ТОП просматриваемых книг сайта:
Mit den Augen der Liebe. Marie Louise Fischer
Читать онлайн.Название Mit den Augen der Liebe
Год выпуска 0
isbn 9788711719060
Автор произведения Marie Louise Fischer
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
„Sie wundern sich, daß ich … ausgerechnet ich, der sich sein halbes Leben mit Augenleidenden und Blinden befaßt hat“, fuhr der Professor fort, „das Phänomen der Blindheit bis heute noch nicht richtig erfaßt habe. Aber es ist so. Früher, wenn ein Patient zu mir kam, von dem ich wußte, daß sein Augenlicht nicht mehr zu retten war, dann sagte ich mir: Nun gut, er wird nicht mehr sehen können. Schlimm genug, aber immerhin noch erträglich, solange man hören, sprechen, fühlen, gehen, greifen kann.“ Professor Bergmeister schob seinen Schreibtischsessel zurück und erhob sich heftig. „Aber so ist es gar nicht, Hilpert … es ist anders, ganz anders. Blind sein bedeutet … ach, wenn ich nur die Worte fände, Ihnen das klar zu machen. Ausgeliefertsein, ja, das ist es … in einen leeren Raum gestellt sein, ganz allein, in eine Finsternis, so unermeßlich wie das Weltall.“
Dr. Hilpert räusperte sich, um zu prüfen, ob seine Stimme ihm gehorchte. „Glauben Sie nicht, Herr Professor“, fragte er, „daß dieses Gefühl möglicherweise nur im ersten Schockmoment so stark ist? Daß man bald lernt, sich auch ohne Augenlicht zurechtzufinden? Daß man sich an den Zustand der Blindheit gewöhnt?“
„Gewöhnt? Ja. Vielleicht. Aber ich will mich nicht daran gewöhnen müssen … ich will nicht blind werden, Hilpert, ich will es nicht!“
„Sie sind also bereit, Ihre Selbstversuche …“
„Sind beendet, Kollege … das heißt, wenn dieser letzte geklappt hat.“
„Und wenn nicht?“
Professor Bergmeister schwieg. „Das ist eine Frage, die ich nicht heute und nicht jetzt beantworten möchte.“ Er lächelte schwach. „Sie werden verstehen, daß ich mich augenblicklich nicht imstande fühle, sachliche Entscheidungen zu treffen.“
„Durchaus. Es steht mir auch keineswegs zu …“
„Sie haben nicht nötig, sich zu entschuldigen, Norman. Ich weiß, daß Ihre Sorge ganz ehrlich ist. Würden Sie mich noch einmal untersuchen? Nur mein rechtes Auge. Das linke dürfte im Augenblick nicht ganz …“
„Selbstverständlich, Herr Professor.“
„Das ist gut. Das ist ausgezeichnet. Wissen Sie, Kollege, es würde mich interessieren, wie die konservative Behandlung mit Priscol und so weiter bisher gewirkt hat … ob sie überhaupt gewirkt hat, meine ich.“
Dr. Hilpert folgte dem Professor in den Dunkelraum für optische Geräte. „Wann hatten wir begonnen? Vor etwa acht Tagen, nicht wahr? Dann dürfte es doch wohl noch zu zeitig sein, mit durchschlagenden Erfolgen zu rechnen.“
Der Professor und sein Assistent setzten sich. Dr. Hilpert nahm das Ophthalmoskop zur Hand, knipste das Licht an und begann mit der Spiegelung des linken Auges. Es war so still in dem dunklen Raum, daß man die nervösen Atemzüge der beiden Männer hören konnte.
„Wie ich es mir gedacht hatte“, sagte Dr. Hilpert schließlich, „unverändert.“
„Kein Rückgang der Netzhautblutungen?“
„Nein“, sagte Dr. Hilpert zögernd.
„Also Verschlechterung?“ Die Stimme Professor Bergmeisters klang völlig gefaßt.
