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Mit Hilfe derselben fand sie oben auf dem Fenstersteine einen festen Halt.

      Jetzt probirte er den Aufstieg. Die Leiter war sehr dünn gearbeitet, zeigte sich aber als unzerbrechlich und zuverlässig. Er kam glücklich oben an und blickte in das Zimmer.

      Da lag sie auf ihrem Ruhebette, so schön, so hold, wie er noch kein Mädchen gesehen hatte.

      »Himmelelement!« flüsterte er. »Ist das ein Prachtmädel! Der reine Engel! Da ist mein Weib denn doch nichts dagegen! Aber dafür hat die einen Jungen! Hm, sie dauert mich fast! Was ich heute doch so weichherzig bin! Es ist mir, als ob ich sterben sollte!«

      Er griff in die Mappe, welche er sich an einer Schnur wie eine Tasche umgehängt hatte, und nahm ein Pflaster heraus, welches er an die Fensterscheibe klebte. Er hatte in solchen Dingen die Geschicklichkeit eines Virtuosen erlangt. Ein kurzes, ganz, ganz leichtes Klingen und dann war es wieder still! Er schaute und lauschte hinein – die holde Schläferin war nicht aufgewacht!

      Die Tafel war entfernt. Er langte hinein, öffnete die Wirbel und stand im nächsten Augenblicke im Zimmer. Fanny schlief noch immer. Er trat näher und betrachtete sie.

      »Wie von einem Künstler gemalt!« dachte er. »Es ist fürchterlich grob von mir, aber ich kann nicht anders, ich muß.«

      Er zog den Knebel und die Schnuren hervor.

      »Also jetzt! Eins – zwei – alle Teufel! Was ich heut so zaghaft bin! Was hat das zu bedeuten? Fast ist es mir, als ob ich mein eigenes Weib fesseln und knebeln solle. Aber es muß sein. Ich habe keine Zeit, zu warten. Also Eins – Zwei –«

      Auch jetzt zögerte er noch. War es die Schönheit, die Reinheit des vor ihm liegenden Mädchens oder war es das erwachte Gewissen – er trat einige Schritte zurück. Da aber war es ihm, als ob er in der Ferne ein Geräusch vernehme. Das brachte ihm die Gefährlichkeit seiner Lage in das Gedächtniß zurück. Das Fenster war geöffnet; er hatte an demselben gestanden. Wie leicht konnte er von dem Hause da drüben aus gesehen werden.

      Er trat rasch hinzu – ein unterdrückter Schrei, ein kurzes und vergebliches Kämpfen des schönen Mädchenkörpers gegen die herkulischen Kräfte des Riesen – dann lag sie da, geknebelt und gebunden, die angstvollen Augen auf ihn gerichtet. Er nickte ihr beruhigend zu und sagte halblaut, um nicht möglicher Weise im Nebenzimmer gehört zu werden:

      »Keine Angst, Gnädige! Ich thue Ihnen nichts! Ich will mir nur einige Pretiosen von Ihnen leihen. Kennen Sie mich?«

      Sie schüttelte den Kopf. Dieses Mädchen mußte kräftige Nerven haben, da sie nicht vor Angst in Ohnmacht gefallen war.

      »Ich bin der Riese Bormann. Sie können das morgen aller Welt sagen. Ich bin auch da kürzlich bei einem Uhrmacher eingebrochen. Aber thun werde ich Ihnen nichts. Ah, der Schlüssel steckt!«

      Er öffnete das Tischchen und zog Alles hervor, was sich darin befand. Sie konnte ihn natürlich nicht sehen, sie konnte sich auch nicht bewegen, aber das Klirren der goldenen Ketten und Ringe wurde plötzlich durch den Ruf unterbrochen:

      »Zurück, Bösewicht!«

      Wer war es, der diesen Ruf ausstieß? –

      Als Robert Bertram, ganz glücklich, im Besitze von fünfzig Thalern zu sein, das Haus des Juden verlassen hatte, war es zunächst seine Absicht gewesen, nach Hause zu gehen, um die Seinen durch die frohe Botschaft von ihrem Herzeleid zu befreien, aber er dachte an den schuldigen Hauszins und an die Drohungen, welche der Vorsteher gestern ausgesprochen hatte. Daher beschloß er, lieber zuerst diesen aufzusuchen.

