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doch ganz genau, wie es bei uns steht. Mutter hat kein Vermögen. Was ihre Kunst einbringt, und mehr als das, verschlingt unser Haushalt, Soll sich etwa Mutter am Munde absparen, was du leichtsinniges Huhn verschwendet hast?“

      „Ja, was soll dann …? Mit Vorwürfen schaffst du die Sache auch nicht aus der Welt, Helen.“

      Helen hat eine kleine, tiefe Falte auf der Stirn. „Die Rechnung muß bezahlt werden,“ sagt sie schließlich. „Du mußt unter allen Umständen bis auf weiteres von deinem Gehalt monatlich fünfzig Mark dafür hergeben. Ich werde jeden Monat hundert beisteuern.“

      „Du, Helen?“

      „Ja, aber nur, damit Mutter nichts erfährt,“ sagt Helen rasch, als wollte sie allen Dank von vornherein abwehren. „Es fällt mir schwer genug, aber es muß sein.“

      Sylvia sitzt mit gesenktem Kopf und beißt sich auf die Lippen. Helen verdient beim Rundfunk knapp dreihundert Mark im Monat. Davon gibt sie hundertfünfzig zum gemeinsamen Haushalt. Wenn sie jetzt noch hundert Mark zur Bezahlung der Schuld beisteuern will, so bedeutet das für Helen Verzicht auf alle kleinen Vergnügungen und Annehmlichkeiten. Auch den Regenmantel, von dem sie seit langem schwärmt, wird sie sich nicht kaufen können. Sylvia hat im Grunde ein weiches, viel zu weiches Herz. Sie muß sich bezwingen, um nicht vor Rührung nasse Augen zu bekommen. Aber andererseits ist da auch ein Gefühl der Abwehr in ihr. Helen, obwohl zwei Jahre jünger, hat etwas Ernstes, Schulmeisterliches an sich. Wenn sie jetzt hilft, werden die Ermahnungen und Vorwürfe kein Ende nehmen. Man steht sozusagen unter Kuratel und darf nicht mal dagegen aufmucken.

      „ Also ich werde morgen zu Bendler & Croy gehen und mit den Leuten sprechen,“ sagte Helens ruhige Stimme. „Hoffentlich sind sie mit den Ratenzahlungen, die ich vorschlagen werde, einverstanden. Die erste Rate von hundertfünfzig Mark werde ich gleich mitnehmen. Du gibst mir dann am Letzten, wenn du dein Gehalt bekommst, fünfzig Mark wieder.“

      Sylvia hebt mit einem Ruck den Kopf. „Warte noch einen Tag damit, Helen! Ich … will versuchen, die Sache selbst zu deichseln.“

      „Unsinn, Sylvia. Woher willst du das Geld nehmen?“

      „Ich werde vielleicht …“ Ein grübelnder Zug steht in Sylvias Gesicht. „Überlaß das mir, Helen! Ich … habe eine Aussicht … jedenfalls eine Hoffnung. Vielleicht geht’s nicht. Dann komm’ ich zu dir. Aber einen Tag warte bitte noch, ehe du zu Bendler & Croy gehst!“

      Helen schließt einen Atemzug lang die Augen unld hat ein kleines wehes Gefühl im Herzen. Sie meint natürlich Herbert Rohde. Er ist der Sohn reicher Eltern. Die „Hoffnung“, von der Sylvia spricht …, so weit ist es schon zwischen den beiden. Die Verlobung steht also bevor.

      „Nun gut.“ Helen schluckt tapfer die Tränen, die in ihr aufsteigen wollen, herunter und sieht die schöne Schwester mild an. „Wenn du meinst, dann warten wir noch einen Tag. Aber nicht länger, Sylvia. Ich will nicht, daß Mutter eines Tages so ein Brief in die Hände fällt.“

      „Danke, Helen. Ich sag’ dir morgen abend Bescheid.“ Sylvias Gesicht ist ernster als gewöhnlich. Es steht sogar etwas Gequältes darin, das die schönen Züge ein wenig verzerrt. Sorgenvoll blickt Helen der Schwester nach, und wieder will das wehe Empfinden in ihr aufsteigen. Arme Sylvia! So weit hat dich dein Leichtsinn und dein Luxusbedürfnis also glücklich gebracht! Und Herbert Rohde? Helen merkt plötzlich, daß ihr schmerzhaftes Gefühl viel mehr dem jungen Freund gilt als der Schwester. Armer Herbert, du sollst das Mädchen, das du liebst, durch Schuldenbezahlen an dich fesseln! Es hätte alles anders sein können.

      *

      Drüben im Erkerzimmer sitzen Frau Valerie und Gerhard Lenneberg sich gegenüber. Sich hinzulegen, hat Valerie Gauda entschieden abgelehnt, aber sie hat lächelnd geduldet, daß Lenneberg, ihr eine Decke um die Knie gelegt und dem Mädchen Auftrag gegeben hat, etwas Tee mit Portwein zu bringen. Tee mit Portwein ist Gerhard Lennebergs Allheilmittel.

