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dann:

      »Ich weiß, um was Sie bitten wollen, Baronesse!«

      »O Gnade, Gnade! Majestät!« schluchzte sie.

      »Sie wollen, ich solle Gnade für ihn haben, für den Sie selbst keine gehabt haben! Ich soll ein Urtheil mildern, welches nur Ihretwegen so hart ausgefallen ist. Man hat mir den ganzen Verlauf der Untersuchung, auch den Verlauf der heutigen Verhandlung berichtet. Ich weiß, daß es vor allen Dingen Ihre Aussage ist, welche am Schwersten in die Wagschaale fiel – und doch war er Ihr Bruder! Liebe und Milde ist die Pflicht eines Weibes, auch der Schwester!«

      Jedes dieser Worte traf wie ein Pfeil, welcher sich in das Leben bohrt. Aus einem solchen Munde war seine Spitze doppelt scharf.

      »O, Majestät« schluchzte sie. »Konnte ich anders?«

      »Ich will das nicht untersuchen. Auch will ich ihn weder für schuldig, noch für unschuldig halten. Ich bemitleide Sie und ihn.«

      »Dank, Dank für dieses Wort! Darum aber auch Gnade für ihn, Gnade, Majestät!«

      »Glauben Sie, daß er um Gnade nachsuchen werde? Haben Sie die Worte seines Vaters vernommen, dieses braven, biedern Mannes, welcher seinen Sohn lieber unter dem Schwerte sehen, als unter dem Joche der Gnade sich beugen lassen will?«

      »Kann er den Tod erzwingen? Steht die Milde Eurer Majestät nicht über der Strenge des Gesetzes?«

      Der Monarch schüttelte langsam den Kopf und antwortete:

      »Ein Ehrenmann wird tausendmal lieber sterben, als Züchtling sein wollen. Aber gehen Sie, Ihre Bitte soll und darf keine vergebliche sein. Sie sind es nicht allein, welche Sympathie für den Verurtheilten hegt. Sein Blut wird nicht vergossen werden!«

      Er wendete sich ab und verließ den Saal. Sie erhob sich und wankte fort nach ihrem Wagen. Das Verhalten des Königs hatte sie hart getroffen, vielleicht ebenso hart wie die Ereignisse der letzten Zeit. Er, der sonst so Gnädige, hatte sie knieen lassen und, wenn auch ihr Verhalten nicht geradezu getadelt, so doch sich über dasselbe verstimmt gezeigt. Und dann war er ohne Abschied von ihr gegangen! Hatte sie das wirklich verdient? War nicht gerade der Umstand, daß sie, von der Verhandlung weg, um die Gnade des Königs nachgesucht hate, der beste und sicherste Beweis, welche Sympathie sie trotz Allem für den Milchbruder fühlte? Hätte sie wirklich gegen ihr Gewissen sprechen können?

      Solche Fragen legte sie sich vor, als sie in ihrem Hotel angekommen war. Sie mußte die Nacht über hier bleiben, da sie mit dem Abendzuge nicht bis zur Heimath gelangen konnte. Die anderen Zeugen hatten einen Zug benutzen können, welchen sie infolge ihrer Audienz beim Könige versäumen mußte.

      Sie verbrachte eine außerordentlich unruhige Nacht. Der Schlaf floh ihre Augen, und Vorwürfe tauchten gespensterhaft vor ihr auf. Wie gut, wie edel war Gustav stets gewesen! Wie muthig hatte er noch am letzten Tage vor dem Doppelmorde gehandelt, und mit welcher Nachsicht und Selbstbeherrschung war er ihrem Vater entgegengetreten. Konnte er wirklich so rachsüchtig, so gottlos sein? Tausend Stimmen in ihrem Innern antworteten mit Nein. Diese Stimmen hatten bisher geschwiegen, weil sie nicht gefragt worden waren. Ja, sie war schuld an Allem! Sie hatte ihn einen Mörder genannt und war feig in Ohnmacht gefallen. Anstatt dessen hätte sie sich an seine Seite stellen sollen, um ihn muthig zu vertheidigen. Sie hätte sich sagen sollen, daß während der Zeit, als sie von ihm ging und wiederkehrte, sich wirklich ein Anderer seines Gewehres bemächtigen konnte, um den Hauptmann niederzuschießen und ihn dann als Mörder zu bezeichnen. Jetzt traten alle Argumente des Vertheidigers vor ihre Seele; es war ihr, als ob sie plötzlich hellsehend geworden sei. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und rief in jammerndem Tone:

      »Ja, Gustav, Du bist unschuldig! Und ich bin es, ich, die Dich in das Elend gestürzt hat! Kein Gott kann mir verzeihen!«

      Sie beschloß, mit dem ersten Morgenzuge nach Helfenstein zurückzukehren, um dem Förster ihre Schuld zu bekennen und mit ihm zu berathen, wie sein Sohn noch gerettet werden könne. Sie telegraphirte nach Hause nach einem Geschirr, welches sie vom Bahnhofe der Amtsstadt abholen sollte, und stieg dann in das Coupee.