      Er traf ihn daheim, jedoch zum Ausgehen bereit, und grüßte ihn höflich. Herr Seidelmann erwiderte den Gruß kalt und von oben herab und sagte:

      »Kommen Sie endlich! Jedenfalls ist es nur Ihre Absicht, um Nachsicht zu bitten! Das ist aber umsonst!«

      »Das weiß ich!« antwortete Robert ruhig.

      »Wie? Das wissen sie? Und dennoch sind Sie da?«

      »Wie Sie sehen, Herr Seidelmann!«

      »So gehen Sie nur gleich wieder fort! Morgen werden Sie auf die Straße gesetzt! Ich hatte mir vorgenommen, es bereits heute zu thun.«

      »Sie werden doch die Güte haben, uns wohnen zu lassen!«

      »Sie irren sich sehr! Und in dem Tone, welchen Sie gebrauchen, trägt man übrigens keine Bitten vor!«

      »So viel ich weiß, komme ich nicht um zu betteln, sondern um zu bezahlen!«

      Der fromme Mann fuhr erstaunt zurück.

      »Bezahlen – be – zah – len?« fragte er gedehnt.

      »Wie Sie hören!«

      »Fast traue ich meinen Ohren nicht recht! Woher haben Sie denn das Geld?«

      »Darüber habe ich Ihnen keine Rechenschaft zu geben!«

      »Nicht? Ah! Mir, dem Armenversorger? Ich will doch hoffen, daß es auf ehrliche Weise in Ihre Hände gekommen ist! Das siebente Gebot lautet: Du sollst nicht stehlen! Und wenn ich –«

      »Herr!« unterbrach ihn da Robert. »Was fällt Ihnen ein! Sagen Sie noch einmal ein solches Wort, und Sie sollen sehen, was ich thue!«

      Der Vorsteher zog sich hinter einen Tisch zurück, blickte sich ängstlich nach einer Vertheidigungswaffe um und schrie:

      »Was wollen Sie thun? Mich vielleicht anfallen und berauben? Ich werde um Hilfe rufen und Sie wegen Hausfriedensbruch, Drohung und Nöthigung verklagen lassen!«

      »Thun Sie das! Vorher aber nehmen Sie das Geld und fertigen mir darüber eine Quittung aus!«

      »Gut! Das will ich thun! Das ist meine Pflicht, meine schwere, mühevolle und undankbare Pflicht. Bei der Administration solcher Häuser erntet man nur Ärger und Gefahr des Leibes und des Lebens. Doch rechne ich dabei auf Gotteslohn, welcher dem Gerechten nicht versagt bleiben wird.«

      Er kam hinter dem Tische hervor, setzte sich an demselben nieder und schlug ein dickes Buch auf. Dann warf er einen forschenden Blick auf den Jüngling und fragte:

      »Sie wollen doch Alles bezahlen?«

      »Alles!«

      »Können Sie das auch?«

      »Ja.«

      »Wissen Sie, wieviel Sie schuldig sind?«

      »Sehr genau.«

      »Ich zweifle daran!«

      »Sie haben den Hauszins für –«

      »Oh, oh!« fiel der Administrator ein. »Den Hauszins blos?«

      »Ja. Was sonst weiter?«

      »Acht Prozent Zinsen vom Verfalltage an.«

      »Ah!« sagte Robert erstaunt.

      »Und die Quittungs- und Buchungsgebühr!«

      »Die Quitt – Was sind das für Gebühren?«

      »Und die Anwaltskosten!«

      »Herr Seidelmann, ich weiß wirklich nicht, was Sie meinen!«

      »Das glaube ich Ihnen! Ja, das glaube ich Ihnen! Wer Liebesgedichte schreibt und liest, der pflegt in den Angelegenheiten des weniger poetischen Lebens gewöhnlich ein Lüdrian zu sein. Ich muß Ihnen leider erst erklären, welche Pflichten Sie zu erfüllen haben!«

      Er setzte sich in Positur, opferte seiner Nase eine Prise, legte sein Gesicht in strenge Falten und sagte:

      »Sie sind den Miethzins schuldig geblieben?«

      »Leider, ja.«

      »Diese Schuld mußte gebucht werden!«

      »Ich glaube es.«

      »Sie sind Schuld, daß diese Arbeit nöthig wurde und haben also die Kosten derselben zu bezahlen.«

      »Von solchen Kosten habe ich

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