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solchen Dingen seit einiger Zeit. Er hat das bestimmte Gefühl: So und nicht anders müssen deine eigenen Augen aussehen, wenn du Karen anblickst. Jens Jörring und Ragna Hvid! Irgendwie stimmt ihn diese Entdeckung fröhlich. Ragna ist immer so ernst. Erst vorhin, als sie das Lied von der kleinen Karen sangen, war fast ein trauriger Vorwurf in dem Blick, mit dem sie ihn ansah. Aber wenn Jens Jörring sie liebt, dann wird ja auch für sie alles gut werden. Denn Jens Jörring thront in Walters Bewußtsein als etwas Außergewöhnliches. Er kann sich nicht vorstellen, daß ein Mädchen nicht glücklich werden sollte an der Seite dieses tüchtigen, klugen und gütigen Mannes.

      „’n Abend, gute Leute! Ein armer Wandersmann ...“

      „Pille! Hurra, Pille!“

      Ein fröhlicher Aufruhr entsteht am Tisch. Die jungen Leute winken lachend der Gestalt zu, die plötzlich klein und verborgen in der Tür steht. Wie „Pille“ eigentlich heißt, weiß niemand recht. Er ist eben „Pille“, ein Landstreicher, ein „Monarch“, den jedermann hier in der Gegend kennt. Auch Jens Jörring lächelt dem Mann freundlich zu. „Komm nur herein, Pille! Frau Anker wird noch eine Tasse Kaffee für dich übrig haben.“

      Aber Pille ist heute obenauf. Er tritt zwar in die Stube und zieht die Tür hinter sich zu, aber seine breite, nicht ganz saubere Hand malt mit großer Geste eine Bewegung des Abscheus.

      „Keinen Kaffee, Jens Jörring. Aber wenn Sie einen kleinen Schnaps hätten — hähä! Also das heißt: Sehr klein braucht er nicht zu sein!“

      Pilles Äuglein glänzen verdächtig. Jens Jörring zwinkert seiner Haushälterin, die sich empört erhoben hat, beruhigend zu und mustert den Landstreicher mit angenommenem Ernst.

      „Dir scheint es ja heute gut zu gehen, Pille.“

      „Sehr gut, Jens Jörring,“ bestätigt der „Monarch“ gravitätisch. „Viehhändler Thomsen ist ein feiner Mann. Hat ein Herz für arme Leute. Vier ausgewachsene Schnäpse! Dazu noch zwei bei Bauer Handelund und einen tüchtigen Schluck von den polnischen Arbeitern im Eslevhof. Hähä! Wollte nur guten Abend wünschen hier in Höjris, so im Vorübergehen, seine Freunde soll man auch in guten Tagen nicht vernachlässigen, Jens Jörring. Hähähä!“

      „Der hat heute geladen!“ Die jungen Leute am Tisch biegen sich vor Lachen. Jens Jörring behält sein gütiges Gesicht. „Wenn du dich ausschlafen willst, Pille, so kennst du ja die kleine Kammer hinten neben dem Geräteschuppen. Da ist immer ein guter Strohsack für dich.“

      „Bemühen Sie sich nicht, Jens Jörring! Ich bin gar nicht müde.“ Pille macht einen mißlungenen Versuch, seine etwas wackligen kurzen Beine in die Gewalt zu bekommen. „Man muß einen guten Tag ausnutzen. Jetzt gehe ich noch zum Kjelderuphof hinüber und spreche ein paar passende Worte mit Poul Nielsen. Wünsche einen recht angenehmen Abend allerseits.“ Pille läßt seine schnapsfrohen Äuglein befriedigt über die lachenden Gesichter der Tischrunde schweifen, stülpt seinen speckigen Beulenhut auf den zerzausten grauen Haarschopf und stolziert in leidlich grader Richtung zur Tür hinaus.

      „Poul Nielsen kann keine betrunkenen Leute leiden,“ sagt Jens Jörring ernst in das schallende Gelächter der Jungen. „Man sollte Pille davon abhalten, heute zum Kjelderuphof zu gehen.“

      Walter ist derselben Ansicht. Poul Nielsens Stimmung ist in diesen Tagen nicht besonders gut. Wenn ihm dazu jetzt noch der nach Fusel duftende, geschwätzige Vagabund in die Quere kommt, kann es leicht einen Streit geben, der für Pille übel auslaufen könnte. Björn, der Hofhund von Kjelderup, ist eine bösartige Bestie.