      Sie hatte erste Classe genommen; sie saß ganz allein. Sie blickte nicht hinaus nach den Landschaften, welche der Zug durcheilte, sie hörte nicht auf das, was man sich auf den Bahnhöfen und Anhaltestellen zurief. Allüberall war von dem Brande von Schloß Hirschenau die Rede. Sie war aber so sehr in ihr eigenes Innere versunken, daß sie für alles außer ihr Liegende kein Ohr, kein Hören und Verstehen hatte.

      Endlich war sie angelangt. Halb wie im Traume hörte sie den Namen der Station nennen. Ihr Diener war aus seiner zweiten Classe herbeigeeilt, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. Er hatte mehr gehört als sie; er wußte, was geschehen war, und blickte sie mit sichtbarer Besorgniß an. Sie bemerkte dies.

      »Was ist's!« fragte sie. »Was hast Du?«

      »Gnädiges Fräulein, haben Sie denn noch nichts gehört?« antwortete er.

      »Gehört? Nein. Wovon? Was meinst Du denn?«

      Er wurde sehr verlegen, zögerte eine Weile und sagte dann:

      »Es ist etwas Unerwartetes geschehen, etwas, was man sogar unangenehm, sehr unangenehm nennen – – ah, da kommt Einer, der es Ihnen jedenfalls besser sagen kann, als ich.«

      Er trat ehrerbietig zurück. Alma drehte sich um und erblickte – ihren Cousin Franz von Helfenstein.

      Dieser hatte am abgebrannten Schlosse ihre Depesche entgegen genommen und es sich nicht versagen wollen, ihr den Schlag, der sie erwartete, selbst zu übermitteln. Er war also nach dem Bahnhofe gefahren, um sie dort zu empfangen.

      Als sie ihn erblickte, erbleichte sie. Das war der Mörder! Was wollte er hier? Sie nahm sich vor, ihm zu zeigen, wie sehr sie ihn verachte und fragte im stolzesten Tone:

      »Sie hier? Sie fuhren mit demselben Zuge? Ich glaubte, Sie seien bereits gestern zurück gekehrt.«

      Sie nannte ihn Sie; sie blickte ihn mit Augen an, in denen ebenso viel Verachtung wie Abscheu lag. Er schien dies gar nicht zu bemerken, er zuckte leicht die Achseln und sagte:

      »Vielleicht konnten Sie nicht auch sogleich zurückkehren, weil Sie sich mit dem Mörder Ihres Vaters ein Rendez-vous in der Zelle gaben. Ich vermuthe das. Besser wäre es allerdings gewesen, wenn Sie das unterlassen hätten. Sind Sie von dem unterrichtet, was unterdessen in Helfenstein und Schloß Hirschenau geschehen ist?«

      Sie hatte seine freche Beleidigung mit aller Entschiedenheit zurückweisen wollen, aber bei seiner letzteren Frage war sein Auge mit so triumphirendem Hohne auf sie gerichtet, daß ihr das Blut in den Adern stockte. Es durchschauderte sie, als ob er mit gezücktem Degen vor ihr stehe, um ihr einen tödtlichen Hieb zu versetzen.

      »Nein,« antwortete sie leise und zagend.

      »Nicht? So geben Sie mir Ihren Arm. Wir müssen hier ein Zimmer aufsuchen.«

      »Warum soll ich es nicht hier, sondern im Zimmer vernehmen?«

      Er stieß ein kurzes, cynisches Lachen aus und antwortete:

      »Weil Sie in Ohnmacht fallen werden, wie ich im Voraus weiß.«

      Damit zog er sie fort. Sie nahm sich vor, nun grad ihm zum Trotze stark, sehr stark zu sein und nicht in Ohnmacht zu fallen, möge auch kommen, was da wolle. Im Wartezimmer erster Classe angekommen, wo nur wenige Gäste anwesend waren, zog sie ihren Arm aus dem seinigen und sagte:

      »Nun, darf ich um Ihre Mittheilung ersuchen?«

      »Bitte, halten Sie sich an diesem Stuhle fest!« antwortete er höhnisch. »Was ich Ihnen zu melden habe, ist nichts weniger als angenehm. Wünschen Sie, daß ich Ihnen eine vorsichtige Einleitung mache?«

      »Sprechen Sie!« gebot sie ihm stolz und kalt.

      »Gut. Heute Nacht ist Schloß Hirschenau bis auf die Mauern niedergebrannt.«

      Sie erbleichte, doch zeigte sie keine Schwäche.

      »War das Feuer angelegt?« fragte sie.

      »Nein;

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