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wußte etwas, aber es hatte ihm immer schon gefallen, so zu tun, als wüßte er mehr, als er sagte. Oft steckte gar nichts dahinter. Das Wohnzimmer lag auf der anderen Hausseite, und wenn er wie der Rest des färöischen Volkes vor dem Fernseher saß, dann...

      Neben dem Haus war eine Pforte, durch die man in einen kleinen Hof gelangte. Ich ging durch sie hindurch und schaute zu den Stubenfenstern hinauf, aber auch dort war kein Licht zu sehen. In dem Moment sah ich, daß die Kellertür nur angelehnt war. Na, dann war er also irgendwo in der Nähe.

      Ich konnte mich noch aus der Schulzeit daran erinnern, daß er oft durch den Keller ging. Vielleicht war er nur kurz etwas erledigen gegangen?

      Ich ging in den Keller. Er war niedrig und dunkel, und anfangs konnte ich nichts sehen. Wie die meisten Keller war er bis in die letzte Ecke mit allem Möglichen vollgestopft. Ich mußte mich vorsichtig bewegen, bis die Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten.

      Dann entdeckte ich die Treppe nach oben. Ein Kleiderbündel lag vor ihr.

      Ich ging näher und sah, daß das Kleiderbündel ein Gesicht hatte. Hugos Gesicht.

      Der Hals ragte schief zwischen den Schultern hervor. Es gab keinen Zweifel daran, daß er gebrochen war.

      Ich beugte mich über Hugo nieder und legte meine Hand auf seinen Hals. Er war noch warm.

      Aus den Augenwinkeln erhaschte ich den Schimmer einer Bewegung hinter mir, aber zu spät. Etwas Hartes traf mich am Hinterkopf, direkt hinter dem Ohr, und die Welt füllte sich mit Licht - mit weißem, blendendem Licht.

      7

      Schmerzwellen wogten durch meinen Kopf. Ich kam langsam wieder zu mir und wünschte, ich fiele erneut in den schmerzfreien Schlaf. Eine ganze Schiffswerft war eingezogen und arbeitete im Akkord.

      Ich versuchte aufzustehen, aber da wurde mir schwarz vor Augen. Ich wartete einen Augenblick. Dann erhob ich mich ganz, ganz langsam. Jetzt ging es besser, wenn mich der Schmerz auch lähmte. Zuerst auf die Knie, dann mit den Händen abstützen. Schließlich stand ich aufrecht. Ich massierte mir den Nacken. Er tat weh.

      Schwer im Kopf und schwach auf den Beinen versuchte ich, einen Überblick über meine Situation zu bekommen. Das war schnell geschehen. Hugo war tot, und ich war niedergeschlagen worden. Ich schaute auf die Uhr. Es war nach zehn. Ich war eine Stunde ohnmächtig gewesen. Der Täter war natürlich schon lange auf und davon.

      Irgendwie mußte ich ihn gestört haben. Ich war ihm in die Quere gekommen. Ob der Kerl Hugo getötet und dabei gemeint hatte, es solle aussehen, als wäre Hugo die Treppe hinuntergefallen? Sicher. Warum sonst wäre ich niedergeschlagen worden, wenn es sich um ein Unglück handelte? Oder war da noch etwas Anderes im Spiel?

      Ich bekam nur noch mehr Kopfschmerzen von all diesen Fragen. Ich mochte nicht weiter nachdenken, aber vielleicht sollte ich stattdessen nach oben gehen. Die Treppe führte zu einem Flur, der nicht gerade der größte war. Eine Kommode mit einem Spiegel darüber, ein Mantel und ein Paar einsame Schuhe waren alles, was dort zu finden war.

      Ich konnte zwischen zwei Türen und einer Treppe in den 1. Stock auswählen. Ich ging in die Küche. Sauber und ordentlich. Ich schaute in die Schränke und in den Kühlschrank, aber alles sah ganz normal aus.

      Im Wohnzimmer war auch nichts Ungewöhnliches zu entdecken. Es war wie die meisten Stuben auf den Färöern eingerichtet: Sofa, Couchtisch, Sessel, Eßtisch mit vier Stühlen, ein großer Farbfernseher. Etwas mehr Bücher als üblich und nicht nur die Illustrierte Varøin. Zeitungen, färöische und dänische, lagen auf dem Couchtisch. Ein großes Gemälde mit einer gewaltigen Landschaft hing über dem Sofa. Sigmund Petersen ließ sich nicht verleugnen.

      Nur eine Sache war anders als in anderen Wohnzimmern: Es gab keine einzige Topfpflanze auf den Fensterbänken, nicht einmal einen Kaktus, aber Hugo hatte wohl kaum viel Wert auf derartige Gemütlichkeit gelegt.

      Die Schlafzimmer und das Bad waren oben. Nur Hugos altes Zimmer wurde noch benutzt. Es sah fast aus wie vor 25 Jahren. Eine große Kommode, fast mannshoch, war das erste, was ins Auge fiel. Daneben noch Schreibtisch und Bett.

