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von Integrationsmodellen fordert, dass Sonder- und Regelschullehrkräfte, sollen sie bei der Betreuung von Kindern mit erhöhtem oder sonderpädagogischem Förderbedarf nachhaltig kooperieren, über eine Schnittmenge von Diagnose- und Förderkompetenzen verfügen müssen.

      Resümiert man die vielfältigen diagnostischen Anlässe und Aufgaben, überrascht es nicht, wenn Autoren wie z. B. Bundschuh (2010) fordern, Diagnostiker sollten über fachliche, diagnostische, didaktische und therapeutische Kompetenzen verfügen. Gleichzeitig drängt sich förmlich die Frage auf, wer diese vielen unterschiedliche Kompetenzen in sich vereinigen kann (

Kap. I.3 und
Kap. I.4.2.4).

      2 Psychologische Diagnostik

      Die sonderpädagogische Diagnostik ist nach Bundschuh (2010) hinsichtlich ihrer Aufgaben, Handlungsfelder und Ziele eigenständig, hat jedoch viele Impulse gerade im Bereich der Methoden aus der psychologischen Diagnostik erhalten. Hesse und Latzko (2009) sind der Meinung, dass sich die pädagogische Diagnostik von der psychologischen nicht notwendig durch eigene Verfahren, Methoden und Theorien unterscheide, sondern nur durch den Bezug auf die pädagogische Fragestellung und Entscheidung und stellen auf diese Weise eine große Nähe zur psychologischen Diagnostik her. Insofern scheint es lohnenswert, sich zunächst der Grundlagen psychologischer Diagnostik zu versichern, um das Verhältnis der psychologischen zur pädagogischen und sonderpädagogischen Diagnostik zu klären und letztendlich auch auf diesem Wege das Besondere und Eigenständige an der sonderpädagogischen Diagnostik herauszuarbeiten.

      2.1 Begriffsklärung

      Die meisten Definitionen weisen darauf hin, dass die psychologische Diagnostik

      • bei einer Fragestellung ihren Ausgang nimmt,

      • theoriegeleitet gezielt Informationen sammelt und verarbeitet, die im Zusammenhang mit der Fragestellung für das Verständnis menschlichen Verhaltens und Erlebens bedeutsam sind,

      • um dann auf dieser Grundlage Entscheidungen zu treffen oder Prognosen über zukünftige mögliche Entwicklungen aufzustellen und

      • um diese angestrebten und bewirkten Veränderungen letztendlich auch kontrollieren und evaluieren zu können (Jäger & Petermann 1999; Amelang & Schmidt-Atzert 2006; Petermann & Eid 2006; Hesse & Latzko 2009; Kubinger 2009; Pospeschill & Spinath 2009; Rentzsch & Schütz 2009; Amelang & Schmidt-Atzert 2012).

      Für Schuck (2004a) stellt die pädagogisch-sonderpädagogische Diagnostik – und man achte auf die Ähnlichkeiten – im Kern einen Versuch dar, über die Reduktion der menschlichen Komplexität in der diagnostischen Situation zu Erklärungen, zu Prognosen und zu handlungsrelevanten Entscheidungen zu gelangen.

      Psychologische Diagnostik ist nach der Definition von Amelang und Schmidt-Atzert (2006) eine Methodenlehre im Dienste der Angewandten Psychologie. Ihre Aufgabe besteht darin, »interindividuelle Unterschiede in Verhalten und Erleben sowie intraindividuelle Merkmale und Veränderungen einschließlich ihrer jeweils relevanten Bedingungen so zu erfassen, dass hinlänglich präzise Vorhersagen künftigen Verhaltens und Erlebens sowie deren evtl. Veränderungen in definierten Situationen möglich werden« (Amelang & Schmidt-Atzert 2006, 3).

