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gelöst sein werde.

      Der Herr des Hauses eilte ihm entgegen, um ihn zu seiner Dame zu bringen. Natürlich fand sich auch sofort die Tochter der Beiden ein. Es war das Diejenige, von welcher Helfenstein mit seiner Frau gesprochen hatte.

      Fanny von Hellenbach zählte achtzehn Jahre und war eine hohe, königliche Erscheinung. Sie trug ein weißseidenes Gesellschaftskleid mit langer, schwerer Schleppe. Als sie daherkam und sich vor dem Fürsten verneigte, war es, als ob sie es sei, die ihm eine Ehre erweise. Trotzdem sie nichts weniger als hager gebaut war, umfloß sie eine Eleganz, eine Zierlichkeit, wie man sie nur bei wirklich vornehmen Damen findet.

      Ihr dunkles Haar war nicht sehr lang, aber um so voller, ihre Stirn vielleicht etwas zu hoch und zu breit, aber desto gedankenreicher. Sie war mehr als brünett, und so stachen zwei große hellgraue, wunderbar verständige Augen umsomehr von dem Anderen ab.

      Nachdem nun der Fürst die Glieder der Familie kannte, verbat er sich jede weitere Vorstellung. Man mußte ihm willfahren, obgleich Alle vor Begierde brannten, ein Wort aus seinem Munde zu hören. Er aber zog sich in die Nische eines Fensters zurück und schien dort tief in Gedanken versunken zu sein, während er doch Alles scharf und genau beobachtete. Er sah, wie gefeiert die Tochter des Hauses war; er bemerkte, daß man sie nach dem Instrumente nöthigte; sie sträubte sich und mußte endlich nachgeben. Nach einem kurzen Präludium ertönte aus ihrem schönen Munde folgendes Lied:

      »Es glänzt der helle Thränenthau

      In Deinem Aug', dem todesmatten;

      Du sehnst Dich nach des Himmels Blau

      Hinaus aus düstrem Waldesschatten.

      Es rauscht der Bach am Felsenspalt

      Sein melancholisch Lied:

      Hier ist's so eng, hier ist's so kalt,

      Wo nie der Nebel flieht!

      Du meine süße Himmelslust

      O traure nicht, und laß das Weinen!

      Dir soll ja stets an treuer Brust

      Die Sonne meiner Liebe scheinen.

      Drum schließe Deine Augen zu,

      Worin die Thränen glühn;

      Ja, meine wilde Rose, Du

      Sollst nicht im Wald verblühn!«

      War der Text, den er bei ihrer ausgezeichneten Aussprache Wort für Wort genau verstehen konnte, schon an sich in Beziehung sowohl auf Gedankeninhalt als auch auf den Ausdruck ein dichterisches Meisterwerk, so fühlte sich der Fürst am Schlusse des Vortrages von der innigen, seelenvollen und doch resoluten Composition tief ergriffen. Fanny von Hellenbach hatte eine tiefe, kräftige Altstimme, welcher aber doch die Wiedergabe contemplativer Gefühle geläufig war. Ihre Stimme war der Vox humana der Orgel ähnlich, wenn sie vollständig rein und ohne jenes Streichen getroffen ist, welches die Viola di Gamba in höherem Maße zu besitzen pflegt.

      Sie wies den stürmischen Applaus durch eine Verbeugung von sich ab und zog sich dann nach einem Weilchen in ein Nebenzimmer zurück.

      Diese Fanny war ein Mädchen von seltenen und ebenso glänzenden Eigenschaften. Der Fürst fühlte das Verlangen, sie kennen zu lernen, erhob sich von seinem einsamen Platze und folgte ihr, was bei der Versammlung nicht wenig Erregung hervorrief.

      Sie stand an einem Fenster und blickte durch die von der Wärme des Zimmers abgethauten Scheiben in die schneehelle Nacht hinaus. Dieses Fenster ging nach hinten in den Hof. Hinter dem Letzteren schien ein Garten zu liegen, und dann stiegen hohe Häuser, welche zur Wasserstraße gehörten, dunkel empor, die weitere Aussicht verschließend.

      Als sie Schritte hinter sich vernahm und, sich herumdrehend, den Fürsten erblickte, erröthete sie, ein Wenig vor Freude und auch ein Wenig vor Bangigkeit. Daß er, der sich von den Anderen zurückgezogen hatte, in so auffälliger Weise sie aufsuchte, war ohne Zweifel eine Auszeichnung für sie. Aber würde sie mit ihren gesellschaftlichen Kenntnissen und Erfahrungen auch vor ihm bestehen können?

      So fragte sie sich.

