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zahlte sie für ihren Aufenthalt im Luisenhof. Daß sie jahrelang dafür gespart hatte, ging niemand etwas an. Auch nicht Jörg Thomson!

      Die Musik endete. Jörg lud sie zu einem Glas Wein an die Bar ein. Als er ganz einfach ihren Arm nahm und sie durch das Foyer führte, folgten ihnen mehr als nur ein Blick. Die Männer beneideten ihn um die junge Frau an seiner Seite, und die Frauen wären gern selbst an ihrer Stelle gewesen. Manch eine von ihnen hatte schon tagelang vergeblich versucht, den jungen Hotelier für sich zu interessieren.

      »Trinken wir auf Ihren Aufenthalt.« Jörg hob sein Glas. »Darauf und daß Sie mir gestatten, Ihnen in den nächsten Tagen die Gegend zu zeigen.«

      »Haben Sie denn soviel Zeit?« fragte Melanie. Auch wenn sie Jörg Thomson überaus charmant und nett fand, sie war sich nicht sicher, ob sie ihm auch trauen durfte. Sie nahm an, daß es ihm die meisten Frauen leicht machten, sie zu erobern.

      »Ich werde sie mir nehmen«, antwortete er.

      »Zeigen Sie allen Gästen die Umgebung?«

      »Nein«, gab er unumwunden zu. »Man hat mir schon sehr früh beigebracht, Arbeit und Privatleben zu trennen. Doch manchmal… Bitte, geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß. Ich bin der perfekte Fremdenführer.«

      »Also gut«, sagte Melanie. »Ich bin einverstanden.« Sie stieß mit ihrem Glas leicht gegen seines. »Sie sollten sich gut vorbereiten. Wenn ich irgendwo bin, interessieren mich die Sehenswürdigkeiten nicht nur am Rande, sondern ich möchte auch einiges über Hintergründe und Geschichte wissen.«

      »Sie werden mit mir zufrieden sein«, versprach er und blickte ihr in die Augen. »Sehr zufrieden sogar.«

      *

      Melissa und Sabrina Seitter lehnten ihre Fahrräder an die Hauswand des Doktorhauses und betraten die Praxis. Tina Martens schaute den beiden Siebenjährigen überrascht entgegen. Die Kinder hatten keinen Termin, außerdem waren sie bisher stets in Begleitung ihrer Großmutter gekommen. »Wo ist denn eure Oma?« erkundigte sie sich, nachdem sich die Tür hinter den Mädchen geschlossen hatte.

      »Unsere Oma ist zu Hause«, erwiderte Sabrina, die mutigere der Zwillinge. »Wir müssen ganz dringend den Onkel Doktor sprechen. Es geht um einen Patienten.«

      »Und um was für einen Patienten?« fragte Tina belustigt. Sie erwartete, daß Melissa einen Hamster aus dem bunten Beutel, den sie bei sich trug, zaubern würde. Manchmal kam es vor, daß Kinder ihre Tiere brachten und hofften, hier Hilfe für sie zu finden.

      »Unser Tamagotchi ist krank«, wisperte Melissa. »Unsere Oma kann ihm nicht helfen und der Opa will es sich erst gar nicht anschauen.«

      »Als wir unserem Opa gesagt haben, daß das Tamagotchi krank ist, hat er nur geschimpft und gemeint, wir sollten ihn mit diesem Unsinn in Ruhe lassen«, fügte ihre Schwester hinzu. »Oma sei verrückt, für so einen Mist Geld auszugeben.«

      Etwas anderes hatte Tina von Heinz Seitter nicht erwartet. Trotzdem mußte sie sich beherrschen, um nicht zu lachen. Mit einem Tamagotchi war bisher noch keiner zu Dr. Baumann gekommen.

      »Wird uns der Onkel Doktor helfen?« fragte Sabrina. Sie hatte Tränen in den Augen. »Wir haben es so lieb.«

      Tina brachte es nicht fertig, die Kinder einfach abzuweisen, zudem war an diesem Vormittag ohnehin nicht viel los. Drei Patienten hatten abgesagt, weil ihnen andere Termine dazwischengekommen waren. »Setzt euch ins Wartezimmer«, bat sie und hoffte, daß Dr. Baumann oder Franziska Löbl etwas von Tamagotchis verstanden.

      Andrea Stanzl betrat die Praxis. »Guten Morgen«, sagte sie und bemühte sich, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. Sie war völlig erschöpft und hatte starke Schmerzen in ihrem kranken Knie. »Ich habe einen Termin.«

      »Fein, daß Sie so früh kommen.« Die Sprechstundenhilfe lächelte ihr zu. »Es wird nur ein paar Minuten dauern. Sie können so lange dort Platz nehmen.« Sie wies auf eine gepolsterte Bank, die seitlich des Aufnahmetresens stand, und griff nach Andreas Krankenakte, um sie ins Sprechzimmer zu bringen. Dr. Baumann und Franziska sprachen gerade über die Behandlung einer älteren Frau, die seit Jahren an einem Halswirbelsyndrom litt. Tina sagte ihm, daß außer Andrea Stanzl auch die Seitter-Zwillinge mit ihrem Tamagotchi auf ihn warteten.