      Die Aufgaben und Fragestellungen werden, so Amelang und Schmidt-Atzert (2012), von ihren Anwendungsgebieten (Arbeits- und Organisations-, Forensische-,Pädagogische- und Klinische Psychologie) her bestimmt und so geht es im Rahmen der pädagogischen Psychologie z. B. um die Feststellung der Schulfähigkeit, die Eignung für weiterführende Schulen, das Feststellen eines sonderpädagogischen Förderbedarfs, die Eignung für bestimmte Berufsausbildungen oder um Erziehungsprobleme in Schule und Familie. Die psychologische Diagnostik konstruiert und verwendet weiterhin zur Bewältigung dieser vielfältigen Aufgaben spezifische Verfahren und Methoden wie Exploration, Interview, schriftliche und mündliche Befragung, psychometrische Tests und Verhaltensbeobachtung. Die theoretische Begründung und Fundierung erfolgt durch einen Rekurs auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse der durch ihre Teildisziplinen (Differentielle und Klinische, Psychologie, Sozial-, Motivations-, Kognitions-, Sprach- und Entwicklungspsychologie) repräsentierten Gesamtpsychologie. Methoden, Anwendungen und Grundlagen konstruieren somit drei Seiten einer Art Spannungsfeld, in dem psychologische Diagnostik entsteht und fruchtbar wird (

Abb. I.1).

      2.2 Diagnostische Strategien

      Viele zu untersuchende Eigenschaften oder Persönlichkeitsmerkmale sind nicht unmittelbar beobachtbar und deshalb nicht direkt erfassbar. Sie werden als hypothetische Konstrukte bezeichnet und müssen aus sichtbaren Verhaltensweisen, aus repräsentativen Verhaltensstichproben erschlossen werden. Diesen Prozess nennt man in der psychologischen Diagnostik nach Rentzsch und Schütz (2009) Operationalisierung oder die Übertragung theoretischer Konstrukte in messbare Variablen des Verhaltens. Solche psychologischen Konstrukte können sich auf relativ kurzfristige und veränderbare Erlebens- und Verhaltensmuster, sogenannte States (Zustände), beziehen oder auf längerfristige und eher stabile Erlebens- und Verhaltensmerkmale, sogenannte Traits.

      Abb. I.2: Diagnostische Strategien (Rentzsch & Schütz 2009, 42)

      Bei den diagnostischen Strategien, die den diagnostischen Prozess steuern, werden in der einschlägigen Literatur Selektions- und Modifikationsstrategien unterschieden (Pospeschill & Spinath 2009; Amelang & Schmidt-Atzert 2012; Krohne & Hock 2015).

      Als Personenselektion werden im Rahmen der Selektionsstrategie geeignete Personen für bestimmte Anforderungen ermittelt (z. B. Konkurrenzauslese bei Studienfach oder Schulart) und als Bedingungsselektion wird versucht, geeignete Bedingungen zu bestimmen, unter denen eine Person mit bestimmten Eigenschaftsmerkmalen erfolgreich sein kann (z. B. Berufsempfehlung nach Eignungsdiagnostik). Die Selektionsstrategien basieren in der Regel auf der Annahme zeitlich stabiler Eigenschaften (Traits) und werden dem Bereich der sich auf das einmalige Erfassen eines Ist-Zustandes beschränkenden Statusdiagnostik zugeschrieben.

      Innerhalb der Modifikationsstrategie soll die Verhaltensmodifikation, um ein Problemverhalten abzubauen, spezifische zu verändernde Verhaltensweisen einer Person ermitteln (z. B. die Modifikation aggressiver Verhaltensweisen). Die Bedingungsmodifikation sucht dagegen nach externen Bedingungen, deren Veränderung ein Problemverhalten reduziert (z. B. Änderungen im Familiensystem bei Verhaltensauffälligkeiten eines Kindes). Hierbei steht eher die Veränderbarkeit von Erlebens- und Verhaltensmustern (States) im Mittelpunkt der Betrachtung, die überwiegend einer Prozessdiagnostik folgt und versucht, diese Veränderungen in wiederholten Messungen zu erfassen.

      Die einschlägige Fachliteratur beschreibt den diagnostischen Prozess übereinstimmend als eine Aufeinanderfolge verschiedener Denk- und Handlungsschritte, wobei lediglich die Anzahl dieser explizit formulierten Schritte variiert (Jäger 2006; Paradies, Linser & Greving 2007; Kubinger 2009; Pospeschill & Spinath 2009; Rentzsch & Schütz 2009).

      Als Ausgangspunkt für den diagnostischen Prozess dient eine Fragestellung oder Zielbestimmung. Der Diagnostiker wird mit einem Problem, einer Frage konfrontiert, aus der er zunächst eine differenzierte psychologische Fragestellung oder eine fachliche Zielbestimmung ableiten muss, indem er den in der Frage

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