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sie in jener Nacht gehört hatten.

      Die Thomsons und Dr. Baumann wagten es kaum zu atmen. Fasziniert blickten sie zu Melanie, die noch immer Jörgs Hand hielt, während ihre Stimme leise durch den Raum klang. »… Ein Lied singt uns ein Solosaxophon, verrückter Ton, verlorener Ton, ein Schrei, der uns erzählt, daß Liebe siegt. – So singt das Solosaxophon. Es sagt zu mir, halt ihn ganz sacht und tanz, als wär’s die letzte Nacht der Welt…«

      Maria Thomson wischte sich über die Augen. »Gehen wir hinaus«, flüsterte sie ihrem Mann zu, weil sie ihre Tränen nicht länger zurückhalten konnte.

      »Ja.« Gerhard Thomson legte für den Bruchteil einer Sekunde seine Hand auf Melanies Schulter, dann folgte er Maria und Dr. Baumann in den Korridor. Er spürte, wenn jemand seinem Sohn helfen konnte, dann war es diese junge Frau.

      *

      Andrea Stanzl wälzte sich in ihrem Bett von einer Seite zur anderen. Sie hatte bis spät in die Nacht hinein in der Küche gestanden und danach noch aufgeräumt. Das Schnarchen ihres Freundes dröhnte überlaut in ihren Ohren. Es tat ihr regelrecht weh. Ihre Augen brannten vor Müdigkeit. Sie sehnte sich nach Schlaf, doch die Schmerzen in ihrem kaputten Knie ließen sie nicht zur Ruhe kommen.

      Es war ein Fehler gewesen, heimlich das Haus von Dr. Baumann zu verlassen und zu Herbert Freytag zurückzukehren. Was hatte sie an der Seite dieses Mannes denn zu erwarten? Es verging kein Tag, an dem er ihr nicht sagte, was für eine Niete sie war und welch große Belastung für ihn. Erst am Abend hatte er ihr vorgeworfen, daß er ein viel zu weiches Herz hätte und es ein Fehler gewesen sei, sie wieder aufzunehmen.

      Andrea rollte sich zur anderen Seite. Sie konnte Herberts Anblick nicht mehr ertragen, schloß die Augen und versuchte, sich vorzustellen, unter Menschen zu sein, die sie mochten und so annahm, wie sie war. Mit einem Lächeln um den Lippen schlief sie trotz ihrer Schmerzen schließlich ein.

      Einige Stunden später wurde die junge Frau brutal aus dem Schlaf gerissen. »Auf, du Vogelscheuche, mach, daß du aus den Federn kommst!« Herbert Freytag rüttelte Andrea bei der

      Schulter. »Worauf wartest du noch?«

      Andrea schlug die Augen auf. »Wie spät ist es denn?« fragte sie verschlafen.

      »Kurz vor acht. Anständige Weiber sind schon längst bei der Arbeit.« Herbert Freytag zog seine rutschenden Boxershorts nach oben. »Hausgang und Treppe müssen geputzt werden. In der Gaststube ist auch Großputz angesagt. Und die Fenster sehen aus, als hätten sie seit Jahren kein Wasser gesehen.« Er stemmte die Fäuste in die Seiten, was seine Boxershorts sofort erneut zum Rutschen brachte. »Daß man dir alles sagen muß.«

      »Ich bin erst gegen halb vier eingeschlafen.« Sie richtete sich auf. »Außerdem…«

      »Es gibt kein Außerdem mehr!« stieß er hervor. »Meinst du denn, ich füttere dich für nichts und wieder nichts durch?« Er drehte sich um und stapfte nach draußen.

      »Altes Ekel«, flüsterte Andrea und stand schwerfällig auf. An diesem Morgen versagte ihr Knie bereits beim dritten Schritt. Sie konnte sich gerade noch an der Tür festhalten, sonst wäre sie hingestürzt. Vorsichtig hob sie das rechte Bein und schwenkte es langsam hin und her, dann stellte sie es zu Boden und trat vorsichtig auf. Ihr Knie tat weh, rutschte aber nicht wieder zur Seite.

      Die junge Frau wartete, bis Herbert Freytag das Bad verlassen hatte, dann wusch sie sich in aller Eile und zog sich an.

      »Wie lange soll ich noch auf mein Frühstück warten?« fuhr er sie an, als sie in die Küche kam. »So etwas Faules wie du ist mir auch noch nicht begegnet.«

      Andrea antwortete ihm nicht. Sie setzte Kaffeewasser auf und deckte stumm den Tisch.

      »Sprichst wohl nicht mehr mit mir?« fragte er. »Meinst du wirklich, du könntest mich mit Schweigen fertigmachen?«

      Die junge Frau reagierte nicht. Sie brühte den Kaffee auf, schenkte für ihn ein, stellte die Kanne auf den Tisch und schob den Brotkorb in seine Nähe. »Ich habe keinen Hunger«, sagte sie, als sie sich an den Tisch setzte, um eine Tasse Kaffee zu trinken.

