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Ernste, mein Lieber!«

      »Mein Lieber!« Diese beiden Worte gingen ihm durch Leib und Seele, durch Mark und Bein. Seine Augen funkelten. Er trat einen Schritt näher.

      »Ich würde Sie umarmen dürfen?«

      »Ja.«

      »Und küssen!«

      »Und küssen!« nickte sie.

      »Gut, so will ich mein Amtsgewand abwerfen, solange ich bei Ihnen bin. Der Mensch ist zunächst für die Erde und dann erst für den Himmel geschaffen, und den einzigen Himmel auf Erden findet man nur durch ein schönes, liebevolles Weib!«

      Er streckte die Hände aus; er wollte sich ihr nähern. Sie machte aber eine abwehrende Handbewegung und gebot:

      »Halt! So schnell und leicht nicht. Jede Liebe muß verdient sein! Sagen Sie zunächst, ob mein Mann in diese hübsche Marie Bertram wirklich verliebt ist.«

      »Er ist ganz verteufelt auf sie!«

      »Ist sie denn so sehr viel hübscher als ich?«

      »Ganz und gar nicht! Was denken Sie, gnädige Frau! Sie sind tausendmal entzückender als dieses Mädchen! Für Sie könnte man durch Feuer und Flammen gehen!«

      »Auch Sie?«

      »Auch ich! Noch eher und williger als tausend Andere!«

      »Und wenn ich Sie nun beim Worte halte?«

      »Thun Sie es! Thun Sie es!« rief er begeistert.

      Sein Inneres glühte von den Flammen, welche das Weib in ihm angefacht hatte. Er wäre in diesem Augenblicke zu Allem fähig gewesen, was sie von ihm verlangt hätte.

      »Gut, mein Lieber, ich werde Sie auf die Probe stellen!«

      »Wann? Womit? Was soll ich thun?« fragte er begierig.

      »Das wird sich finden. Zunächst will ich Ihnen aufrichtig sagen, daß ich einen treuen Freund brauche, auf den ich mich verlassen kann.«

      »Ich werde es sein, gnädige Frau! Ich will Ihnen dienen und gehorchen in Allem, was Sie von mir fordern!«

      »Auch gegen meinen Mann?«

      »Auch gegen ihn, wenn Sie befehlen!«

      »So sind wir einig. Gehen Sie jetzt. Es wird die Zeit kommen, in der ich Sie brauche, und dann wird die Liebe auch Gelegenheit finden, Sie reich zu belohnen!«

      Sie streckte ihm ihre Hand entgegen; er ergriff dieselbe und küßte sie. Dann ließ er sich auf ein Knie vor ihr nieder, erhob die Hand zum Schwur und sagte:

      »Ich erkläre Ihnen hiermit an Eides Statt, daß Sie über mich verfügen können zu jeder Zeit, bei Tag und Nacht, und daß ich Ihnen treu und ergeben sein werde bis zu meinem Tode!«

      Dann entfernte er sich.

      »Scheusal!« murmelte sie, während sie eine Geberde des Abscheues machte. »Ich werde ihn nothwendig brauchen; aber ich werde ihn benützen und dann zertreten, diesen elenden Wurm!« –

      Der Gegenstand dieser Audienz, Marie Bertram, hatte mehr mechanisch oder automatisch, als infolge besonderen Nachdenkens dem Gebote, welches ihr ertheilt worden war, Folge geleistet. Sie hatte das Zimmer gereinigt und sich dann zum Ausgehen angekleidet. Es war ihr so dumpf im Kopfe, als hätte sie einen Keulenschlag erhalten. Ihr Herz schien leer zu sein, und doch war es nur die unendliche Traurigkeit, welche sie fast von Sinnen brachte.

      Sie ging aus, die Straße hinab, mit Schritten, als ob ihre Füße an Stricken gezogen würden. Sie begab sich nach dem Gefängnisse, um nach dem Bruder und dem Geliebten zu fragen. Man sagte ihr, daß Beide anwesend seien, aber man erlaubte ihr nicht, sie zu sehen oder gar mit ihnen zu sprechen.

      Von da begab sie sich nach dem Gottesacker. Die Leichenhalle war verschlossen, und auf ihre Bitte erklärte ihr der Todtengräber, daß er ihr nicht öffnen dürfe.

      Nun wandelte sie zwischen Gräbern umher, eine lange, lange Zeit. Sie dachte nicht an Essen und Trinken. Sie hatte weder Hunger noch Durst. Sie fühlte nichts, gar nichts. Sie wandelte unter Todten und war selbst eine wandelnde Leiche.

