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Delegation an Unqualifizierte kann, nach Friedrichs (2006), durchaus als fahrlässig oder grobfahrlässig eingestuft werden. Die meisten einschlägigen Verlage haben aus diesem Grund eine freiwillige Vertriebsbeschränkung für psychologische Tests eingeführt, die den Zugang für Unbefugte erschweren oder gar verhindern soll. Die Anbieter legen in diesem Zusammenhang vertraglich fest, dass psychologische Tests nur von fachlich qualifiziertem Personal, insbesondere Diplom-Psychologen, erworben und angewendet werden sollen.

      Schließlich stellt, so Friedrichs (2006), die psychologische Diagnostik häufig einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht eines anderen Menschen dar, der nur durch eine entsprechende Einwilligung gerechtfertigt ist. Eine solche Einwilligung des Betroffenen setzt implizit eine Qualifikation des Diagnostizierenden für seine Tätigkeit voraus. Denkbar wäre, dass ein Betroffener, hätte er um die mangelhafte Ausbildung des Untersuchers gewusst, seine Einwilligung nicht erteilt hätte. Für Friedrichs (2006) sind in diesem Zusammenhang auch mögliche Haftungsansprüche zu bedenken. Mitteilungen von Diagnosen und Untersuchungsergebnissen können z. B. bei manchen Menschen ein Trauma auslösen, das mit einem erheblichen finanziellen Schaden einhergeht. Stellen sich dann die mitgeteilten Testergebnisse und Diagnosen auch noch als falsch heraus, kann die Haftung empfindlich bis existenziell werden.

      Jäger (2006) verweist auf allgemein- und berufsethische Bedingungen, unter denen ein diagnostischer Prozess ablaufen sollte, die in folgenden Anfragen an Diagnostiker zum Ausdruck kommen: Genügt das diagnostische Vorgehen wissenschaftlichen Kriterien? Wo wird eine Fragestellung angegangen, die mit den derzeitigen Methoden der psychologischen Diagnostik nicht zu beantworten ist? Wo kollidiert das konkrete Handeln mit den Ansprüchen und Erfordernissen der eigenen Berufsethik?

      Letztendlich wird in den KMK-Standards zur Lehrerausbildung im Kompetenzbereich »Beurteilen« festgelegt, dass Lehrkräfte ihre Beurteilungsaufgaben gerecht und verantwortungsbewusst ausüben, indem sie z. B. Leistungen von Schülerinnen und Schülern auf der Grundlage transparenter Beurteilungsmaßstäbe erfassen und bewerten (Paradies, Linser & Greving 2007).

      2.7 Bewertungs- und Beurteilungsfehler

      Breitenbach (2003) weist darauf hin, dass jedem Beobachter und Beurteiler aufgrund aktiv interpretierender und damit verändernder Wahrnehmungs-, Speicher- und Abrufprozesse eine Reihe von Beobachtungs- und Beurteilungsfehler unterlaufen können:

      1. Güte- und Mildefehler

      Diese häufig auch als Fehler der Großzügigkeit beschriebene Beobachtungsund Beurteilungsverzerrung entsteht durch die Tendenz, eine bestimmte Person grundsätzlich zu vorteilhaft zu beurteilen. Für den sonderpädagogischen Bereich ist zu beobachten, dass gerade Berufsanfänger kranken oder behinderten Kindern gegenüber besonders milde gestimmt sind. Bei ihnen ist unter Umständen das Motiv des »Helfen-Wollens« besonders stark ausgeprägt und sie sind deshalb nicht imstande, zwischen der diagnostischen und der pädagogischen Perspektive zu unterscheiden.

      2. Fehler der zentralen Tendenz

      Beurteiler neigen dazu, extreme Positionen bei der Bewertung zu vermeiden, und bevorzugen mittlere Ausprägungen. Sie verspüren offensichtlich eine gewisse Scheu, ein Merkmal als stark ausgeprägt einzustufen und scheinen sich bei einer Beurteilung wie »ein wenig« oder »mittelmäßig« wohler zu fühlen, vor allem wenn ihnen für die Beurteilung keine klar definierten Beurteilungsmaßstäbe oder -kriterien zur Verfügung stehen.

      3. Logischer Fehler

      Der logische Fehler besteht in der Tendenz des Beurteilers, Merkmale, die ihm logisch oder psychologisch als zusammengehörig erscheinen, auch ähnlich zu bewerten. Er entsteht oft auf der Grundlage impliziter und mehr oder weniger naiver Persönlichkeitstheorien oder auch im Zusammenhang mit einem Denken in Syndromen.

