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leben und lachen und lärmen unter dem Wachskerzenschimmer der Kronleuchter zwischen den hohen Spiegelwänden auf den glitzernden Parkettflächen — die langbärtigen, altrussischen Grosskaufleute und ihre in grellfarbiger Seide herausgeputzten, mit Diamantentränten in den Ohren und Haselnussperlen um den Hals und Riesenbrillanten an allen Fingern beladenen rotbäckigen Frauen. Und unter ihnen, nur nicht vom Jahrhunderte alten Schlag wie sie, der Vater — der Sohn des Leibeigenen — der Millionär . . .

      Nein. Zur ebenen Erde, da, wo in den Kontoren seines Teehandels Russen und Chinesen, altgläubige Hebräer und Westeuropäer sich die Türklinke in die Hand geben, da sitzt der Vater. Er hat, wie alle diese urmoskowitischen Rubelkönige, in seiner Jugend wenig mehr als Lesen und Schreiben gelernt. Und wenn er es nicht könnte — sein einfaches Wort genügt drüben am Karuninskiplatz auf der Börse und draussen auf dem äusseren Markt von Nishni-Nowgorod. Er sitzt und schiebt, Zahlenreihen aus dem Kopf vor sich in den Patriarchenbart murmelnd, die klappernden Kügelchen der Rechenmaschine. Er schlürft noch, wie sein Grossvater und Urgrossvater es getan, den Tee bedächtig aus der Untertasse. Er trägt in der Auferstehungsnacht die flackernde Osterkerze behutsam durch die Windstösse von der Moskwa her aus der Erlöserkathedrale nach Hause. Er missbilligt aus tiefster Seele das gottesferne Westeuropa — das verfaulte Ausland, das er nie gesehen. Er hängt am Brauch der Väter, am heiligen Russland. Und was er, der Teehändler aus dem Volke, ist und was er in seinem langen Leben mit seinem natürlichen Verstand an Türmen von Rubelscheinen rafft, das vollendet sich da oben im ersten Stockwerk in seiner weltbekannten Sammlung altrussischer Kunstschätze. Mit ihr, statt der riesigen Findelhäuser und Krankenanstalten, die andere Moskauer Krösusse stiften, entschuldigt er seinen Reichtum vor Russland.

      Draussen schrillte die Flurklingel zweimal. Eine Pause. Noch zweimal. Das war das am Tor angeschlagene Zeichen für Nummer acht. Für den Raum, in dem der Geiger Grischa zusammen mit Vater Ilja und dem Psalmensänger und dem Tataren hauste.

      Von den dreien war keiner da. Grigorij Grigorieff schrak aus seinen Gedanken auf. Er erhob sich. Er ging durch den Flur und öffnete die Türe. Er fragte:

      „Was beliebt Ihren, Senossin?“

      Das junge Mädchen, das draussen stand, war gross und schlank selbst in dem langen, billigen Pelz, der ihr bis zu den vom Eisschlamm bespritzen hohen Gummistiefeln reichte. Unter der Pelzmütze zeigte ihr angenehmes, von der Märzkälte gerötetes Gesicht einen Ausdruck von Ernst und Bestimmtheit über ihre fünfundzwanzig Jahre hinaus.

      „Ich suche den Geiger, der hier wohnt!“ sagte sie mit heller, frischer Stimme. Sie sprach fliessend russisch. Aber Grischa merkte doch den deutschen Anklang.

      „Nun — ich bin es!“ versetzte er.

      Die Fremde zog die Rechte aus dem Pelzmuff, streifte den Wollhandschuh ab und reichte Grischa nach russischem Brauch die Hand.

      „Ich habe eine Bestellung, Genosse Grischa!“

      „Belieben Sie mir zu folgen!“

      Innerhalb seines Kreidevierecks im Zimmer Nummer acht rückte Grischa seinen einzigen wackeligen Stuhl für die Besucherin zurecht. Er selber stellte sich davor und wartete schweigend und traumversonnen.

      Das junge Mädchen liess seine klaren, hellbraunen Augen durch den verkommenen Prunkraum schweifen. Sie nickte kaum merklich vor sich hin, als wollte sie sagen: ‚So habe ich es mir gedacht! So sieht es überall in Moskau aus!‘ Dann hob sie den hübschen ernsten Kopf. Sie hatte eine grosse Sicherheit im Auftreten.

      „Ich komme im Auftrag des Mr. William J. Roop!“ sagte sie.

      „Was ist das für ein Vogel?“

      Es klang gelangweilt. Die Besucherin lächelte nur dazu. Sie wusste mit Russen und ihren sprunghaften Launen umzugehen.

