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ohne Noten, so wie es ihm durch den bald schwermütigen, bald hoffnungsheissen Sinn geht, in die Ohren der Tischgäste, die der Vertreter der gewaltigen Nazareth-Stahl-Compagnie drüben in Detroit für heute abend zu sich gebeten hat.

      Er, der Hausherr, der untersetzte, grauköpfige, glattrasierte Fünfziger ist der einzige in der Tafelrunde, der Grischa zuhört. Das grosse runde Geschäftsgesicht ist andächtig wie in der Kirche. Die nüchternen Augen schauen ergriffen in das Leere. Diese einfachen Töne aus Steppe und Birkenwald, diese unvermittelt wehmütigen und übermütigen Naturlaute der russischen Erde empfindet er mit — er, der Selfmademan aus der Prärie. Da ist nichts von der Kompliziertheit des überalterten Europa und seines raffinierten, unverständlichen Notengewirrs.

      Seine Gäste kümmern sich nicht viel um das Gefiedel in der Ecke. Es sind nur Herren. Tsao, der greise chinesische Teehändler, in angelsächsischem Smokinganzug, steifer Hemdbrust und Lackpumps, blinzelt mit seinen klugen Schlitzaugen durch den Zwicker den grossen Blechkästen nach, in denen nur noch einzelne Kaviarkörner kleben.

      „Dies ist der wahre Schwachgesalzene!“ spricht der alte ostasiatische Feinschmecker in feltsamem Englisch. „In meiner Jugend fuhr ich nach Astrachan und schöpfte den Kaviar ungesalzen mit der Hohlhand unmittelbar aus dem Bauch des Störs.“

      „Ich hätte einen Zollstock mitbringen sollen, um die Länge Ihres Sterlett zu messen!“ sagte geniesserisch in etwas singendem Russisch Jechiel Bendavid, der krausbärtige Moskauer Hebräer von der strengen altgläubigen Sekte der Karaim, der Schriftgetreuen.

      „Gospodin Bendavid drückt Ihnen seine Zufriedenheit mit der Bewirtung aus, Mr. Roop!“ dolmetscht vom Büffet her, wo sie den Aufmarsch der Schüsseln beaufsichtigt, seine Sekretärin, Fräulein Frobe. William J. Roop kehrt bei ihren Worten von Grischas Geigenspiel in diese Welt zurück. Er wird wieder der wohlgelaunte Hemdärmelmann von jenseits des grossen Wasfers, mit dem Wahlspruch: „Lächeln in allen Lebenslagen!“ Er schlägt geräuschvoll Gesinus van Aaken auf die Schulter, dem noch jungen Holländer-Erdölagenten mit dem von der Glut Zentralasiens im Kampf um den Petroleummarkt gebräunten Bulldoggenkopf.

      „Sie sollen nicht länger bei Fischeiern und Fischgräten hungern!“ tröstet er ihrt. „Sehen Sie da die unwahrscheinlich riesigen Rippenstücke eines Kalbes, das nach russischer Art zwei volle Jahre hindurch ausschliesslich nur mit Milch, von einer Kuh nach der andern, gesäugt worden ist! Sind Sie zufrieden?“

      „Nur wenn ich auf Ihre Gesundheit trinken darf, Fräulein Anna!“ spricht der Mynheer und hebt sein Glas nach dem Büffet hit und hört von dort Anna Frobes Antwort in gelassenem Französisch, das sonst niemand am Tisch versteht.

      „Sie haben schon einen roten Kopf, Herr van Aaken! Denken Sie daran, dass Mr. Rockfeller, euer grosser Feind, nur Milch und Wasser trinkt!“

      Und der Geiger in der Ecke merkt: Anna Frobe lässt sich nichts bieten. Sie hält sich die Gentlemen aller Nationen, jeden nach seiner Eigenart, auf drei Schritte vom Leibe.

      Und Grischa spielt und kümmert sich nicht darum, was die Weltgeschäftsmänner drüben am Tisch reden. Es ist zu weit, um durch das Singen der Saiten das Gemurmel dort zu verstehen.

      „Wie geht es Litzband?“

      „Ich höre, etwas besser!“ spricht Gesinus van Aaken, und Tsao, der alte Chinese im Smoking, lächelt das rätselhafte Lächeln des Ostens.

      „Er soll keine Schmerzen mehr haben!“ sagt er.

      „Das wäre ein gutes Zeichen!“ meint arglos Jechiel Bendavid.

      „Kurz — man weiss nichts Gewisses!“ entscheidet. William J. Roop und erhebt sich. „Endlich kommen Sie, alter Bursche!“ und zu der Tafelrunde gewendet: „Gentlemen — ich brauche diesen Herrn nicht erst bei Euch einzuführen! Ihr kennt ihn alle! Setzen Sie sich, Graf Ragosin!“

      Der neue Gast war ein blasser, eleganter Russe zu Anfang Vierzig, mit der überschlanken, langen Gestalt und den schmalen, abfallenden Schultern des Petersburger Grossfürstentyps. Auch sein längliches, schnurrbärtiges Gesicht, dem die kurzen Bartstreifen an den Wangen etwas vom ehrbaren Kaufmann gaben, zeigte nichts vom derben Schnitt des Moskauer Grossrussen. Es erinnerte eher schon an die Ukraine oder auch noch weiter nach Süden hinab. Es war da noch eine fremde Mischung — in der bräunlichen Gesichtsfarbe, dem Schwarz der Augen und der Haare, etwas von der Levante.