„Nein, auch das nicht. Jedenfalls kann ich das nicht mit Sicherheit behaupten. Selbst wenn eine Verschlechterung eingetreten sein sollte, ist sie so minimal, daß sie nicht festzustellen ist.“ Nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: „Vielleicht sollte man mit der Funduskamera eine Aufnahme machen?“
„Eine Aufnahme? Was soll das für einen Sinn haben? Haben Sie eine Ahnung, welche Unzahl von Aufnahmen ich während meiner Selbstversuche gemacht habe? Ich mußte es ja, wenn meine Experimente einen Sinn haben sollten!“
Dr. Hilpert sah den Professor eine Sekunde verblüfft an, dann schlug er sich mit der Hand vor die Stirn. „Natürlich. Aber das liegt doch auf der Hand … daß ich daran nicht gedacht habe.“ Er holte tief Atem. „Aber … dann haben Sie es ja gewußt? Noch bevor ich Sie das erstemal untersucht habe?“
„Ich wollte es nicht wahrhaben. Vielleicht auch hatte ich mich zu sehr daran gewöhnt, diese Augenaufnahmen als etwas Unpersönliches zu betrachten, etwas, das mit mir selber gar nichts zu tun hatte … sozusagen nur von wissenschaftlichem Interesse war und keine Wirklichkeit besaß.“
„Ich verstehe.“
Professor Bergmeister stand auf. „Aber es gibt Wahrheiten, vor denen man sich nicht verstecken kann. Ich habe Ihnen schon einmal gesagt … es hilft nichts, mit Wenn und Aber in der Vergangenheit herumzustochern, wir haben es mit Tatsachen zu tun. Da die konservative Therapie nicht anzuschlagen scheint … ich habe Sie sehr gut verstanden, Kollege, Sie konnten mir nicht einmal mit Sicherheit sagen, daß die krankhafte Entwicklung zum Stehen gebracht worden ist … möchte ich es mal mit einer Kochsalzlösung versuchen. Subkonjunktival. Was halten Sie davon?“
„Nun, da uns bisher noch keine durchschlagende Therapie gegen diese Art von Degenerationserscheinungen bekannt ist …“
„Sehr richtig … können wir es mit so ziemlich jedem Mittel versuchen, wollten Sie sagen. Darf ich Sie also bitten, mir die Spritze zu geben? Ich könnte es natürlich auch selber, aber …“
„Selbstverständlich werde ich es tun.“ Dr. Hilpert öffnete die Milchglastür zum hellen Untersuchungsraum. „Darf ich nur eben aus meinem Zimmer …“
„Aber warum denn?“ Professor Bergmeister griff in seine Hosentasche, zog einen Schlüsselbund heraus, reichte ihn Dr. Hilpert. „Der hier ist es.“
Dr. Hilpert öffnete den Medikamentenschrank, holte eine Ampulle mit Novocain heraus, sägte die gläserne Spitze ab, füllte den Inhalt in den Injektionsbehälter der sterilisierten Spritze.
„Machen Sie’s sich bitte bequem, Herr Professor … am liebsten wäre es mir, sie legten sich richtig lang. Schön entspannen ja, so ist’s gut.“ Dr. Hilpert hatte die Spritze aufgezogen, drückte den Kolben nieder, um ein Luftbläschen hinauszujagen, trat auf die Untersuchungsliege zu, beugte sich über den Professor. Professor Bergmeister preßte die Lippen zusammen, während Dr. Hilpert nahe dem linken Auge – einmal seitwärts vorn und einmal hinten – einstach und die betäubende Flüssigkeit aus der Nadel fließen ließ.
Dr. Hilpert ging zum Medikamentenschrank zurück und bereitete eine sorgfältig ausgewogene Lösung aus Natriumchlorid und destilliertem Wasser. Als er damit fertig war und die Spritze wieder aufgezogen hatte, überzeugte er sich, daß das Auge des Professors nahezu empfindungslos geworden war.
„Bitte, weit öffnen!“ sagte er und stach die spitze Nadel unter die Bindehaut.
Professor Bergmeisters Hände verkrampften sich. „Ich weiß, daß es gleich vorüber ist“, sagte er gepreßt, „ich weiß es, Hilpert … aber dennoch! Es brennt schauderhaft!“
Um neun Uhr, als die Visite begann, war Professor Bergmeister nichts mehr von dem überstandenen Schrecknis anzumerken. Er wirkte ruhig und ausgeglichen wie immer. Nur Gabriele Zerling, die eine sehr gute Beobachterin war, merkte, daß er blasser war als sonst. Leise fragte sie Dr. Hilpert, während sie im Ärztestab hinter dem Professor über die langen Gänge schritten. „Norman … was ist mit Professor Bergmeister los?“
Er antwortete, ohne sie anzusehen: „Nichts. Halt den Mund.“
Eine Sekunde lang fühlte sie sich durch seinen Ton verletzt, sie hatte eine scharfe Antwort schon auf der Zunge. Aber als sie den Kopf hob und sein Profil sah, das auf seltsame Weise ernst und fast tragisch gespannt wirkte, siegte ihre Vernunft. „Entschuldige, bitte“, flüsterte sie.
Er sah sie an, ganz überrascht von ihrer unerwarteten Zahmheit. „Braves Mädchen“, murmelte er.
Sie ärgerte sich, daß sie bei diesem rauhen Lob über und über errötete.
Sie waren vor der Tür von Gunhild Wigand angekommen.
„Herr Professor“,