      „Ein grosser amerikanischer Geschäftsmann, der seit Monaten hier mit dem Sowjetkommissar für Schwerindustrie wegen Maschinenlieferungen aus den Vereinigten Staaten verhandelt! Die Regierung hat ihm eine eigene fünfzimmerige Wohnung in der Iwerskaja angewiesen!“

      „Das ist für Moskauer Verhältnisse etwas Gewaltiges! Er muss ein ganz grosser ausländischer Blutsauger sein!“ sagte Grischa halb geistesabwesend. Seine Gedanken waren bei der nahenden Nacht.

      Die Fremde überhörte das mit vollem Gleichmut. Sie fuhr fort:

      „Mr. Roop ist ein grosser Freund Russlands und namentlich der russischen Kunst und Musik. Er hat heute abend Gäste. Er will sie durch echt russisches Geigenspiel unterhalten! Ein russischer Geschäftsfreund hat ihn auf Sie aufmerksam gemacht! Pflegen Sie nicht zuweilen an der Strassenecke zu spielen, Genosse Grischa?“

      „Nun — man muss leben!“

      „Da eben hat Ihr Landsmann Sie wiederholt gehört! Das, was aus Ihrer Geige klingt, sagte er zu Mr. Roop, sei die unverfälschte Seele des russischen Volkes. Mr. Roop war begeistert. Ich bin seine Sekretärin. Er schickt mich, Sie zu holen!“

      „Ich kann heute abend nicht spielen!“

      „Was hindert Sie?“

      „Ich bin beschäftigt. Auch fühle ich mich nicht wohl!“

      „Sie sehen blühend aus“, sagte Mr. Roops Sekretärin in ihrem deutsch gefärbten Russisch mit freundlicher Bestimmtheit. „Und was Sie sonst in Anspruch nimmt“ — wieder ein Blick durch die armselige Öde von Nummer acht — „erbarmen Sie sich: was wird es schon Grosses sein? Belieben Sie zu erwägen, dass Mr. Roop über Dollarvaluta, soviel er will, verfügt! Ihn kümmert es nicht, was ein Ischerwonez oder eine Kopeke wert ist! Er rechnet nach amerikanischem Massstab. Er zahlt mit offener Hand, so wie er in New York zahlen würde!“

      . . . Valuta . . .

      ‚Du könntest sie brauchen, Grischa‘ . . . ging es dem blonden Geiger durch den Kopf. ‚Der Mangel an Geld — das eben ist ja für deinen Plan das Schlimmste — das Gefährlichste . . .‘

      „Mr. Roop ist ein aufgeräumter, leutseliger Charakter. Er hält es mit Leben und Lebenlassen. Er gibt Ihnen heute soviel Rubelnoten Sie wollen nach Hause mit!“

      Grischa . . . Grischa . . . Wie würde, wenn alles geglückt ist, ein solches Bündel Scheine deine Flucht in das Ausland erleichtern, statt dass du dich armselig Wochen, Monate lang durchhungern, durchschlagen, durchfiedeln musst — in steter Sorge, entdeckt zu werden — mit deinem falschen Pass Nr. 504 392 . . .?

      „Und doch ist es mir nicht möglich!“ versetzte Grischa der Geiger finster und verbissen.

      Die Türe flog dröhnend auf. Ossip, der Hausverwalter, stapfte herein. Hinter ihm her der Vater Ilja. Der einäugige Riese in rotem Hemd tat, als suchte er nach dem Psalmensänger Jermolai. Es war ein Vorwand, um sich zu überzeugen, dass Grischa noch im Zimmer sei. Der zahnlose alte Ilja lispelte inzwischen aufgeregt:

      „Weisst du es schon, Grischa: mit Litzband drüben um die Ecke geht es wieder etwas besser! Er wird diese Nacht noch überleben!“

      „Machen Sie sich fertig, Genosse Grischa! Mr. Roop erwartet Sie!“ drängte das junge Mädchen.

      Mr. Roop . . . Aus der einzigen Pupille des Gottlosen zuckte ein Blitz des Einverständnisses hinüber zu den schnapsfeuchten Augen des Branntweinpächters . . . Roop . . . das war der Name, den vorhin am Hauseingang unten der Unbekannte in der Droschke genannt hatte! Dorthin durfte man, nach seiner Weisung, Grischa den Geiger unbesorgt gehen lassen . . . Dort war heute abend der Unbekannte selber und überwachte ihn.

      Und Grischa der Geiger fuhr in seine zerschlissenen Galoschen, hängte sich seinen abgeschabten Schafpelz um, stülpte die verblichene blaue Schirmkappe auf das lange blonde Haar und nahm seine Violine.

      „Gut denn — ich spiele!“ sprach er zerstreut, „doch unter der Bedingung: ich bin ein Sohn des roten Russland und den Räten der Bauern und Arbeiter untertan! Sollte heute abend der Tod des grossen Genossen Litzband gemeldet werden, so bin ich zu erschüttert, um euch Bürgern weiter in die Ohren zu geigen. Ich klappe meinen Kasten zu und gehe nach Hause.“

      Draussen, vor

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