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es das, was du wissen möchtest?“ entgegnete er ruhig.

      „Ach was. So interessant, wie du dir einbildest, bist du gar nicht.“

      „Danke.“

      „Wahrscheinlich sind es bei dir … verspätete Pubertätsjahre.“

      Er zuckte mit keiner Wimper. „Auch eine Erklärung“, sagte er nur.

      „Entschuldige. Ich wollte dich nicht kränken. Manchmal sage ich Sachen, die ich nicht einmal denke. Blöd, nicht wahr? Geht es dir nie so?“

      Er zog es vor, diese Frage nicht zu beantworten. „Was willst du also?“ fragte er beherrscht.

      „Mit dir über deinen Vater sprechen!“

      „Ach!“ Er hob die dunklen, ausdrucksvollen Augenbrauen.

      „Was scheint dir daran so absurd?“ fragte sie hitzig.

      „Nun, wenn ich ehrlich sein soll … ich finde es geradezu anmaßend.“

      „Anmaßend! Aber ich bin seine Frau, und du bist sein Sohn, wir haben durchaus das Rech …“

      „… uns in Vaters ureigenste Angelegenheiten zu mischen?“

      „Aber du weißt ja noch gar nicht, wovon ich rede! Dein Vater ist auf dem besten Wege, sich zu ruinieren. Wahrscheinlich ist es dir noch nicht aufgefallen … das würde mich gar nicht wundern, du kümmerst dich ja schon seit langem um nichts mehr, was in diesem Haus vor sich geht … aber tatsächlich werden seine Augen von Woche zu Woche schlechter. Er versucht es natürlich vor mir zu verbergen … nicht nur vor mir, sondern vor aller Welt … aber wie lange wird ihm das gelingen? Ich habe ihn längst durchschaut, aber das wäre ja noch nicht das Schlimmste. Sobald seine Patienten merken, was mit ihm los ist, ist er erledigt.“

      „Du kennst Vater schlecht“, sagte Michael ruhig, „wenn er nicht mehr imstande ist, zu operieren, wird er es von selber aufgeben. Er hat in seinem ganzen Leben noch niemals verantwortungslos gehandelt.“

      „Aber das macht doch keinen Unterschied!“ Vera schrie es fast heraus. „Ob er freiwillig abgeht oder ob man ihn zwingt … das Resultat bleibt doch dasselbe! Er ist erledigt.“

      „Du übertreibst. Seine Professur wird man ihm deshalb nicht nehmen … und ich kann dir versichern, daß er auf der Uni allgemein sehr geschätzt wird.“

      „Was nützt das schon“, sagte sie bitter, „was glaubst du, wie weit wir mit einem Professorengehalt reichen würden?“

      „Du müßtest dich einschränken“, sagte er mit leisem Spott, „ich weiß, das wäre natürlich scheußlich für dich …“

      „Einschränken! Wenn das alles wäre!“ sagte sie wild. „Kannst du dir wirklich nicht vorstellen, was es für uns alle … was es für ihn selber bedeuten würde, wenn er nicht mehr sehen kann?“

      Zum erstenmal senkte Michael den Blick. „Doch. Natürlich. Du hast recht“, sagte er, „das wäre natürlich entsetzlich.“

      „Endlich!“ Vera rutschte vom Schreibtisch, zog sich ihren Rock an den Hüften herunter. „Du bist also wie ich der Meinung, daß es nicht geschehen darf. Sprich also mit ihm darüber, mach ihm klar …“

      „Worüber soll ich mit ihm sprechen?“ fragte er verständnislos.

      „Daß er endlich seine verdammten Selbstversuche aufgibt. Du weißt doch, um was es sich handelt … diese Lichtkoagulation oder wie das heißt. Das ist es, was seine Augen ruiniert. Du mußt ihn dahin bringen, daß er es aufgibt.“

      Michael schwang sich von seinem Stuhl, begann, die Hände in den Taschen seiner ausgebeulten Cordhose, im Zimmer auf und ab zu gehen. Dabei stieß er mit einem ungeduldigen Fußtritt das Grammophon, das ihm im Wege stand, zur Seite. „Das kann ich nicht“, sagte er und fuhr sich mit der Hand über das kurzgestutzte Haar, „beim besten Willen, Vera … das ist unmöglich.“