      Auf dem Schreibtisch lag alles Mögliche. In den Schubladen einige Papiere und ansonsten der übliche Mist.

      Auf der Kommode stand eine größere Anzahl von Modellen, vor allem Flugzeuge und Schiffe. Das Interesse für Modellbau hatte uns zusammengebracht.

      In den Schubladen nur Kleidung.

      Ich konnte nichts von besonderem Interesse entdecken. Andererseits hatte ich nicht die geringste Ahnung, wonach ich eigentlich suchte. Etwas, daß die Ereignisse vom letzten Abend erhellen konnte? Wer hatte Hugo umgebracht, falls er umgebracht worden war? Und was war mit Sonja?

      Es war mir bisher überhaupt nicht in den Sinn gekommen, die Polizei anzurufen. Erst jetzt kam mir der Gedanke. Eins war sicher: ich hatte genug um die Ohren, als das ich zu jeder passenden und unpassenden Zeit zum Verhör rennen wollte. Aber informiert werden mußten sie nun mal.

      Ich ging den selben Weg wieder hinaus. Doch diesmal ohne niedergeschlagen zu werden. Hugo rührte sich nicht. Ich hatte zu viel Respekt vor der Polizei, um seine Taschen zu durchsuchen. Oder vor dem Tod?

      Bevor ich die Pforte zur Straße öffnete, schaute ich mich links und rechts um. Dort war niemand. Wahrscheinlich war das Fernsehprogramm noch nicht zuende.

      Aus der Telefonzelle rief ich 11448 an, erzählte ihnen, wo ein toter Mann zu finden sei und legte wieder auf.

      Ich ging zurück zum Ølankret, um mich zu stärken. Hoffentlich hatte der Barkeeper etwas, das stark genug war, um die Handwerker in meinem Kopf dazu zu bringen, sich eine Weile still zu verhalten.

      8

      Als ich am nächsten Vormittag aufwachte, hatte ich Kopfschmerzen. Die Nachwehen des Schlages, den ich in Hugos Keller erhalten hatte, würde ich zweifellos noch einige Tage spüren. Der Höcker war ziemlich groß, wie von einem mittelprächtigen Kamel entliehen.

      Es war dadurch nicht besser geworden, daß ich bis zur Sperrstunde um halb eins im Ølankret gesessen und Gammel Dansk und Bier in mich reingeschüttet hatte. Mit ein bißchen Fleiß kann man in zwei Stunden eine ganze Menge schaffen.

      Ich dachte wieder an Hugo und Sonja. Was war mit den beiden passiert? Und warum? Die Antworten kamen nicht flotter als gestern im Restaurant, aber Hugo hatte auf jeden Fall recht gehabt, als er von Gefahr sprach.

      Als ich mich entschloß, auf die Färöer zu fahren, hatte ich nicht ernsthaft vermutet, daß ein Verbrechen vorliegen könnte. Es waren nur ein paar Kleinigkeiten nicht so gewesen, wie sie sein sollten. Sonja verschwand trippelnd auf dem Støðlajfall und fiel zu weit. Jetzt war ich überzeugt davon, daß beide ermordet worden waren.

      Aber immer noch hatte ich keine Ahnung, warum sie umgebracht worden waren. Oder wer mich im Keller niedergeschlagen hatte. Doch das würde ich schon herausfinden. Einmal, weil ich es nicht leiden kann, von hinten niedergeschlagen zu werden, und zum anderen, weil ich Sonja immer gerne gehabt hatte. Hugo war mir eigentlich ziemlich egal, aber in diesem Fall hing er mit Sonja zusammen. Und neben diesen Abwägungen hoher moralischer Qualität war in dem, was vorgefallen war, bestimmt eine gute Story drin, und ich lebe nun mal davon, Geschichten zu schreiben.

      Ich wußte nicht so recht, wo ich anfangen sollte. Sonjas Wohnung war schon längst wieder vermietet. Der Wohnungsmarkt in Tórshavn war so katastrophal, daß man sich kaum zur Arbeit traute, aus lauter Angst, es käme einer und nähme die Wohnung, besetzte sie einfach, während man weg war. Da war also auch nichts zu holen. Dann war da Hugo. Zweifellos hatten sie ihn jetzt geholt, und dann wimmelte es dort an allen Ecken und Enden vor Polizisten, oder aber das Haus war versiegelt. Am besten wartete ich ein Weilchen, um dann in Ruhe eine gründlichere Durchsuchung des Hauses als gestern vorzunehmen.

      Ich konnte ebensogut Sonjas Schwester anrufen. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Ich fand Tvøroyri im Telefonbuch und darunter die Schwester. Während ich die Nummer wählte, fiel mir ein, daß Sonja gesagt hatte, ihre Schwester sei fromm, eine der wenigen in Tvøroyri,

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