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Mehrere sind dazu nicht nöthig, denn der Brandt ist doch kein Räuberhauptmann. Uebrigens denke ich, daß er nicht sehr lange im Zuchthause sein wird. Vielleicht zwanzig Jahre. Nach den ersten fünfzehn Jahren darf er um Entlassung anhalten, wenn er sich gut geführt hat und nicht bestraft worden ist.«

      »Christian,« sagt der Schmied erstaunt, »ich bin ganz perplex über Deine Kenntnisse! So kurze Zeit erst im Dienst, kennst Du doch Alles schon so genau, wie ein Justizminister!«

      »Nicht wahr? Ja, ich will auch schnell steigen!« meinte der gute Junge. »In zehn Jahren kann ich Oberschließer sein. Vielleicht gehe ich gar zu der Steuer über und werde Grenzaufseher. Dann lasse ich mich nach Helfenstein versetzen und heirathe die Gustel oder die Karline, wenn sie mir bis dahin nicht zu alt und dumpfig geworden sind. Also, wie steht es mit den zwei Glas Bier?«

      »Die hast Du gewonnen!«

      »Aber trinken darf ich sie leider nicht. Meine Zeit ist vorbei. Ich muß zur Fütterung.«

      »So? Wen füttert Ihr denn?«

      »Die Gefangenen!«

      »Ach so! Ich dachte, andere Kreaturen! Na, füttern werdet Ihr sie wohl, aber nudeln nicht! Da Du das Bier jetzt nicht trinken kannst, so will ich Dir lieber das Geld geben. Hier hast Du einen Gulden.«

      »Sapperlot! Das ist zu viel!«

      »Nimm es nur! Vom Gevatter Deines Vaters, also von Deinem Pathen kannst Du es schon annehmen! Nicht?«

      »Ja, das denke ich auch. Also einen Gruß an die Eltern! Sie mögen immerhin erfahren, welche Geheimnisse man mir anvertraut und welche Kenntnisse ich schon besitze. Adieu.«

      »Adieu, Christian! Laß es Dir wohl ergehen im königlichen Dienste!«

      Sie trennten sich. Der Schmied hatte das, was er wissen wollte, viel, viel leichter erfahren, als er es für möglich gehalten hatte. Er kehrte mit dem nächsten Zuge nach der Heimath zurück. Auf dem Bahnhofe kaufte er sich eine Eisenbahnkarte, welche er mit nach Hause nahm.

      Dort angekommen, begab er sich mit seinem Sohne nach einem Kämmerchen, in welchem sie nicht belauscht werden konnten.

      »Ich bringe gute Botschaft,« sagte er. »Uebermorgen früh halb sechs Uhr fährt der Brandt in Begleitung des Wachtmeisters nach dem Zuchthause. Er ist zu lebenslänglichem Kerker begnadigt, ohne es zu wissen. Er wird es erst dort erfahren.«

      Der Sohn kratzte sich hinter den Ohren.

      »Daran sind wir schuld, Vater,« meinte er. »Wir müssen ihn unbedingt retten!«

      »Natürlich!«

      »Aber wie? Es wird wohl nur unterwegs gehen!«

      »Sonst nicht. Mein Plan ist fertig.«

      »Aber gefährlich wird es sein. Wir wagen das Leben und riskiren noch obendrein selbst das Zuchthaus!«

      »Das haben wir schon hundert Mal gethan! Zwei erfahrene Pascher, wie wir sind, werden es wohl fertigbringen, einen Menschen aus dem Coupee zu holen!«

      »Wie willst Du das anfangen? Das Abspringen während des Fahrens ist gefährlich. Ihr könnt Hals und Beine brechen, und dann steht die Sache noch schlimmer als vorher.«

      »So springen wir eben nicht im Fahren ab!«

      »Also während des Haltens auf einem Bahnhofe? Bist Du toll?«

      »Hat Dein Vater schon einmal etwas wirklich Tolles, Unsinniges unternommen? Ich dachte, Du würdest mich besser kennen! Höre mich einmal an! Die Strecke, welche Brandt fährt, hast Du stellenweise öfters auch schon benutzt?«

      »Sogar sehr oft!«

      »Kennst Du die Strecke zwischen Brandenau und Liebenstein?«

      »O, so gut wie meine Tasche! Hinter Brandenau geht es durch einen langen Tunnel und dann eine weite Strecke durch den Wald.«

      »Gut! Hinter dem Tunnel macht die Bahn eine ziemlich weite Curve, und dann geht sie schnurgerade über eine halbe Stunde lang durch den Wald. Hinter dieser Curve hast Du Dich rechtzeitig einzufinden.«