      Endlich verließ sie den Kirchhof und kehrte zurück. Da schlugen die Glocken die Stunde. Sie blieb stehen und zählte. Hierbei kam ihr der erste, klare, geordnete Gedanke: Um die jetzige Zeit war sie ja in das Stickgeschäft bestellt. Sie wandte den Schritt dorthin und trat ein. Aller Augen richteten sich auf sie, und die Verkäuferinnen flüsterten heimlich miteinander.

      Die Besitzerin wurde herbeigerufen. Als sie das Mädchen erblickte, machte sie ein höchst zorniges Gesicht und fragte:

      »Nicht wahr, Marie Bertram ist Ihr Name?«

      »Ja,« murmelte die Gefragte vor sich hin.

      »Sind Sie nicht die Schwester des Robert Bertram, welcher mit dem Riesen Bormann arretirt worden ist?«

      »Ja.«

      »Und die Geliebte des Mechanikus Fels, den man gestern auch eingezogen hat?«

      »Ja.«

      »So, so! Auf solche Verwandtschaft und Bekanntschaft können Sie sich fürchterlich viel einbilden! Sie kommen wegen Ihrer Stickerei?«

      Marie hielt die Augen voll und offen auf die Sprecherin gerichtet. Diese Augen schienen todt und leer zu sein; aber das war eine Täuschung. Es glänzte darin, tief unten, eine ganze, gewaltige Thränenflut. Hätten sich einzelne Tropfen aus diesem See lösen können, wie wohl, wie wohl hätte das diesem schwer geprüften Herzen gethan! Aber diese Fluth wollte mit einem Male herausbrechen, und da kam denn kein einzelner Tropfen zum Vorschein. Sie hörte, was man zu ihr sagte; sie gab auch Antwort; aber der Jammer hielt ihren Geist so fest gepackt, daß er sich nicht selbstständig zu regen und zu bewegen vermochte.

      »Ja,« antwortete sie auch auf die letzte Frage.

      »Da haben Sie ein schönes Unheil angerichtet! Der Fleck läßt sich nicht entfernen. Der Chemiker sagt, daß es nicht ein Oel, sondern eine geradezu raffinirte Mischung verschiedener Fette und Oele sei. Er meint, daß der Fleck mit Fleiß gemacht worden ist!«

      Sie schien jetzt eine Bemerkung zu erwarten; da Marie aber schwieg, so fuhr sie fort:

      »Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß die Stickerei für die Frau Baronin von Helfenstein ist. Diese hat sämmtliche Auslagen getragen. Das Material wird ungefähr vierzig Thaler gekostet haben. Ich getraue mich nicht hin zu ihr. Sie mögen selbst gehen, und den Sturm aushalten. Hier ist das Paquet!«

      Marie griff zu und drehte sich um, sich wortlos zu entfernen. Das lag aber nicht im Plane dieser Dame.

      »Halt!« rief sie. »Bleiben Sie noch! Der Schwester und Geliebten von zwei Dieben darf ich das nicht allein anvertrauen. Es wird Jemand mit Ihnen gehen, um dafür zu haften, daß nichts verloren gehe. Warten Sie also noch!«

      Auch diese Demüthigung nahm Marie wortlos hin. Nach einiger Zeit wurde ihr ein Arbeitsmädchen beigegeben, um sie zur Baronin zu begleiten. Dort angekommen, wurden Beide vorgelassen. Marie sprach kein Wort; die Andere mußte die Angelegenheit vortragen. Die Baronin gerieth in einen außerordentlichen Zorn. Sie hatte Monate lang auf diese Stickerei gewartet, um sie zu dem nächsten Weihnachtsfeste anzulegen, und nun war das unmöglich geworden. Sie erklärte den beiden Mädchen, daß sie mit ihnen nichts zu thun habe, sie sollten die Arbeit wieder mitnehmen; sie selbst aber werde sich wegen des Schadenersatzes an die Principalin halten.

      Auch diesen Sturm ließ Marie über sich ergehen, ohne ein Wort zu sprechen. Und als sie während des Rückweges den Mund ebenso wenig öffnete, sagte ihre Begleiterin:

      »Sie dauern mich. Ich ahne, daß Sie nicht schuldig sind. Was will die Herrin noch mit Ihnen machen? Gehen Sie in Gottes Namen nach Hause Ich werde die Stickerei überbringen.«

      Hierauf ging Marie schweigend heim. Sie schritt wie im Traume der Wasserstraße zu und stieg hierauf in ihre Wohnung. Dort setzte sie sich auf die alte Matratze und vergrub das Gesicht in die Hände, bis draußen

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