      „Ich mußte arbeiten,“ sagt Valerie Gauda leise. „Wenn ich nicht gearbeitet hätte, wäre ich verrückt geworden. Das waren für mich gute und schöne Tage im Atelier, kein Gedanke an etwas anderes, keine Sorgen, nichts, gar nichts als das Bild, das sich unter meinen Händen formte.“

      „Ja.“ Die Hand des Mannes streicht behutsam ihre langen, überschlanken Finger. „Aber nun mußt du dich ordentlich ausruhen und auch dabei an nichts anderes denken.“

      Kopfschütteln. „Nein, jetzt, wo die Arbeit beendet ist, kommen alle Gedanken wieder. Ich muß sogar einiges mit dir besprechen. Deine Schwester war vorige Woche bei mir.“

      „Margrete? Davon weiß ich ja gar nichts!“

      „Das war wohl auch so die Absicht. Aber wir haben keine Geheimnisse voreinander, gelt? Wir können ruhig darüber sprechen.“

      Lenneberg runzelt ein wenig die Stirn. „War sie unfreundlich zu dir?“

      „Freundlich, Gerhard, etwas zu freundlich. Volle drei Stunden ist sie bei mir geblieben.“

      Die Falten auf Lennebergs Stirn bleiben. Margrete ist eine brave vernünftige Frau. Sehr vernünftig sogar. In den zehn Jahren, die sie nun schon seinen Haushalt führt, hat es nie eine ernste Meinungsverschiedenheit zwischen den Geschwistern Lenneberg gegeben, außer — — —

      „Margrete ist gegen meine Verbindung mit dir, Valerie,“ sagt er, ruhig in ihre forschenden Augen schauend. „Du darfst ihr das nicht übelnehmen. Zehn Jahre hat sie meinen Haushalt geführt. Menschlich verständlich, daß sie sich gegen den Gedanken wehrt, ihren Platz einer anderen einzuräumen! Außerdem neigt sie ein bißchen dazu, mich zu benuttern, obwohl ja nun so etwa fünfunddreißig Jahre vergangen sind, seit ich die ersten langen Hosen trug. Die Grete vergißt nie, daß sie vier Jahre älter ist als der kleine Bruder.“

      „Hast du mit ihr davon gesprochen, daß du —,“ ein zartes Rot steigt in ihr Gesicht, — „ich meine: Kennt sie deine Pläne für die Zukunft?“

      „Ich habe ihr gesagt, daß ich dich liebe,“ erwidert Gerhard Lenneberg schlicht. Valerie Gauda nickt gedankenvoll.

      „Dann versteh’ ich deine Schwester um so besser. Gerhard, ich bin eine alte Frau,“

      „Erlaube mal, Vali! Du bist nach dem Kalender zehn Jahre jünger als ich, nach deinem Aussehen sogar mindestens zwanzig Jahre!“

      Frau Valerie lächelt nachsichtig über die kleine Huldigung, die wohl nicht ganz ernst gemeint ist, die sie jedenfalls nicht ernstnehmen darf. „Du brauchst eine Frau, Gerhard, darin hast du recht. Aber ich bin nicht die richtige für dich. Was du brauchst, ist eine schon durch alle Äußerlichkeiten für sich einnehmende junge und schöne Frau.“

      Lenneberg lacht kurz und unwillig. „Sieh mal an! Das hat dir bestimmt meine teure Schwester eingeredet.“

      „Ist dein Spott wirklich ganz echt, Gerhard?“ Sie sieht ihm forschend in die Augen. „Bist du nicht in deinen geheimsten Gedanken einig mit deiner Schwester? Bitte, laß mich ausreden! Wenn es so ist, wenn du deine eigentlichen Wünsche unterdrückst, vielleicht, weil du mich gern hast und mir nicht weh tun willst, vielleicht auch aus Pflichtgefühl, weil du nun einmal vom Heiraten gesprochen hast, — dann gib es auf! Wirf allen Zwang von dir! Ich werde dir keinen Vorwurf machen, nicht einmal traurig sein. Du weißt, daß ich dich um Bedenkzeit gebeten habe. Ich brauche sie nicht mehr, Gerhard. Mit meinem ‚Nein‘ hast du deine ganze Handlungsfreiheit wieder.“

      „Aber, Valerie!“ Lenneberg schüttelt den Kopf. „Was soll das alles? Du hast dich übernommen bei deiner Arbeit. Ich nehme dein Nein jetzt nicht an!“

      „Ach, Gerhard!“ Valerie Gaudas Lippen zucken gequält. „Ich bin ganz ruhig. Was mich quälte, als ich den Gedanken zuerst faßte, das hab ich im Atelier gelassen. Die Arbeit half mir darüber hinweg. Jetzt kann ich schon ganz ruhig und mit klarem Kopf darüber sprechen. Und ich muß Klarheit schaffen. Willst du mir, bitte, ruhig zuhören?“

      „Gern, Valerie. Aber ich begreife nicht, was…“

      Eine müde Handbewegung! „Vor

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