er, „schade, daß du nicht heruntergekommen bist. Wir hatten heute eine ganz besonders hübsche dabei, leider schon ein bißchen angegammelt, aber sonst …”

      „Hör auf damit!“ sagte sie und stampfte mit ihrem Fuß auf den Boden. „Sei nicht widerlich!“

      „Widerlich? Aber wieso denn? Ich erzähle nur ganz sachlich ..“

      „Deine Erzählungen aus dem Seziersaal interessieren mich nicht, das solltest du langsam wissen. Schließlich bin ich Philologin und keine von euren abgebrühten Medizinerinnen!“ Ihre Augen, die von einem unwahrscheinlich tiefen, fast violetten Blau waren, funkelten ihn an.

      „Schade“, sagte er, „aber dann kann ich ja gehen.“ Er blickte auf seine sportliche Armbanduhr. „In zehn Minuten habe ich Physiologie …“

      „Mußt du

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