      »Kennt sich einer von euch mit Tamagotchis aus?« fragte Eric amüsiert. »Ehrlich, ich habe bis jetzt noch keines in den Händen gehalten.«

      »Ich kenne mich aus«, schrieb Franziska. »Einer meiner kleinen Patienten hat mir erst vor wenigen Tagen sein Tamagotchi erklärt.«

      »Fein, dann ist das ein Fall für dich«, erklärte der Arzt grinsend. »Schicken Sie die Kinder bitte herein, Tina. Wir haben ein williges Opfer gefunden.«

      Melissa und Sabrina war es ziemlich beklommen zumute, als sie allein ins Sprechzimmer kamen. Ohne ihre Oma fühlten sie sich alles andere als wohl in ihrer Haut.

      »Wissen eure Großeltern, wo ihr seid?« erkundigte sich Dr. Baumann, nachdem er die Kinder begrüßt hatte.

      Sie schüttelte den Kopf. »Sie hätten uns bestimmt verboten, mit dem Tamagotchi zu dir zu gehen, Onkel Doktor«, meinte Sabrina. »Aber einer muß ihm ja helfen, sonst stirbt es.«

      »Franziska ist Spezialist auf dem Gebiet der Tamagotchis«, behauptete Eric und zwinkerte der jungen Krankengymnastin zu. »Zeigt es ihr, sie wird ihm bestimmt helfen können.«

      »Sind Sie auch ein Doktor?« erkundigte sich Melissa.

      »Franziska ist Krankengymnastin«, erklärte Dr. Baumann und sagte den Kindern, daß die junge Frau nicht sprechen konnte, weil sie als kleines Mädchen einen Autounfall gehabt hatte.

      »Das ist bestimmt sehr schlimm«, meinte Sabrina.

      »Ich habe mich daran gewöhnt«, schrieb Franziska. »Und nun werde ich mal sehen, was ich für euer Tamagotchi tun kann.«

      Melissa nahm es vorsichtig aus ihrem Beutel und legte es der jungen Frau so behutsam in die Hände, als würde es sich nicht um ein Spiel, sondern um ein richtiges Tier handeln.

      »Ich werde eure Großeltern anrufen und ihnen sagen, daß ihr bei mir seid.« Dr. Baumann griff zum Telefonhörer.

      »Hoffentlich ist unsere Oma am Apparat«, sagte Sabrina und zog unwillkürlich die Schultern zusammen.

      Aber es war nicht Sabine Seitter, die den Anruf entgegennahm, sondern ihr Mann. »Was gibt es denn, Doktor Baumann?« fragte er überrascht, als sich der Arzt meldete.

      »Ich nehme an, Sie haben Ihre Enkelinnen bereits vermißt«, meinte Eric.

      »Ja, meine Frau sucht nach ihnen«, antwortete der Steuerinspektor a. D. »Sind die beiden etwa bei Ihnen? – Weshalb? Ich…«

      »Sie sind sozusagen mit einem Notfall zu mir gekommen«, fiel ihm der Arzt ins Wort und sprach von dem Tamagotchi.

      »Ich werde dafür sorgen, daß so etwas nie wieder vorkommt«, drohte Heinz Seitter. »Sobald meine Frau zurück ist, wird sie die Kinder abholen. Ich kann leider im Moment nicht weg, weil ich einem Nachbarn bei seiner Steuererklärung helfe. Wäre es möglich, daß die Kinder im Wartezimmer…«

      »Meine Haushälterin wird sich um Ihre Enkelinnen kümmern. Sie hat Kinder sehr gern.«

      »Sie soll den Kindern auf keinen Fall Süßigkeiten geben, das haben sie nicht verdient«, erwiderte Heinz Seitter. »Und was das Tamagotchi betrifft, so…«

      »So werden Sie Gnade vor Recht ergehen lassen, Herr Seitter«, verlangte Eric. »Für die Kinder ist es tatsächlich ein Notfall gewesen.«

      »Gut, ich werde es ihnen nicht fortnehmen, obwohl ich nicht verstehen kann, weshalb meine Frau so dumm gewesen ist, ihnen so etwas Irrsinniges zu kaufen. Aber Vernunft und Frauen…« Er seufzte auf. »Auf jeden Fall danke, Doktor Baumann.«

      »Schon gut«, meinte der Arzt und legte auf.

      Sabrina wandte sich ihm zu. »Wir bekommen bestimmt Stubenarrest für die nächsten vier Wochen«,

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