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      »Du dumme Kuh!« stieß Herbert Freytag außer sich hervor. Sein aufgedunsenes Gesicht rötete sich vor Zorn. »Jetzt reicht’s mir endgültig.«

      »Ja, gib’s ihr endlich!« rief einer der Gäste.

      »Wir können sowieso nicht begreifen, weshalb du dich mit so einer eingelassen hast!« schrie ein anderer. »Da hättest du ja gleich ein Walroß in dein Bett nehmen können.«

      Herbert Freytag riß die Küchentür auf. »Da hörst du’s!« schrie er Andrea an. »Deinetwegen spottet man über mich.« Um seine Lippen spielte ein gemeines Lächeln. »Wie gut ich heute deinen Stiefvater verstehen kann. Dein Anblick wird ihm ganz einfach zuwider gewesen sein.«

      »Früher hast du nicht so gedacht«, flüsterte Andrea und versuchte, sich möglichst klein zu machen.

      »Da war ich auch noch blind.« Er wies zur Tür. »Los, mach, daß du rauskommst!« Er griff nach einem hölzernen Kochlöffel. »Verschwinde! Ich will dich nicht mehr sehen.«

      »Und wo soll ich hin?« fragte sie entsetzt. »Herbert, laß mich wenigstens bis morgen bleiben. Ich werde versuchen, ein Zimmer zu finden. Ich…«

      »Raus habe ich gesagt!« brüllte er. »Verschwinde aus meinem Leben.« Er schlug mit dem Kochlöffel in ihre Richtung. Nur wenige Zentimeter vor ihrem Gesicht ging der Schlag pfeifend nieder.

      Andrea wich zur Tür zurück. »Gut, ich werde meine Sachen packen«, sagte sie und hoffte, daß ihn das zur Besinnung bringen würde.

      »Daß du dich oben verbarrikadieren kannst.« Herbert Freytag schüttelte den Kopf. »Nichts da!« stieß er hervor. »Deine Lumpen beförderte ich morgen vor die Tür, da kannst du sie einsammeln.«

      »Bitte, Herbert, laß mich wenigstens meine Jacke holen. Draußen regnet es. Ich…« Die junge Frau begann bitterlich zu weinen.

      »Worauf wartest du noch, Herbert?« rief einer der Gäste. »Ein Wort und wir helfen dir, dieses Weibsstück auf die Straße zu setzen.«

      »Ich brauche keine Hilfe.« Herbert packte Andrea bei den Haaren. »Los, raus!«

      »Herbert, du kannst mich nicht…«

      »Und ob ich kann.« Er zerrte Andrea, die kaum Widerstand leistete, zur Hintertür, öffnete sie und stieß die junge Frau in den strömenden Regen hinaus. Bereits im nächsten Moment schlug er die Tür von innen zu.

      »Bravo, Herbert, bravo!«

      schrien die Männer, die im Gastraum der Kneipe saßen. »Endlich hast du Mumm bewiesen. So was wie die findest du an jeder Straßenecke.«

      Andrea starrte auf das hellerleuchtete Küchenfenster. Sie überlegte, ob sie versuchen sollte, heimlich wieder ins Haus zu gelangen, wagte es jedoch nicht. Herbert besaß große Kräfte und wenn er so wütend war wie an diesem Abend, legte man sich besser nicht mit ihm an.

      Die junge Frau blickte zum wolkenverhangenen Himmel hinauf. Der Regen peitschte in ihr Gesicht. Fröstelnd zog sie die Schultern zusammen. Wohin sollte sie? Sie mußte auf jeden Fall einen Unterschlupf für die Nacht finden. Etwas, wo es wenigstens trocken sein würde.

      Niedergeschlagen verließ Andrea den kleinen Hinterhof des Hauses, schlug einen Bogen um den Eingang der Kneipe und machte sich auf dem Weg zur Schwaighofstraße. Wenn sie Glück hatte, stand die Prinz-Karl-Kapelle offen. Es würde nicht sehr bequem sein, aber besser, als im Regen zu bleiben.

      Schon nach wenigen Metern glaubte die junge Frau, nicht mehr weiterzukönnen. Die Schmerzen zogen sich jetzt über ihr ganzes rechtes Bein bis hinunter zu den Zehenspitzen und hinauf in die Hüfte. Schluchzend humpelte sie die Straße entlang. Sie hatte nicht einen Pfennig Geld in der Tasche. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so viel Angst vor dem Morgen gehabt.

      Dr. Baumann hatte an diesem Abend seine Freunde Sibylle und Gunther Fischer in Rottach-Egern besucht und befand sich nun auf dem Heimweg. Mit den Gedanken war er bei Melanie Berger. Seine neue Patientin war am Morgen zur Blutsenkung gekommen. Er hatte noch einmal versucht, sie zu weiteren Untersuchungen im Krankenhaus zu überreden, doch es war vergeblich gewesen. Warum müssen nur manche Leute so unvernünftig sein, dachte er, während er die Schwaighofstraße entlangfuhr. Es gab Menschen, die gingen mit ihrer Gesundheit um, als könnte sie jederzeit ersetzt werden.