      „Ich muß jetzt ohnehin nach Hause,“ sagt Walter und zwängt sich zwischen Bank und Tisch hindurch. „Ich werde den Mann überreden, nicht nach Kjelderup zu gehen.“

      „Das ist recht, Münk.“ Jens Jörring drückt dem Gast die Hand. „Und kommen Sie bald wieder zu uns nach Höjris!“

      Auch die andern jungen Leute verabschieden sich. Jens Jörring und Ragna Hvid geben ihnen das Geleit bis an die Gartentür, stehen noch eine Weile dort und sehen ihnen nach. Links, auf dem breiten Weg, der zu den benachbarten Gehöften führt, verschwinden die lustig plaudernden jungen Leute rasch im Abenddunkel. Die Gestalt Walters, der rasch auf dem schmalen Feldweg in der Richtung auf Kjelderup zu dahinschreitet, hebt sich noch lange Zeit scharf gegen den helleren westlichen Himmel ab. Jörring und Ragna sehen deut lieh, wie er den dahintorkelnden Pille einholt, seinen eigenen Schritt verlangsamt und augenscheinlich lebhaft auf den Landstreicher einspricht.

      „Er scheint ihn wirklich herumgekriegt zu haben,“ lächelt Jens Jörring nach einer Weile. „Sehen Sie, Ragna, die beiden biegen ab an dem Pfad, der am Mergelgraben vorbei nach Möllegaard führt. Das ist nun eigentlich auch nicht das Richtige. Jensen-Möllegaard wird zwar seinen Hund nicht auf Pille hetzen, aber er ist imstande, dem armen Kerl noch mehr Alkohol einzutrichtern. Jensen liebt solche schlechten Späße.“

      Ragna zuckt die Achseln. „Er wird wohl gar nicht zu Hause sein. Jensen-Möllegaard sitzt, seitdem er sich ein Auto zugelegt hat, doch abends meist im Hotel in Randers beim Kartenspiel.“

      Die beiden Gestalten verschwinden hinter einer Bodenwelle. Jens Jörring und Ragna sehen schweigend in den Abend hinaus. So wundermild, so gnadenvoll still ist der Sommerabend über den schweren Feldern. Heuduft und fetter, würziger Erdgeruch ziehn aus dem Dunkel heran. Aus der Leutestube eines benachbarten Hofes, deren erleuchtetes Fenster wie ein ruhiges friedvolles Auge aus der schwarzen Wand schaut, trägt der Wind Bruchstücke eines Abendliedes herüber:

      „... Beten wir im Abenddunkel

      Wie nur Kind und Bauer beten.

      Während stille Sterne leuchten

      Über Roggen, den wir säten.“

      „Ragna!“

      Das Mädchen wendet den lauschenden Kopf und sieht in ein Männergesicht, in dem alles steht, was in solcher Stunde ein Liebender sagen könnte, weiß mit einem Male, daß Jens Jörring sie liebt, ernst und tief, wie es in seinem Wesen liegt. Ein leises Zittern durchläuft ihre Glieder, während sie schnell den Blick wieder abwendet und in die Ferne schaut, und das Zittern vrstärkt sich, als sie fühlt, wie eine Hand ganz zart und zögernd ihre schlaff herniederhängende Linke fast.

      „Ragna?“

      „Ja — Jens.“ Es ist das erstemal, daß Ragna Hvid ihn nur beim Vornamen nennt. Jens Jörrings Brust dehnt sich unter einem tiefen befreienden Atemzug. Im gleichen Augenblick aber krampfen sich Ragnas Finger jäh um seine Hand.

      „Was ist das für ein Schein? Da drüben! Das ist doch ...“

      „Da brennt es!“ sagt Jens Jörring, erschrocken auf die Röte starrend, die sich plötzlich über die dunklen, welligen Felder hebt.

      „Ja, ja ... Jetzt sieht man die Flamme!“ Ragna starrt aufgeregt mit großen Augen gradeaus. „Es muß bei Jensen-Möllegaard sein!“

      Steil und rot steht die Flamme über den schwarzen Feldern. Irgendwo in der Ferne beginnt eine Glocke zu läuten in raschen, unregelmäßigen Schlägen. Im Nachbarhof schlagen Türen. Stimmen rufen etwas Unverständliches. Ein Leiterwagen wird mit Gepolter aus der Scheune gerollt, wiehernde Pferde aus der Stallung gezogen. Ein paar Minuten später tutet ganz fern ein Brandhorn. Der Wagen vom Nachbarhof, vollbemannt mit Knechten und Tagelöhnern, kommt in rasendem Gelopp aus der Einfahrt auf den holprigen Weg. Der Hofbesitzer selbst schwingt die Peitsche über die unruhigen, aus ihrem warmen Stall gescheuchten Pferde.

      „Wo ist es, Rasmus?“ schreit Jens Jörring einem der Knechte zu, als der Wagen am Gartenzaun vorüberrasselt.

      „Jensen-Möllegaards Scheune brennt!“

      Der Ruf wird halb verschluckt vom Hufgetrampel und Räderrollen. Auch drüben aus der Richtung des Kjelderuphofes dringt dumpfes Rollen herüber. Poul Nielsen und seine Leute sind gleichfalls auf dem Weg zur Brandstätte. Näher und lauter ruft das Brandhorn durch die Nacht. Eine Lichtflut überströmt plötzlich Ragna und Jens Jörring. Frau Anker hat die Tür zur Wohnstube weit geöffnet. Oben im Stockwerk und im Giebel werden die Fensterladen aufgestoßen.

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