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Sie nicht den Mut. Es wird schon alles ins Lot kommen.«

      »Ist das ein Versprechen?« fragte Melanie, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, sagen Sie nichts, Doktor Baumann, meine Frage ist mehr als unfair gewesen. Sie können genauso wenig in die Zukunft schauen wie ich.«

      »So gut es manchmal wäre, einen Blick in die Zukunft zu tun, ich bin froh, daß ich es nicht kann«, erwiderte er. »Unser Leben würde um vieles ärmer sein, wenn man schon im voraus wüßte, was die nächsten Stunden bringen. Außerdem ist Hoffnung eine starke Antriebskraft im Leben jedes Menschen.«

      Melanie nickte. »Und worauf sollten wir noch hoffen, wenn wir in die Zukunft sehen könnten?« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ich werde Franzl in etwa einer Stunde zurückbringen.«

      »Viel Spaß«, wünschte er.

      »Danke«, sagte die junge Frau und verließ die Praxis.

      Franzl, der die ganze Zeit vor der Praxis im Gras gelegen hatte, sprang auf. Er begrüßte Melanie so enthusiastisch, als würde er sie schon ein Leben lang kennen und hätte sie ewig nicht mehr gesehen.

      »Weißt du, was ich mir wünsche?« fragte sie und nahm seinen Kopf in beide Hände. »Daß Jörg und ich dich eines Tages gemeinsam ausführen können.« Franzl drehte blitzschnell den Kopf und fuhr mit der Zunge über ihre Hand, dann rannte er zu dem Apfelbaum, unter dem er meistens lag, und kam gleich darauf mit einem Ball zurück. Herausfordernd warf er ihn der jungen Frau vor die Füße.

      *

      Maria Thomson nahm zärtlich die Hand ihres Sohnes und drückte sie. »Du fehlst uns so sehr, Jörg«, sagte sie und bemühte sich, nicht in Tränen auszubrechen.

      »Ja, da kann ich deiner Mutter nur beipflichten«, meinte Gerhard Thomson und strich hilflos über Jörgs Haare. »Seit du dich vor der Arbeit im Hotel drückst und es dir gefällt, schlafend im Krankenhaus zu liegen, weiß ich nicht mehr, was ich zuerst machen soll. Also beeil dich mit dem Aufwachen. Wir brauchen dich, du ahnst nicht, wie sehr.« Er drehte sich halb um. »Da kommt deine Freundin, Jörg. Ihr wird es auch nicht anders gehen als uns.«

      Melanie nickte den Thomsons grüßend zu. »Ich bin bei Doktor Baumann gewesen, um mit ihm über meine weitere Behandlung zu sprechen«, sagte sie.

      »Geht es Ihnen gut?« fragte Maria Thomson.

      »Ja, danke«, erwiderte die junge Frau. »Meine Krankheit bekomme ich bestimmt in den Griff. Andere Menschen müssen auch mit Diabetes leben, selbst kleine Kinder. Natürlich bin ich zuerst erschrocken, als Doktor Baumann andeutete, ich könnte zuckerkrank sein, inzwischen habe ich mich damit abgefunden.«

      »Und das ist gut so«, warf Gerhard Thomson ein. »Wenn Jörg erwacht, braucht er eine Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben steht.« Er griff nach seiner Handgelenkstasche, die er auf den Nachttisch gelegt hatte. »Komm, Maria, lassen wir Frau Berger und unseren Sohn allein.«

      Maria Thomson beugte sich über Jörg und küßte ihn auf die Stirn. »Bis morgen, Liebling. Ich werde schon vormittags kommen.« Entschlossen richtete sie sich auf. Es fiel ihr nicht leicht, ihren Sohn zu verlassen. Am liebsten wäre sie Tag und Nacht bei ihm geblieben, andererseits wußte sie auch, wie wichtig es war, daß er und Melanie viel Zeit für sich hatten.

      Melanie verabschiedete sich von den Thomsons, dann nahm sie sich einen Stuhl und setzte sich zu ihrem Freund ans Bett. Sie erzählte ihm von ihren Besuch bei Doktor Baumann und den anschließenden Spaziergang mit Franzl.

      »Ich habe Franzl versprochen, daß du auch bald mit ihm spazierengehen wirst«, sagte sie. »Und du weißt, Versprechen muß man halten, also streng dich an und blamier mich nicht. Du hast lange genug geschlafen.«

      Jörg rührte sich nicht.

      Die junge Frau strich ihm über die Wange. »Weißt du überhaupt, wie ich mich danach sehne, wieder einmal von dir in den Arm genommen und geküßt zu werden?« fragte sie. »Ohne dich komme ich mir schrecklich verloren vor. Fast so verloren wie Kim in all den Jahren, die sie auf Chris gewartet hat.« Ganz leise begann sie zu singen, wie sie es so oft tat, wenn sie an Jörgs Bett saß und darauf hoffte, daß er die Augen aufschlug.