      »Ach, Madam ist noch beim Abnehmen«, höhnte der Kneipenwirt. »Komisch, daß ich davon noch nichts gemerkt habe.« Er sah sie verächtlich an. »Selbst, wenn du bis an dein Lebensende auf das Frühstück verzichten würdest, wäre deine Figur noch immer ein Witz.«

      »Vielleicht solltest du dich mal im Spiegel betrachten«, meinte Andrea, obwohl sie sich vorgenommen hatte, sich nicht mit ihm zu streiten.

      »Was soll das heißen?« Sein Gesicht lief rot an.

      »Daß du auch keine Schönheit bist.« Andrea stand auf und trug ihre Tasse zum Spülbecken. Sie hörte, wie er seinen Stuhl zurückstieß. Bereits im nächsten Moment packte er ihren Arm und riß sie herum. »Meinst du wirklich, du könntest es dir leisten, ein freches Mundwerk gegen mich zu führen?« Herbert Freytag wies in den Hof hinunter. »Wer hat denn neulich angerufen und mich gebeten, ihn wieder aufzunehmen?«

      Andrea dachte an den Spruch, den sie am Vortag in einer Zeitschrift gelesen hatte. Wer seine Träume verwirklichen will, der darf nicht schlafen.Dr. Baumann hatte ihr seine Hilfe angeboten, und sie war sicher, daß er noch zu seinem Wort stehen würde, auch wenn sie ihn enttäuscht hatte.

      »Es ist ein Fehler gewesen, zu dir zurückzukehren, Herbert«, sagte sie und blickte in sein unrasiertes Gesicht. »Ich werde meine Sachen packen und gehen.«

      »Aber nicht, bevor du die Küche und das Haus in Ordnung gebracht hast!« Er ließ sie los. »Und eines schreib dir hinter die Ohren: wenn du gehst, gibt es keine Wiederkehr.«

      »Wer kehrt schon ein zweites Mal freiwillig in die Hölle zurück?« fragte sie. Herbert Freytag holte aus, doch Andrea war schneller als er. Sie fing seine Hand ab und hielt sie fest. »Du wirst mich nie wieder schlagen«, erklärte sie. »Nie wieder.«

      Herbert Freytag entriß ihr seine Hand. »An dir mach ich mich nicht schmutzig!« stieß er hervor, stürmte aus der Küche und verschwand im Schlafzimmer. Kaum hatte er es betreten, flog auch schon die Tür ins Schloß.

      Die junge Frau hörte, wie der Kneipenwirt wenig später die Treppe hinunterpolterte und kurz darauf der Motor seines Wagens aufheulte. Sie wußte, daß er einen Zahnarzttermin hatte. Ganz sicher hing seine schlechte Laune auch damit zusammen. Im Grunde seines Herzens war Herbert ein Feigling.

      »Wenn du denkst, ich bringe noch dein Haus in Ordnung, irrst du dich gewaltig«, sagte sie leise vor sich hin. Viel hatte sie nicht zu packen. Ihre Kleidung, ein paar Bücher, das war schon alles.

      Sie ging zum Telefon, um Dr. Baumann anzurufen. Da sie annahm, daß er um diese Zeit in seiner Praxis war, wählte sie deren Nummer. Tina Martens meldete sich. »Tut mir leid, der Herr

      Doktor ist zu einem Notfall gerufen worden«, erwiderte sie, als Andrea nach dem Arzt fragte. »Kann ich ihm etwas ausrichten?«

      »Nein, danke.« Die junge Frau legte auf.

      Was sollte sie tun? So weh, wie ihr Bein tat, konnte sie unmöglich mit ihren beiden Koffern bis zum Doktorhaus laufen. Sollte sie ihre Sachen erst später holen? – Nein, Herbert brachte es fertig und würde sich weigern, sie herauszugeben.

      Andrea ging ins Wohnzimmer. Sie tat es nicht gern, doch es blieb ihr nichts anderes übrig. Herbert bewahrte sein Kleingeld in einem Schubfach des Büfetts auf. Ihre Finger zitterten, als sie zu der Blechdose griff, die im Barfach stand. Rasch nahm sie zwanzig Mark für ein Taxi heraus, dann stellte sie die Dose zurück und machte sich daran, ihre Sachen zu packen.

      Als Herbert Freytag vom Zahnarzt zurückkehrte, sah er gerade noch das Taxi, das mit Andrea abfuhr. Ohne seinen Wagen abzuschließen, stürzte er ins Haus. Auf einen Blick erkannte er, daß die junge Frau weder die Gaststube noch die Treppe geputzt hatte. Außer sich vor Zorn stieß er mit dem rechten Fuß nach dem Schirmständer. Polternd stürzte dieser um.

      *

      Katharina Wittenberg stand in der Küche, als das Taxi vorfuhr. Sie trocknete sich rasch die Hände

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