      Plötzlich stutzte er. Rechts der Straße lief jemand durch den

      strömenden Regen, nur mit

      langen Hosen und einem halbärmeligen T-Shirt bekleidet. Automatisch trat er auf die Bremse.

      Als der Wagen stand, beugte er sich über den Beifahrersitz und kurbelte das Seitenfenster hinunter. Erst jetzt erkannte er Andrea Stanzl. »Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen?« fragte er aufgebracht und öffnete die Wagentür. »Los, rein mit Ihnen.«

      »Ich bin bis auf die Haut naß, Herr Doktor«, wandte Andrea ein, weil sie Angst hatte, den Sitz zu beschmutzen. »Sie würden es bitter bereuen.«

      »Frau Stanzl, bitte setzen Sie sich in den Wagen.« Dr. Baumann löste seinen Gurt und angelte nach der Decke, die auf dem Rücksitz lag.

      »Danke.« Andrea stieg in den Wagen, dann schloß sie die Tür und sperrte den Regen aus. Instinktiv strich sie ihre nassen Haare zurück.

      Eric legte der jungen Frau die Decke um die Schultern. »Und nun möchte ich wissen, was um alles in der Welt Sie in diesem Zustand auf der Straße machen«, sagte er.

      »Mein Freund hat mich rausgeworfen, weil ich versehentlich ein Tablett mit vollen Tellern vom Tisch gestoßen habe«, flüsterte Andrea. »Ich durfte nicht mal meine Jacke holen. Geld habe ich auch nicht.« Sie rieb sich die Augen.

      Dr. Baumann gab ihr ein Taschentuch. »Heute nacht schlafen Sie in meinem Haus«, bestimmte er spontan.

      »Ich wollte in der Prinz-Karl-Kapelle übernachten«, schluchzte Andrea. »Vielleicht hat sich mein Freund bis morgen beruhigt. Mit meinem kaputten Bein bin ich ihm keine rechte Hilfe mehr. Kein Wunder, daß er wütend auf mich ist. Ich habe heute solche Schmerzen, daß ich die Wände hochgehen könnte.«

      »Und der Regen macht es nicht besser«, bemerkte Eric. Er gab Gas. »Unsere Gästezimmer sind gemütlicher als die Prinz-Karl-Kapelle.«

      Die junge Frau wandte ihm ihr tränenüberströmtes Gesicht zu. »Wie soll ich Ihnen nur danken, Herr Doktor?« fragte sie. »Sie hatten mir zwar versprochen, daß Sie mir helfen würden, so recht habe ich daran jedoch nicht glauben können. Wenn man ständig herumgestoßen wird, fällt es einem sehr schwer, zu jemanden Zutrauen zu fassen.«

      »Wenn Sie nur wollen, wird man Sie nicht mehr herumstoßen«, sagte Eric, nahm sich vor, alles zu tun, damit Andrea Stanzl Boden unter den Füßen fand.

      Andrea hüllte sich fester in die Decke. Obwohl sie entsetzlich fror und bis auf die Haut naß geworden war, fühlte sie eine bleierne Müdigkeit. Sie hätte auf der Stelle einschlafen können. Nur mit äußerster Beherrschung schaffte sie es wachzubleiben.

      Kaum hatte der Wagen des Arztes vor der Garage gehalten, begann Franzl im Haus zu kläffen. »Das Begrüßungskomitee«, bemerkte er. »Sie müssen sich vor meinem Hund nicht fürchten. Er ist ein lieber, gutmütiger Kerl und hat noch nie jemanden gebissen.«

      »Hunde habe ich noch nie gefürchtet«, bemerkte Andrea und stieg aus. Eilig trat sie unter das Vordach, um die Decke, die um ihre Schultern lag, vor dem Regen zu schützen.

      Dr. Baumann ließ seinen Wagen vor der Garage stehen. Er führte Andrea zur Haustür und schloß auf. »Gleich, Franzl«, sagte er, als sein Hund sie stürmisch begrüßen wollte. Er schob ihn beiseite, damit Andrea in die Diele treten konnte. Fürsorglich nahm er ihr die Decke ab.

      Franzl bedachte sein Herrchen mit einem freundschaftlichen Schwanzwedeln, dann warf er sich vor Andrea auf den Boden und bot ihr seine Vorderseite. Die junge Frau vergaß ihre Müdigkeit und kniete sich neben ihn. »Sieht aus, als würdest du mich mögen«, meinte sie und begann, seine Brust zu kraulen. Franzl stieß leise, wohlige Laute

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