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      Georg Hermann

      Träume der Ellen Stein

      Roman

      Saga

      Träume der Ellen Stein

      German

      © 1929 Georg Hermann

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711517253

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      Vorspruch

      Da der Wirt behauptete, dass ihn die Steuern für das Haus auffrässen, und dass er seinen Mietern ein Geschenk mache, wenn er ihnen dort zu wohnen gestattete, so liess er seit Urzeiten im Haus nichts mehr machen, nicht einmal eine geplatzte Gummischeibe im Badezimmer. Der Mieterrat aber rechnete ihm vor, dass er an diesem Haus gerade gegen alle früheren Besitzer goldene Berge scheffle, weil er ja die meisten grossen Wohnungen mit der Zeit geteilt hätte, aber nicht die alten Mieten. Die Wohnungen waren mitten durchgeschnitten worden; und wie bei einem Regenwurm in gleicher Lage ein zweiter Kopf bei dem Schwanzstück nachwächst, so war hier, ähnlich, am Kopfstück, eine zweite Küche nachgewachsen ... Die ersten Wohnungen waren in der Inflation geteilt worden, und die anderen dann bei der Stabilisierung ... bis auf eine! Denn beide hatten unter den Mietern solcher Luxuswohnungen — wie sie Herr Brenneisen, der Wirt, stolz nannte — mächtig aufgeräumt. In der Inflation waren die alten Reichen verarmt, und in der Stabilisierung — warum eigentlich sagt man nicht Stabilisation? ... das würde sich schlecht und recht doch reimen! — waren die neuen Reichen verarmt, ohne dass aber deswegen die alten wieder an ihre Stelle gerückt wären. ‚Also, da der Wirt ja die meisten Wohnungen mit der Zeit geteilt hätte durch Einziehen einer oblatendünnen Rabitzwand in die Kegelbahn des hinteren Flurs, die wie eine empfindsame Membrane dem Schall gegenüber sich verhielt, und so jetzt für zwei Luxuswohnungen er mehr Miete erhielte, als er je für eine hätte beanspruchen können, so sehe man nicht ein ... und so weiter, und so weiter ...!‘ Ausserdem rechnete man dem Wirt seine schamlos bereinigten Hypotheken vor, derenthalben eine Fabrikbesitzerswitwe den Gashahn geöffnet hatte, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, wer nachher die Gasrechnung bezahlen sollte. Sie jedenfalls nicht mehr. Hätte es auch nicht gekonnt, selbst wenn man sie wieder ins Leben zurückgerufen hätte. Der Wirt aber stellte nur fest, dass er die Hypothek sogar teilweise in Dollars bezahlt hätte; vergass aber hinzuzusetzen, wieviel Greenbacks er als Lockspeise den fünfmalhunderttausend Papiermark hinzugefügt hatte. Wenn er sagte, dass man später dafür halb Berlin hätte kaufen können, so war das unglaubhaft und Übertreibung. Ebenso war es aber übertrieben, wenn die Mieter behaupteten, die Mieten müssten herabgesetzt werden, weil ihre Vornehmheit durch die Elvirabar litte. Auch entsprach es nicht ganz der Wirklichkeit, dass die Jazzkapelle sie in ihrem Schlummer störte. Im Laufe der Jahre hatten sie sich vorzüglich daran gewöhnt, schliefen ungewiegt dabei und wachten nur immer auf, wenn sie zufällig mal aussetzte. Was aber selten der Fall war. Ausserdem aber brächte die Elvirabar — so argumentierten die Mieter weiter — ihm, dem Wirt, ungezählte Tausende ein. Wogegen wiederum der Wirt beschwor, dass er dabei zusetze und nur der Kunst — denn ein Konferenzier ödete allnächtlich im Kreise einiger Komplizen, die wiederum von einem Dutzend nackter Beine akkompagniert wurden, die Gäste an — nur der Kunst ein Opfer brächte. Auch hätte sich ihm der Umbau und die feenhafte Ausstattung, die Fräulein Stein in einer Mieterversammlung einst den expressionistischen Harem genannt hatte, bis heute keineswegs verzinst, geschweige denn amortisiert. Was wiederum nicht der Wahrheit und den Tatsachen entsprach, da ja gerade an diesem Ausbau der erste Besitzer der Elvirabar Pleite gemacht hatte. Was — so seltsam ist das Leben! — auch wieder erstaunlich zu nennen ist, weil er ja die Handwerker nicht bezahlt hatte, und meinte, dass ihm das unmöglich gewesen wäre, da erstens die Gegend ein toter Fisch sei, und zweitens der Wirt ihm die Abendkassen gepfändet hätte.