      Es war ziemlich spät, als Melanie in die Pension zurückkehrte. Die anderen Gäste hatten längst zu Abend gegessen, und sie war froh, als ihre Wirtin anbot, ihr noch etwas Hühnersuppe zu wärmen. Doch als die Suppe vor ihr stand, hatte sie kaum Appetit. Nur um ihre Wirtin nicht zu kränken, aß sie den Teller leer, bevor sie zu ihrem Zimmer hinaufging.

      Melanie wohnte im ersten Stock des alten Hauses. Sie setzte sich auf den Balkon und blickte zum nachtdunklen Himmel hinauf. Ihre Sehnsucht nach Jörg wuchs mit jeder Minute. Als sie die Augen schloß, sah sie sich mit ihm unten am See tanzen. Gott allein weiß, wie sehr ich dich liebe, dachte sie und faltete die Hände zu einem stummen Gebet.

      Lange nach Mitternacht erwachte Melanie plötzlich. Verwirrt schaute sie sich um. Ganz deutlich hatte sie Jörgs Stimme gehört. Leise flüsterte sie seinen Namen und lauschte mit angehaltenem Atem in die Dunkelheit.

      »Melanie!«

      Die junge Frau griff zum Lichtschalter. »Jörg?« fragte sie in

      das aufflackernde Licht hinein. »Jörg?«

      Sie war allein im Zimmer, wie hätte es auch anders sein sollen?

      Melanie lehnte sich zurück. Noch immer glaubte sie ihren Namen zu hören. Es mußte ein Wachtraum sein. Es… Und wenn Jörg ihre Hilfe brauchte? Wenn sein Unterbewußtsein nach ihr rief?

      Die junge Frau stand auf. In aller Eile zog sie sich an, wusch sich flüchtig und kämmte sich die Haare, dann griff sie nach Jacke und Handtasche. Fast lautlos huschte sie die Treppe zur Haustür hinunter. Sie war froh, daß ihr die Wirtin einen Schlüssel gegeben hatte, sonst hätte sie die arme Frau erst wecken müssen.

      Bis zum Krankenhaus waren es nur knapp zweihundert Meter. Melanie legte sie in einer Rekordzeit zurück. Kurz vor dem Eingang zum Foyer blieb sie stehen und schöpfte erst einmal Luft. Der Nachtportier wandte ihr gerade den Rücken zu. Deshalb hatte er sie noch nicht bemerkt. Sie wartete noch einen Augenblick, bevor sie auf die automatische Tür zu trat. Hastig schlüpfte sie hindurch und eilte zum Aufzug. Erst, als sie mit der Kabine nach oben fuhr, wagte sie es aufzuatmen. Das nennt man Glück, dachte sie, weil sie sich nicht vorstellen konnte, daß der Nachtportier sie um diese Zeit noch in die Klinik gelassen hätte.

      Der Gang, der zur Intensivstation führte, war menschenleer. Die Schritte der jungen Frau hallten von den Wänden wider, obwohl sie sich Mühe gab, sehr leise

      zu sein. Sie fragte sich, was wohl die diensthabende Schwester sagen würde, wenn sie ihr erzählte, daß ihr Freund sie gerufen hatte.

      Und wieder hatte Melanie Glück. In dieser Nacht hatte Schwester Gabriele Dienst. Die junge Frau interessierte sich seit ihrer Kindheit für Esoterik und glaubte, daß zwischen Himmel und Erde alles möglich war.

      »Um diese Zeit dürfte ich Sie nicht hereinlassen«, meinte sie, »aber es könnte durchaus sein, daß ihr Freund Sie in seinem Unterbewußtsein gerufen hat.« Sie lächelte ihr zu. »Seien Sie bitte sehr, sehr leise, wenn Sie zu seinem Zimmer gehen.«

      »Werde ich«, versprach Melanie. »Danke.«

      »Schon gut«, antwortete Schwester Gabriele.

      Melanie zog sich rasch einen der Kittel über, die für Besucher bereitlagen, und wechselte auch ihre Schuhe. Noch immer hörte sie tief in sich Jörgs Stimme. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, als sie die Tür zu seinem Zimmer öffnete.

      Der Raum lag im Halbdunkel. Es brannte nur eine winzige Lampe, die unscharf die Umrisse des Bettes und der Apparate erkennen ließ, an denen Jörg seit seinem Unfall angeschlossen war.

      Melanie huschte auf Zehenspitzen zum Bett ihres Freundes. Liebevoll griff sie nach seiner Hand. »Du hast mich gerufen, Jörg«, sagte sie beschwörend. »Ich bin bei dir und ich bin bereit, mit dir ohne Zögern jeden Weg zu gehen, den du gehen willst.«

      Die junge Frau spürte, wie

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