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Und so was nennt ihr Liebe. Marie Louise Fischer
Читать онлайн.Название Und so was nennt ihr Liebe
Год выпуска 0
isbn 9788711719190
Автор произведения Marie Louise Fischer
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Bloß, wie sollte das jetzt weitergehen? – Zwischen den festen Hügeln deiner Brüste führt mich der Weg – wohin zum Teufel führte dieser Weg?
So weit war Jürgen in seinen Träumereien gekommen, als eine Stimme dicht neben ihm ausstieß: »Hab’ ich dich!« Gleichzeitig schoß eine blasse, blau geäderte Hand an ihm vorbei und nahm seinen Notizblock an sich.
Das geschah mit solcher Geschwindigkeit – Dr. Berkeling war Experte im Überraschungsangriff –, daß Jürgen erst begriff, was passiert war, als der Lehrer schon, den Notizblock wie eine Trophäe hoch über seinem Kopf schwenkend, mit großen Schritten auf seinen Schreibtisch zuschritt.
Jürgen fuhr hoch, stand blutübergossen da.
Dr. Berkeling betrachtete über seine Brille hinweg die Klasse, die aus ihrer Lethargie aufgeschreckt war und ihn nun erwartungsvoll anstarrte. »Meine Herren«, sagte er, »ich habe viel Geduld mit Ihnen gehabt, sehr viel Geduld, aber es gibt Dinge, die das Maß des Erträglichen überschreiten!«
Gerd Singer packte Jürgen von hinten am Ärmel. »Menschenskind, was ist denn los?« flüsterte er.
Jürgen schüttelte die Hand seines Freundes ab.
»Nicht nur, daß die meisten von Ihnen es nicht für nötig halten, dem Unterricht die nötige Aufmerksamkeit zu schenken, hat sich einer von Ihnen erlaubt, in meiner Stunde …«, er wiederholte, als wenn dies ein Staatsverbrechen sei, »… in meiner Stunde …«
»Nun sagen Sie doch schon, was der Molitor eigentlich getan hat!« rief Gerd dazwischen, der längst aus dem Alter heraus war, wo man sich durch Lehrer einschüchtern läßt.
»Ich verbitte mir …« Dr. Berkeling wurde sich bewußt, daß er im Begriff stand, sich ablenken zu lassen. »Er hat eine pornographische Zeichnung angefertigt!«
»Das ist nicht wahr!« schrie Jürgen, aber seine sich vor Empörung überschlagende Stimme ging im Gelächter der anderen unter.
»Sie haben den Körper … den Körper eines Mädchens … mit einem Schleier von Tinte bedeckt«, verkündete Dr. Berkeling, und seine Stimme triefte geradezu vor Genugtuung, »aber es ist Ihnen nicht gelungen, die zweideutigen Zeilen auszustreichen, die …«
Die Jungen lachten, er kam nicht dazu, seinen Satz zu Ende zu bringen.
Die Ader an seiner Stirn schwoll bedrohlich an. »Bitte, meine Herren, bitte, ich werde Ihnen das stümperhafte Geschreibsel – offenbar eine Art Gedicht – vorlesen, damit Sie selber beurteilen …«
»Nein!« Jürgen trat in den Gang zwischen den Tischen, stürmte nach vorne.
»Wie bitte – wollen Sie mir Vorschriften machen?«
Jürgen hob die Fäuste. »Sie werden es nicht vorlesen! Ich verbiete Ihnen …« Er trat dicht an Dr. Berkeling heran, und sekundenlang sah es aus, als wolle er ihn schlagen. Sein Gesicht war kalkweiß geworden.
Unwillkürlich hob der Lehrer schützend den Arm vor das Gesicht. »Das ist Gewalt! Ich protestiere!«
Mit einer einzigen wilden Bewegung riß Jürgen Molitor ihm den Notizblock aus der Hand, umklammerte ihn krampfhaft und marschierte zur Tür.
»Jürgen!« rief Gerd. »Bist du verrückt!«
»Kommen Sie sofort zurück, Molitor!« tobte Dr.Berkeling.
»Entschuldigen Sie sich auf der Stelle!« Und als Jürgen sich nicht umdrehte, sondern im Gegenteil die Tür aufriß: »Das werden Sie zu bereuen haben!«
Die Reaktion der Jungen war wieherndes Gelächter – ein Gelächter, das hinter Jürgen hertoste, als er den langen Gang zwischen den Türen der einzelnen Klassen und den Fenstern entlang rannte.