      »Ich? Was habe ich da zu thun?«

      »Ich weiß, daß dort im Walde viele große, einzelne Steine liegen. Ehe der Zug kommt, begeht der Bahnwärter die Strecke. Er darf Dich nicht sehen. Sobald Du den Zug kommen hörst, legst Du einen solchen Stein auf die Schienen.«

      »Donnerwetter! Soll der Zug verunglücken?«

      »Bei Leibe nicht! Die Bahn ist hinter der Curve so schnurgerade, daß der Maschinist den Stein zur rechten Zeit sehen wird und also halten kann. Das ist es grad, was ich will.«

      »Ah so! Ich verstehe! Du willst mitten im Walde mit ihm abspringen?«

      »Ja. Habe ich ihn einmal zwischen den Bäumen, dann soll ihn kein Mensch ergreifen. Dafür stehe ich ein.«

      »Wie ist meine Instruction weiter?«

      »Ich mache Dir ein Packet zusammen. Das nimmst Du mit und verbirgst es am Dachsberge, welcher nur eine halbe Stunde weit von jener Curve entfernt liegt. An der Seite des Dachsberges steht eine riesige Eiche, welche Du kennen wirst?«

      »Oh, sehr gut!«

      »Bei ihr treffen wir zusammen. Das Packet enthält Kleidungsstücke und allerlei Anderes für Brandt, wodurch wir ihn unkenntlich machen werden.«

      »Das wird sich erst finden, wenn wir wissen, was Brandt zu thun beschließt.«

      »Ich denke, daß er vor allen Dingen seine Eltern sehen will, um von ihnen Abschied zu nehmen.«

      »Das befürchte ich auch. Wir müssen uns also vorsehen. Die Hauptsache bei Allem ist, daß Du, nachdem Du die Kleider versteckt hast, auf Deinem Posten bist. Fehlst Du zur geeigneten Zeit, so kann Alles verloren sein, und der arme Teufel muß in das Zuchthaus.«

      »Natürlich werde ich da sein, und wenn es mir das Leben kosten soll. Natürlich tragen auch wir Beide falsches Haar und falschen Bart?«

      »Das versteht sich ganz von selbst. Ich ziehe mich als Viehhändler an, mit der Geldkatze um den Leib und der Peitsche über der Achsel.«

      »Wie aber willst Du in sein Coupee kommen?«

      »Das laß nur meine Sorge sein. Ich sitze bereits von der Residenz aus in dem Zuge. Ich muß wissen, in welchem Coupee er sitzt, und wenn ich erst unterwegs einsteige, ist es fast unmöglich, dies zu erfahren, ohne daß es auffällt. Diese Karte der Bahn steckst Du zu Dir, damit Du Dich orientiren kannst.« – –

      Am andern Abende trat ein Herr in das Gastzimmer eines Fremdenhauses der Residenz. Er war nicht nobel aber auch nicht schlecht gekleidet, hatte eine dicke Geldkatze um die Hüften geschnallt und eine biegsame Peitsche quer über die Achsel nach unten gebunden. Er verlangte eine Flasche Wein, aß gut und viel, bezahlte mit einem Ducaten, gab ein gutes Trinkgeld und fragte dann, ob er für diese Nacht ein Zimmer bekommen könne.

      Solche Gäste pflegen die Wirthe sehr gern zu sehen. Seine Frage wurde also sofort bejahend beantwortet. Er vertiefte sich einige Zeit lang in die Zeitung und ging dann schlafen, nachdem er seinen Namen und seinen Stand eingetragen hatte. Der Letztere lautete: Viehhändler. Droben im Zimmer ordnete er an, daß man ihn früh wecken solle, weil er bereits kurz nach fünf Uhr auf dem Bahnhofe sein müsse.

      Am anderen Morgen lag das Zellenhaus des Gerichtspalastes in schwarzer Finsterniß. Nur im Mitteltheile des Gebäudes brannte eine Lampe. Kaum aber hatte es fünf Uhr geschlagen, so wurde es in den langen, schmalen Corridoren licht und lebendig. Die Wärter und Schließer eilten von Zelle zu Zelle, um die Thüren zu öffnen, den Kaffee oder die magere Morgensuppe zu vertheilen und dann die Riegel wieder vorzuschieben.

      Die Zellen blieben von jetzt an wieder verschlossen. Nur eine einzige wurde bereits nach fünf Minuten wieder geöffnet. Der Wachtmeister selbst war es, welcher dies that. Es war finster im Innern, und nur der Schein, welcher von außen hineinfiel, erlaubte, eine männliche Gestalt zu erkennen, welche auf der Bank saß

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