      Der Fremde schüttelte allen mit der verbindlichen Sicherheit eines Mannes der grossen Welt die Hände. Er hatte ungezwungen-geschmeidige Bewegungen, wie er seinen bisher leeren Platz an der Tafel einnahm. Er zeigte lächelnd unter dem dunklen Schnurrbart die weissen Zähne.

      „Oh . . . nichts vom Grafen, Mr. Roop!“ versetzte er in ausgezeichnetem Englisch, das Grischa in seiner Ecke durch sein Seigenspiel hindurch nicht verstehen konnte. „Ich war es einmal — nach dem Willen Gottes! Ich muss es zugeben! Ich bin es vielleicht noch im Ausland! Aber hier in Russland bin ich ein schlichter Kunstmakler, ein Sohn der neuen Weltordnung, und füge mich ihr, die mir das Vertrauen schenkt, dass ich in ihrem Auftrag den Verkauf russischer Kunstschätze an das Ausland betätigen darf, so weit meine bescheidenen Verbindungen in Europa reichen!“

      „Oh . . . sind Sie da nicht sehr traurig, mit uns Vertretern des verruchten, westlichen Kapitals an einem Tisch sitzen zu müssen, Herr Ragosin?“ erkundigte sich Gesinus van Aaken.

      „Ich halte mich grundsätzlich streng von aller Politik fern, gerade weil ich kaufmännisch zwischen Moskau und dem Ausland vermittele!“ Sergius Ragosin ging plötzlich in leidliches Holländisch über. Er erhob sich und verbeugte sich liebenswürdig nach der Türe, durch die eben vom Flur aus Anna Frobe rasch einmal nach dem Rechten schaute.

      „Guten Abend, meine Gnädigste!“ rief er in tadellosem Deutsch. Dann fiel sein Blick auf den blonden Seiger in der Ecke, und seine Sprache wurde russisch laut und vertraulich, so dass jener seine Worte verstehen konnte.

      „Sieh — da bist du ja!“ winkte er. „Komm näher, Grischa!“ Er reichte dem Spielmann aus dem Volke brüderlich die Hand. „Sind Sie mit meiner Empfehlung zufriedent, Mr. Roop?“ Es klang wieder Englisch und dann, während Grischa düster an seinen Platz zurückkehrte, zu den anderen Gästen: „Ich habe den Teufelskerl ein paar Mal auf dem Arbât-Platz spielen hören. Ich erkundigte mich bei dem nächsten Milizionär. Er wohnt im ehemaligen Palast Grigorieff . . .“

      „Einem Gespensterhaus . . .“ murmelte Jechiel Bendavid, der Karaim.

      „Wieso Gespenster?“ Der internationale Kunsthändler Ragosin schöpfte sich mit der Kelle ein paar Hände voll Kaviar aus dem Blechkasten.

      „Nun — es sollen da Schätze verborgen sein . . .“

      „Vielleicht mehr Schätze als sonst, mit Ausnahme des Kreml, unter irgendeinem Dache Moskaus!“

      Grischa der Geiger hatte sich wieder im Hintergrund auf seinen Stuhl gesetzt. Er konnte kein Wort des Gesprächs am Tisch verstehen. Es interessierte ihn auch nicht, was diese Geldmänner über Stahl und Tee, Erdöl, Devisen und Gemälde miteinander schwatzten und wieviel sie daran verdienen mochten. Er spielte leise und träumerisch und dachte an heute nacht. Wird Litzband sterben? Wird er nicht?

      „Ich habe den alten Grigorieff noch wohl gekannt!“ sprach am Tisch drüben Mr. Tsao, der chinesische Teehändler. „Er war mein Geschäftsfreund. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er langbärtig und bedächtig die Teeblätter zerkaute, an ihnen roch, sie zerkrümelte. Oh — Grigorieff liess sich nicht täuschen. Er war klug!“

      „Das hat er durch das Versteck seiner Kunstschätze bewiesen!“ Jechiel Bendavid langte nach einer Schüssel verzuckerter Kieffer Veilchen. „Seit Jahren sucht man umsonst nach ihnen! Es ist ein Rätsel!“

      „Es ist — belieben Sie mir zu verzeihen — kein Rätsel!“ Der Kunsthändler Ragosin sprach noch leiser. „Es ist einfach die Erfindung des Bürgers Tolschinski aus dem Jahre 1684.“

      „Wie das?“

      „Er baute als Schatzkammer bei feindlichen Einfällen über der rechten Seitenkapelle der Troizy-Kirche

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