      4. Halo- oder Hof-Effekt

      Gemeint ist damit die Neigung eines Beurteilers, sich in der Beurteilung oder Beobachtung einer einzelnen Persönlichkeitseigenschaft vom Gesamteindruck oder von einer hervorstechenden Eigenschaft beeinflussen zu lassen. Die vorgefasste Meinung über ein Kind beeinflusst die Erzieherin bei der Einschätzung einzelner Merkmale dieses Kindes. Der Halo-Effekt hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem logischen Fehler. In beiden Fällen werden die Beobachtung und Beurteilung eines Merkmals durch bereits vorhandene Kenntnisse oder Meinungen verzerrt. Eine Abgrenzung ist jedoch dahingehend möglich, dass es beim Halo-Effekt um die Zusammengehörigkeit von Eigenschaften eines Individuums geht, während sich der logische Fehler auf die Affinität verschiedener Merkmale losgelöst von einem einzelnen, konkreten Individuum bezieht. Der logische Fehler ist vergleichsweise abstrakt. Er bedarf nicht des Bezugs zu einer realen Person, sondern zu einer mehr oder weniger naiven Persönlichkeitstheorie.

      5. Kontrastfehler

      Ein Kontrastfehler liegt vor, wenn die zu beurteilende Person im Kontrast zur Person des Beurteilers erlebt wird. Er umschreibt die Tendenz, eine Person hinsichtlich eines bestimmten Merkmals gegenteilig zu sich selbst zu beurteilen. So mag ein Beobachter, der sich selbst für einen ordentlichen, korrekten und systematisch arbeitenden Menschen hält, die beobachtete Person leicht als unordentlich und schlampig einschätzen.

      6. Fehler der räumlichen/zeitlichen Nähe

      Vom Beurteiler wird das als ähnlich bewertet, was räumlich oder zeitlich nahe beieinander beobachtet wird. Es kann sogar der Fall eintreten, dass in raumzeitlicher Nähe Liegendes als sinnvoll oder gar als kausal zusammengehörig betrachtet wird. Die momentanen Verhaltensauffälligkeiten eines Kindes werden z. B. vorschnell mit der kürzlich erfolgten Scheidung der Eltern erklärt.

      7. Gutachten, Befund oder Beobachtungsbericht als Fehlerquelle

      Muss ein Bericht oder ein Gutachten angefertigt werden, so können bei der Übersetzung der diagnostischen Daten in den schriftlichen Bericht Verzerrungen auftreten. Die schriftliche Fixierung von Beobachtungen und Untersuchungsergebnissen führt häufig zu einer Verkürzung, da manches als nebensächlich oder unwichtig erachtet wird. Beurteiler sind meist bemüht, einen in sich stimmigen Bericht abzugeben. Dazu können Details, die nicht passen, unterdrückt oder an Stellen, wo Einzelheiten zur Herstellung eines Zusammenhangs notwendig wären, neue nicht diagnostizierte hinzugefügt werden.

      Bewertungs- und Beurteilungsfehler können für Paradies, Linser und Greving (2007) durch folgende Maßnahmen abgemildert werden:

      • Abgleich persönlicher Beurteilungen mit Kollegenurteilen,

      • Vergleich mit einer großen Zahl von Gleichaltrigen z. B. über Vergleichsarbeiten,

      • systematische, regelmäßige Vergleiche über einen längeren Zeitraum,

      • transparente Leistungsbeschreibung bei jeglicher Beurteilung,

      • systematische Datenermittlung nach eindeutigen Regeln und eine

      • ausreichende Datenmenge für Diagnosen und Gesamturteile.

      2.8 Zusammenfassung

      Psychologische Diagnostik versteht sich als angewandte Wissenschaft und lässt sich definieren und inhaltlich fassen als Beantwortung von aus den Anwendungsfeldern stammenden Fragen und Problemstellungen, wobei auf Theorien und Erkenntnisse der verschiedenen psychologischen Disziplinen und auf vielfältige Methoden zurückgegriffen wird. Ein Prozessmodell beschreibt den Weg von der Erarbeitung einer psychologischen Fragestellung bis hin zu deren Beantwortung, wobei mit der Selektions- und Modifikationsstrategie zwei grundsätzlich verschiedene diagnostische Vorgehensweisen unterschieden werden.

      Jede Diagnostik bedarf bestimmter Normen als Vergleichsmaßstäbe, um die gewonnenen Daten interpretieren und in ihrer Aussagekraft bewerten zu können, jeder diagnostische Akt unterliegt ethischen und rechtlichen Vorgaben und Bestimmungen und jeder Diagnostiker sollte sich bewusst sein, dass ihm eine Reihe von Bewertungs- und Beurteilungsfehlern unterlaufen kann.

      3 Sonderpädagogische Diagnostik

      Kretschmann (2003; 2004) zeichnet

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