      Der Fürst war ein wunderbar schöner Mann. Er konnte nicht viel über vierzig Jahre zählen. Man wußte, daß er aus Ostindien kam, doch war sein Teint keineswegs gebräunt, sondern im Gegentheil von einer Weiße und Reinheit, als ob er stets im Norden Europa's gelebt habe. Sein Haar war tiefdunkel und voll, sein Bart ebenso. Sein Gesicht zeigte zwei Narben. Die eine ging quer über die Stirn und Nasenwurzel hinweg, und die andere kam vom rechten Ohre herab, ging über die Wange und verlief sich in dem stattlichen Schnurrbarte, den er sicherlich mit keinem anderen vertauscht hätte. Eigenthümlicher Weise wurde das Gesicht durch diese beiden Narben keineswegs verunziert; sie gaben demselben im Gegentheile einen männlich unternehmenden Character und jenes eigenthümliche, undefinirbare Etwas, welches den Frauenherzen so gefährlich ist. Er trug eine einfache, aber feine Gesellschaftstoilette, ganz ohne alles Ueberladene; aber der einzige Ring, den man an seinen Händen bemerkte, zeigte einen Solitair, welcher sicherlich den Werth von einer halben Million hatte.

      Wie würde er beginnen, und wie würde sie zu antworten haben? fragte sie sich. Aber ohne alle gesellschaftlichen Floskeln sagte er einfach:

      »Ich bin Freund der Dicht- und Tonkunst, mein Fräulein. Noch nie hörte ich das von Ihnen vorgetragene Lied. Darf ich mich erkundigen, von wem es ist?«

      Da befand sie sich ja mit einem Male in ihrem liebsten und bekanntesten Fahrwasser.

      »Das Lied, das heißt der Text ist von Hadschi Omanah, Durchlaucht,« antwortete sie.

      »Hadschi Omanah? Das ist ein mohammedanischer Geschichtsschreiber, welcher im sechzehnten Jahrhunderte lebte. Einen Zweiten dieses Namens kenne ich nicht, und doch kann es unmöglich dieser sein.«

      »Vielleicht ein Pseudonym?«

      »Das ist möglich, sogar wahrscheinlich. Und der Componist, meine Gnädige?«

      Sie erröthete ein Wenig, indem sie antwortete:

      »Der Componist spricht mit Ihnen, Durchlaucht.«

      »Wie? Ist's möglich! Sie haben dieses Lied in Musik gesetzt?«

      »Ich habe es gewagt!«

      »Ja, es ist allerdings ein Wagniß! Ein Lied, oder zum Beispiel ein Salonstück für das Clavier zu componiren, das ist ein sehr, sehr großer Unterschied. Sie haben Ihre Aufgabe vortrefflich gelöst, mein Fräulein. Und das konnten Sie blos, weil Sie ein vortreffliches Herz besitzen. Ein herz- und seelenloser Mensch wird nie ein Lied componiren können.«

      Das war gar nicht die auffällige, aufdringliche Weise, in welcher Andere ihr Beifall zu spenden pflegten. Er sprach so einfach, und doch hörte man es, daß er ganz anders hätte sprechen können. Er sprach wie ein Bruder zur Schwester, ohne allen rednerischen Schmuck, ohne alle Verzierung. Seine Stimme hatte einen eindringlich herzlichen Klang. Seine Sprache hatte zwar etwas Fremdartiges, aber er war des Deutschen ganz und gar mächtig. Sie fühlte sich ganz herzlich zu diesem Manne hingezogen.

      »Wie schade, daß ich nun die Componistin und Sängerin, nicht aber den Dichter kenne,« fügte er hinzu.

      »Ist Ihnen sein Buch nie in die Hand gekommen, Durchlaucht?«

      »Niemals.«

      »Hier liegt es sogar.«

      Sie trat an ein Tischchen, auf welchem mehrere Albums lagen, und nahm von dort den bekannten Saffianband mit der Aufschrift ›Heimaths-, Tropen-und Wüstenbilder‹. Sie reichte ihm das Buch dar. Während der darinnen leicht blätterte, bemerkte sie:

      »Eigenthümlich, daß Ihr Name darin vorkommt!«

      »Mein Name? Ah, das wäre allerdings eigenthümlich!«

      »Ja. Als wir zum ersten Male hörten, daß ein Fürst von Befour hier angekommen sei, schlugen wir alle Hof- und Adelskalender nach – vergebens. Sie wissen, Durchlaucht, Damen sind stets wißbegierig. Um so mehr verstimmt wurden wir, als auch in keinem Lexikon dieses Wort zu finden ist.«

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