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war Olga Mergenthaler. Sie hatte erst vor kurzem eine Gürtelrose überstanden und litt noch immer an Nervenschmerzen. Dr. Baumann sah ihr an, daß sie in der vergangenen Nacht kaum geschlafen hatte.

      »Ich bin bestimmt nicht wehleidig«, meinte sie, »aber diese Schmerzen machen mich noch verrückt. Von Zeit zu Zeit ist es, als würde man mir ein Messer in den Rücken bohren. Eine Nachbarin sagte mir, daß es noch monatelang so weitergehen könnte.«

      »Die Schmerzen können tatsächlich noch lange anhalten, Frau Mergenthaler«, bestätigte Eric, »was nicht heißen muß, daß wir uns damit abfinden sollten.« Er stand auf und ging an seinen Medikamentenschrank. »Nehmen Sie Ihre B-Vitamine noch?«

      »Ja.« Olga Mergenthaler nickte. »Da achtet schon mein Sohn drauf«, fügte sie hinzu. »Florian kümmert sich wirklich rührend um mich.« Kopfschüttelnd starrte sie auf ihre Hände. »Schade, daß meine Schwiegertochter nicht einsehen will, was für ein Juwel sie zum Mann hat.«

      »Stimmt etwas in der Ehe Ihres Sohnes nicht?« fragte Eric überrascht. Er war stets der Meinung gewesen, daß Anna und Florian Mergenthaler eine vorbildliche Ehe führten.

      »Nein, das will ich damit nicht sagen. Im Grunde genommen kann ich mich auch nicht über Anna beklagen. Sie ist eine gute Ehefrau und eine fürsorgliche Mutter. Mich stört nur, daß sie Florian nicht auch im künstlerischen Bereich unterstützt. Statt ihn zu ermutigen, kritisiert sie seine Gedichte oft. Da ist seine Sekretärin der Bank ganz anders. Frau Zange hat mir neulich gestanden, daß sie heimlich eines der Gedichte meines Sohnes zu einem Wettbewerb geschickt hat.«

      »Und, hat das Gedicht einen Preis bekommen?« Der Arzt war froh, daß er mit dem Rücken zu seiner Patientin stand. Es fiel ihm schwer, ernst zu bleiben. Auch wenn er Florian Mergenthaler mochte, von dessen Dichtkunst hielt er nicht viel.

      »Bis jetzt noch nicht«, erwiderte die ältere Frau bedauernd. »Aber ich wünsche es mir so sehr. Es wird allerhöchste Zeit, daß mein Florian die Anerkennung erhält, die ihm zusteht.«

      Dr. Baumann wandte sich ihr mit einer Spritze in der Hand zu. »Machen Sie sich bitte frei«, bat er. »Während der nächsten beiden Wochen werde ich Ihnen alle zwei Tage eine Injektion mit einer Vitamin-B-Kombination geben. Und falls das nichts nützen sollte und Ihre Schmerzen noch weiter anhalten, werden wir es mit Neuraltherapie versuchen.«

      »Was immer Sie auch vorschlagen, ich werde es tun«, versicherte Frau Mergenthaler. »So geht es jedenfalls nicht mehr weiter.«

      Einige Minuten später brachte der Arzt seine Patientin nach draußen. »Grüßen Sie Ihre Familie von mir«, bat er, als er sich von ihr verabschiedete.

      »Gern«, sagte sie strahlend und trat zu Tina Martens, um sich von ihr für den übernächsten Tag einen Termin geben zu lassen.

      Melanie Berger kam als nächste an die Reihe. Bereits auf den ersten Blick sah ihr Dr. Baumann an, daß sie sich keineswegs wohl fühlte. Es wunderte ihn nicht. »Bitte, nehmen Sie Platz.« Er wies auf den Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand.

      »Danke.« Die junge Frau setzte sich. An diesem Morgen wirkte sie nicht so selbstsicher wie sonst. »Sie wollen mir sicher sagen, daß sich das Ganze als ein Sturm im Wasserglas erwiesen hat«, meinte sie herausfordernd, um ihre Unsicherheit zu überspielen. »Ich bin nicht zuckerkrank.«

      »Ich wünschte, ich könnte Ihnen das bestätigen«, erwiderte der Arzt. »Leider ist es nicht so. Wie ich vermutet habe, leiden Sie an Diabetes.« Er beugte sich ihr leicht zu. »Würde es sich um eine Altersdiabetes handeln, so würde es unter Umständen genügen, daß Sie eine Diät einhalten und Tabletten nehmen, doch diese Krankheitsform kann mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.«

      »Kann es Vererbung sein?« fragte Melanie mit trockenem Mund.