Erst auf dem Schulhof wurde ihm bewußt, daß er das Schlimmste hatte verhüten können: niemand, außer Dr. Berkeling, hatte dieses verfluchte, lächerliche Gedicht gelesen!
Er trennte das oberste Blatt vom Block, zerriß es in winzige Fetzen, die er in den großen eisernen Korb zu Butterbrotpapier, Apfelgehäusen und Apfelsinenschalen niederrieseln ließ.
Aber auch danach fühlte er sich nicht besser. Das Schlimmste war ihm erspart geblieben, aber das, was geschehen war, war immer noch schlimm genug.
5.
Es war noch taghell, als Jürgen gegen sieben Uhr mit Senta auf dem Brehmplatz vor dem Appartementhaus stand, in dem James Mann wohnte.
»Im fünften Stock?« fragte Jürgen.
»Ja«, sagte sie, »aber ich finde, du solltest nicht hinaufgehen!« Jürgen genoß ihre Angst und fühlte sich überlegen. »Warum hast du es mir dann überhaupt erzählt?« fragte er obenhin.
»Das weißt du. Du solltest mit Martina reden, ihr klarmachen … wenn ich irgend jemand anderen gewußt hätte, der das tun könnte, hätte ich mich nicht an dich gewandt!«
Jürgen wurde steif. »Sehr schmeichelhaft!«
»Nun sei doch nicht gleich beleidigt«, sagte Senta verzweifelt, »so habe ich es doch nicht gemeint! Nur, euren Eltern konnte ich es doch schließlich nicht sagen und meinen auch nicht. Sollte ich etwa zulassen, daß sie in ihr Unglück rennt?«
»Da hast du es«, sagte Jürgen würdevoll, »also werde ich die Sache in die Hand nehmen. Du wartest hier …«
»Bitte, Jürgen, soll ich nicht besser mitkommen?«
»Wozu?«
»Um … ich weiß selber nicht. Aber ich bin ganz sicher, es wäre besser …! Glaubst du nicht, Jürgen! Ich habe sonst das Gefühl, daß ich dich aufgehetzt hätte, während ich selber …«
»Quatsch«, sagte er grob, »du bleibst hier!« Er riß sich los und schritt auf den Hauseingang zu.
Sie lief hinter ihm her. »Was willst du denn überhaupt sagen?«
»Höchst einfach: daß er seine Finger von meiner Schwester lassen soll.«
Sie seufzte. »Ich fürchte, daß wir das Ganze verkehrt anpacken. Es ist Martina, die wir überzeugen müßten. Schließlich ist sie ja freiwillig …«
Eine Frau kam aus dem Haus.
Jürgen hielt die Tür offen, drückte sich nach ihr hinein, stieg in den Lift, fuhr nach oben. Es war ihm durchaus nicht so wohl zumute, wie er Senta gegenüber vorgegeben hatte.
Noch im Aufzug öffnete er seine Schultasche, nahm die Waffe heraus, die mächtige Armeepistole, die er sich unter einem Vorwand von Gerd geliehen hatte. Er vergewisserte sich, daß der Sicherungshebel vorlag. Als er den Kolben der Pistole umklammerte, fühlte er sich plötzlich sehr stark, unüberwindlich wie der Held eines Westerns.
Der Lift hielt. Er fand die richtige Wohnungstür, klingelte einmal, zweimal und dann, als sich immer noch nichts rührte, ließ er den Daumen auf der Klingel.
Plötzlich wurde die Türe aufgerissen. »Verdammt noch mal, was soll denn das?!« fluchte der Mann. Er stand da, das wellige Haar zerzaust, nur in Hemd und Hose, ohne Strümpfe und Pantoffeln. »Ich habe mit Ihnen zu sprechen«, sagte Jürgen, froh, daß es ihm gelang, seiner Stimme Festigkeit zu geben.
Die Pistole hielt er in der Jacke verborgen. Er drängte sich in die Wohnung. Der Mann wich unwillkürlich zurück.
Hinter ihm tauchte Martina auf, in einen viel zu großen seidenen Hausmantel gehüllt, dessen Ärmel sie hochgerollt hatte. Ihr Lippenstift war verschmiert. Auch sie war barfuß.
Jürgen errötete bei ihrem Anblick.
»Na so was«, sagte Martina, »mein Bruder!«
»Ja«, sagte Jürgen und zwang sich, den Blick auf den Mann zu richten, »ich bin der Bruder. Und ich verlange von Ihnen, daß Sie meine Schwester in Ruhe lassen, haben Sie mich verstanden?!«
»Moment mal!