      Sie vertrat ihm den Weg. „Und warum, wenn ich fragen darf?“

      „Vera, sieh mal … du weißt doch, wie Vater mich immer behandelt hat. Seit Mutter tot ist, hat er mir jede Freiheit gelassen. Er war immer der Ansicht, daß jeder Mensch seine eigenen Dummheiten machen, sich selber seinen Weg durchs Leben suchen müßte … aber warum erzähle ich dir das alles! Du hast es ja selber miterlebt.“

      „Und? Ich begreife nicht, was du gerade jetzt damit willst.“

      „Hör auf, dich dümmer zu machen, als du bist. Die Schlußfolgerung liegt doch auf der Hand. Ein Vater, der seinem Sohn die Freiheit läßt, für sich selber zu entscheiden … der kann doch zumindest dasselbe Recht von seinem Sohn erwarten?“

      „Du willst mir also nicht helfen?“

      Er wich dieser Frage aus. „Zum Beispiel meine Musik“, sagte er. „Als ich zehn war, wollte ich unbedingt Klavier spielen lernen. Ich kriegte mein Klavier und meinen Unterricht. Mit fünfzehn hing es mir zum Hals ’raus, und Vater erlöste mich von der Plage. Mit siebzehn gierte ich nach einem Saxophon. Ich bekam es. Vater hat mir immer eine Menge gute Lehren gegeben, um die ich mich in den seltensten Fällen gekümmert habe. Auch mit meinem Eintritt in die Studentenjazzband war er einverstanden …“

      „Aber Michael, ich bitte dich“, unterbrach sie ihn ungeduldig, „was soll das? Das sind doch alles Belanglosigkeiten. Vater …“

      Diesmal war er es, der ihr ins Wort fiel. „Du findest meine Musik also völlig belanglos?“

      „Aber nein, Michael, so habe ich das nicht gemeint.“

      „Doch. Du hast es genauso gemeint, wie du es eben gesagt hast.

      Wahrscheinlich wird es dich wahnsinnig wundern zu erfahren, daß es andere Menschen gibt, Fachleute, die ganz anderer Ansicht sind.“

      „Wer?“

      „Nun, Herr Winterstein, Produktionsleiter einer bekannten Plattenfirma, zum Beispiel.“

      „Na ja“, sagte sie und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, „solche Leute loben gern, solange es sie nichts kostet.“

      „Aber es hat ihn was gekostet. Er hat eine Platte von mir machen lassen. Was sagst du jetzt?“

      Sie war ehrlich beeindruckt. „Tatsächlich?“

      „Da staunst du, was?“ Er lachte jungenhaft. „Willst du sie hören?“

      „Du machst Witze.“

      „Nein. Gar nicht. Ich hatte sie gerade aufgelegt, als du kamst.“

      Er hockte sich zu Boden, beugte sich über das Grammophon, hob den Tonarm, fragte, während die Platte schon zu kreisen begann: „Soll ich?“

      „Natürlich.“

      Er setzte den Arm behutsam auf, und sofort ertönte eine sehr rhythmisch temperamentvolle Musik.

      „Was ist das?“ fragte Vera. „Twist?“

      „Ach wo. Madison. Paß nur auf … gleich komme ich!“

      Fast im gleichen Augenblick ertönte Michael Bergmeisters Stimme aus dem Apparat, fremd und doch sehr bekannt, eine sehr musikalische, aber ungekünstelte, eher harte Stimme.

      Vera lauschte. Der Text war banal. Ein Loblied auf den Modetanz Madison in der Skihütte, im Strandhotel und bei der Hochzeitsfeier. Dennoch fühlte Vera sich zu ihrer eigenen Verwunderung seltsam berührt. Es war ihr, als wenn sie sich an etwas erinnern müßte, etwas sehr Schönes, das sie längst vergessen hatte.

      Ganz unerwartet wurde die zweite Strophe von einer warmen Mädchenstimme gesungen. Mit einem Schlag war Vera ernüchtert.

      „Wer ist das?“ fragte sie.

      Mit einem Mißton brach die Melodie ab.

      Michael hatte den Apparat abgestellt. Er erhob sich, sagte fast feindlich: „Eine

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