      »Unter Umständen«, sagte Dr. Baumann. »Auf jeden Fall kommen Sie um einen Krankenhausaufenthalt nicht mehr herum. Daß Sie am Sonntag das Bewußtsein verloren haben, ist ein deutliches Warnzeichen, Frau Berger. Solange Sie im Krankenhaus nicht genau auf Ihre Insulindosierung eingestellt worden sind, besteht jederzeit die Gefahr eines Stoffwechsel- und Kreislaufzusammenbruchs mit schwerwiegendsten Folgen.«

      »Und Sie sind der Meinung, daß ich sofort ins Krankenhaus gehen sollte?«

      »Am besten noch heute, Frau Berger.« Eric beugte sich ihr zu. »Ich kann sehr gut verstehen, wie entsetzt und bestürzt Sie sind, aber heutzutage kann auch ein Diabetiker ein fast völlig normales Leben führen. Die drei Säulen einer langfristigen Behandlung sind Insulinzufuhr, Diät und eine gute Schulung der Kranken.«

      Melanie schloß die Augen und atmete tief durch. »Gut, ich werde vernünftig sein«, versprach sie leise, »auch wenn ich dadurch Gefahr laufe, meinen Freund zu verlieren.« Sie hob den Kopf und sah ihn an. »Sie werden sich bestimmt gewundert haben, daß ich gesetzlich versichert bin?«

      »Ja.« Der Arzt nickte.

      »Ich bin weder reich noch auch nur wohlhabend.« Melanie erzählte ihm, daß sie schon als Kind den Wunsch gehabt hatte, einmal in einem Luxushotel zu wohnen. »Sie ahnen nicht, wie lange ich Mark auf Mark gelegt habe, um mir diesen Traum zu erfüllen. Daß ich mich während meines Aufenthaltes im »Luisenhof« in den Sohn des Besitzers verlieben würde und er sich in mich, das war nicht geplant.«

      »Herr Thomson ahnt also nichts von Ihren wahren wirtschaftlichen Verhältnissen?«

      »Nein, ich habe ihm nicht gesagt, daß ich bei einer Versicherung angestellt bin.«

      »Und Sie glauben, es würde an seiner Liebe etwas ändern?« fragte der Arzt. »Nein, so gut kenne ich Jörg Thomson. Er gehört zu den Menschen, die genau wissen, daß es kein Privileg ist, in seine Kreise hineingeboren zu werden, sondern ganz einfach nur Glück. Er wird Ihren Wunsch verstehen. Außerdem haben Sie nichts Schlimmes getan. Natürlich wäre es besser gewesen, ihm von Anfang an reinen Wein einzuschenken, doch wie schnell verpaßt man in solchen Dingen den richtigen Augenblick.«

      »Dann halten Sie mich also nicht für eine Hochstaplerin?« Die junge Frau fühlte sich um einiges leichter.

      »Natürlich nicht«, versicherte er. »Wenn Sie wollen, spreche ich mit Ihrem Freund.«

      Melanie war versucht, das Angebot des Arztes anzunehmen, doch dann schüttelte sie den Kopf. »Ich werde es ihm selbst sagen«, beschloß sie. »Irgendwie muß es mir gelingen, ihn davon zu überzeugen, daß ich nicht in den »Luisenhof« gekommen bin, um mir einen reichen Mann zu angeln.«

      »Sie werden es schaffen«, sagte Eric zuversichtlich. Er hob den Telefonhörer ab, um im Krankenhaus anzurufen und die Einweisung der jungen Frau zu veranlassen. Der Mensch ist schon ein seltsames Wesen, dachte er. Er hatte oft erlebt, daß die Angst, einen geliebten Freund zu verlieren, selbst schwere Krankheiten in den Hintergrund drängte.

      *

      »Ah, da kommt ja unser Sohn«, bemerkte Gerhard Thomson. »Wir dachten schon, du würdest uns versetzen.«

      »Aber nicht, wenn es Sauerbraten mit Knödel zum Mittagessen gibt«, versicherte Jörg. Er trat an den Eßtisch und küßte seine Mutter auf die Wange. »Tut mir leid, daß ich mich verspäte.« Er lachte. »Allerdings dienstlich«, fügte er hinzu und setzte sich. »Die alte Frau Hofmeister hat mir von der Hochzeit Ihrer Enkelin erzählt. Ich konnte sie nicht gut mit dem Hinweis auf mein Mittagessen unterbrechen.«

      »Nein, zumal sie seit über zehn Jahren zu unseren Stammgästen gehört«, pflichtete ihm sein Vater bei. »Hoffentlich hast du dir noch nichts für heute nachmittag vorgenommen. Ich möchte mit dir über die Erweiterungspläne sprechen. Wir sollten langsam Nägel mit Köpfen machen.«

      »Tut mir leid, das müssen wir auf den Abend oder morgen verschieben«, sagte Jörg. »Ich möchte Melanie ins Krankenhaus bringen.« Er bemerkte, wie auf der Stirn seines Vaters eine Ader schwoll. »Sie…«

      »Weshalb muß Frau Berger ins Krankenhaus?« warf Maria Thomson ein. »Ist sie krank?«

      Jörg hatte seinen Eltern nichts vom Zusammenbruch seiner Freundin am Sonntag erzählt.

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