      So also stand hier Aussage gegen Aussage ... und man begriff nicht, warum der Wirt, Herr Brenneisen, jedem, der es hören und nicht hören wollte, verkündete, dass er lieber ein einfaches Arbeiterhaus in der Müllerstrasse besässe, als drei solcher ruhigen und feinen Häuser mit Luxuswohnungen auf dem Kurfürstendamm; denn in der Müllerstrasse hätte man für seine Gutmütigkeit zwar auch keinen Dank, aber weniger Ärger. Was wiederum in mehrfacher Beziehung sich von der Wirklichkeit entfernte, denn das Haus lag gar nicht „auf“ dem Kurfürstendamm, sondern man konnte nur über drei Querstrassen weg von dem einen Eckfenster aus die kahlen Zweige der Rüstern des Kurfürstendamms in der staubgrauen Novemberluft noch gerade ahnen; und des Abends konnte man vom Kurfürstendamm her den Schimmer einer Lichtreklame konfettihaft in Dreissigsekundenpausen — wie das Warnungszeichen eines Leuchtturms — aufblitzen, schwinden und wieder aufblitzen sehen. Das war alles. Der Versuch nebenbei, den Besitzer der Elvirabar zu einem ähnlichen Dachfeuerwerk zu animieren (bei weitgehendem Entgegenkommen des Herrn Brenneisen für die Miete des Dachstuhls) war gescheitert oder doch vorerst als gescheitert zu betrachten.

      Und ruhig?! Den ganzen Tag gingen die Pistonsoli der Autos, die sich, was Geschwindigkeit und Lärm anbetraf, hier in der „stillen Nebenstrasse“ keinerlei Zwang auferlegten; und wenn fürder alle drei Minuten die Strassenbahn ihre Pflicht erfüllte, dann kam sie mit dem Brausen ferner Brandung schon von weitem angesaust, steigerte diesen ihren Ton, anschwellend wie eine Sirene, und liess ihn unvermittelt in einem hohen Zwitschern verklingen, wenn vor der Haltestelle die Bremse scharf angezogen wurde. So oft sie gutmütig war, die Elektrische, so klang der Ton nur wie das hohe Zwitschern einer Kohlmeise im Birnbaum; wenn sie jedoch schlecht gelaunt war, als ob ein Kind auf der Schiefertafel kratzt ... sofern man beide in eine vorsintflutliche Welt saurierhaft-vergrösserter Lebewesen verlegen will. Und sie war meist schlecht gelaunt.

      Im ganzen wäre aber der Herr Brenneisen auch wohl mit diesem Haus, wie mit seinen übrigen vierzehn, ganz gut ausgekommen — denn zum Schluss ist der Mensch dumm, nachlässig und geduldig, selbst als Mieter, und scheut Streit, auch wenn ihm Unrecht geschieht — und Herrn Brenneisens Taktik, um jeden Dreck von einem jungen Rechtsanwalt geharnischte Briefe schreiben zu lassen, hätte sich wohl auch hier gut bewährt, wenn nicht an der Spitze des Mieterrats ein Fräulein, ein ältliches Fräulein gestanden hätte, die Herr Brenneisen aus innigster Seele zu hassen gelernt hatte, und vor der er, der doch sonst ein tapferer Mann war, eine Heidenangst hatte, weil er genau wusste, dass sie ihm über war. Und sie brauchte ihn nicht. Aber er sie. Erstens hatte sie die grösste Wohnung im Haus, die einzige, die noch ungeteilt war; zweitens war dieses ältliche Fräulein von durchaus solidem Reichtum, so dass er ihr nicht imponieren konnte. Drittens war sie ihm an Dialektik fünffach überlegen; und viertens behandelte sie ihn mit einer ausgesuchten Höflichkeit, war weder aus der Ruhe, noch aus der Fassung zu bringen, und durchtränkte jedes gesprochene und geschriebene Wort mit einer unfassbaren Ironie, die ihn innerlich zerplatzen liess, ohne dass sie ihm einen Grund gab, auch nur grob zu werden. Im Gegenteil: sie lockte ihn auf das Glatteis der gleichen Höflichkeit und liess ihn dann jämmerlich straucheln. Und nicht genug damit, sie organisierte sozusagen den Widerstand seiner Mieter ... er schmeckte ihren Ton aus deren Briefen heraus, so dass er sich gleichsam wie ein gehetzter Eber von dreissig ihresgleichen ständig umstellt und in die Enge getrieben fühlte. Ja, als er einmal geäussert hatte, er würde gern, um den Ärger los zu werden, Fräulein Stein das Haus zum Selbstkostenpreis überlassen — möge sie dann sehen, wie sie auf ihre Rechnung käme — zog jene nur vor versammeltem Kriegsvolk ein Scheckbuch aus der Handtasche und sagte, sie würde sofort ihm einen Scheck über die fünfhundert Mark ausstellen, die er 1921 für das Haus gegeben hätte. Nein ... mit der wurde er nicht fertig!

      Trotzdem aber wagte er ihr nicht zu kündigen, denn grosse Wohnungen sind schwer los zu werden; und, wenn er sie teilen liesse, das machte Kosten, und wer weiss, wen er dann bekäme. Sicher niemand, der für die Miete so gut wäre, und der ausserdem noch die Hälfte des

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