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Amerikanerinnen afrikanischer Abstammung gleichkommt. Jim Crow hat sich in Juan Crow verwandelt – und den Aktivistinnen zufolge sollten undokumentierte Amerikanerinnen, die bereit sind, für soziale Gleichheit einzustehen, gegen diese Entwicklung Widerstand leisten.7 Auch diese Argumente gründen auf einer Vorstellung von Gerechtigkeit. Sie bestehen darauf, dass manche Formen der Exklusion unfair und daher ungerecht sind. Die Vereinigten Staaten müssten demnach diejenigen Exklusionspraktiken abschaffen, die eine solche Ungerechtigkeit sowohl produzieren als auch dulden.

      Ich möchte anmerken, dass nichts von all dem allein auf den politischen Diskurs in den Vereinigten Staaten zutrifft. So sind große Teile der europäischen Politik von ähnlichen Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen im Bereich der Migration bestimmt. In Deutschland hat sich das Problem der Offenheit gegenüber syrischen Flüchtlingen zu einem zentralen Konfliktpunkt zwischen Angela Merkels Christdemokraten und populistischen Bewegungen wie der Alternative für Deutschland entwickelt. In Italien gelangten zwei populistische Parteien – die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega – größtenteils durch die Ablehnung von Einwanderung an die Macht. Eine der ersten Handlungen dieser Koalition bestand darin, ein Boot zurückzuweisen, das 629 Asylsuchende vor dem Ertrinken gerettet hatte.8 Wiederum nichts von all dem trifft allein auf Europa zu. Populistische Bewegungen sind in solch unterschiedlichen Gesellschaften wie Brasilien, Zimbabwe oder Myanmar entstanden und auch dort beruht ihr Machtgewinn zum Teil auf der Verurteilung gegenwärtiger Migrationsbewegungen als ungerecht.9

      In öffentlichen Auseinandersetzungen über Migration findet sich häufig ein bestimmtes Muster moralischer Argumentation: Was die jeweils andere Seite vorschlägt, ist ungerecht, und zwar deshalb, weil eine bestimmte Gruppe von Menschen dadurch unfair behandelt würde. Trotz dieser strukturellen Ähnlichkeiten gelangen die verschiedenen Argumentationslinien offensichtlich zu ganz unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Sie unterstützen jeweils radikal unterschiedliche Bündel von Migrationsrechten und entwerfen radikal unterschiedliche Visionen für die jeweilige politische Gemeinschaft. Aber diese so verschiedenartigen Schlussfolgerungen beruhen auf ähnlichen konzeptionellen Grundlagen. Es ist daher wenig überraschend, dass diese Argumente, wie David Miller es ausgedrückt hat, oft mehr Aufregung denn Aufklärung mit sich bringen.10 Der Unterschied zwischen der Seite, die ein Recht auf Ausschluss rechtfertigt und derjenigen, die eine solche Position als illiberal brandmarkt, verweist nicht auf gänzlich verschiedene moralische Standpunkte, sondern auf subtilere Unterschiede in der Anwendung gleicher moralischer Werte.

      Die öffentliche Debatte zum Thema Migration neigt hingegen eher selten zur Subtilität. Einwanderung hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der hitzigsten – wenn nicht gar explosivsten – Themen unserer gemeinsamen öffentlichen Diskussion entwickelt. Wir sind, um es vereinfacht auszudrücken, sehr gut darin, aneinander vorbei zu argumentieren. Wir können zeigen, wie unsere eigene Vorstellung von Fairness und Gerechtigkeit die von uns getroffenen Entscheidungen darüber rechtfertigt, wer welche Rechte auf Einlass in unsere politische Gemeinschaft hat. Wir sind zugleich ebenso gut darin, diejenigen zu dämonisieren und zu verurteilen, die nicht unserer Meinung sind. Auf der anderen Seite sind wir allerdings ziemlich schlecht darin, eine offene und sorgfältige Diskussion darüber zu führen, was berechtigterweise gegen unsere Vorstellung von Fairness vorgebracht werden könnte oder darüber, was wir erwidern könnten, um unsere Vorstellung gegenüber gegensätzlichen Ideen von Fairness zu verteidigen.

      Was kann die politische Philosophie angesichts dieser Verhältnisse anbieten? Es ist unwahrscheinlich, dass sie so etwas wie einen Konsens über das Verhältnis von Gerechtigkeit und Migration hervorbringt. Uneinigkeit ist eine unvermeidliche Folge von Freiheit und wir sollten Einstimmigkeit zu allerletzt bei solch komplexen und hitzigen Themen wie der Migration erwarten. Aber die Philosophie könnte uns zumindest Werkzeuge anbieten, um unsere Uneinigkeit besser zu verstehen. Sie kann uns mitunter etwas Klarheit über die Konzepte und Ideen verschaffen, die unserem gemeinsamen Diskurs über Gerechtigkeit im Hinblick auf Migration zugrunde liegen und uns somit einen Weg nach vorne weisen – und wenn schon nicht zur Einstimmigkeit, so mag uns dieser zumindest zu so etwas wie gegenseitigem Respekt führen. Präzision im Hinblick darauf, wie wir Ideen und Begriffen nutzen, könnte unsere Debatten über Gerechtigkeit weniger feindselig gestalten, und sei es allein durch den Zwang, genau darzulegen, wie wir – und diejenigen, die uns widersprechen – das Wesen der von uns vorgebrachten Behauptungen verstehen.

      Wie also können wir den Begriff der Gerechtigkeit verstehen? In diesem Buch werde ich auf John Rawls’ Überlegungen zurückgreifen, für den Gerechtigkeit die „erste Tugend“ sozialer Institutionen, und somit auch politischer Staaten, darstellte.11 Nach Rawls handelt es sich bei der Gerechtigkeit um einen formalen Begriff (concept of justice), der im Einklang mit einer Vielzahl möglicher Gerechtigkeitsvorstellungen (conceptions of justice) interpretiert werden kann, wobei jede dieser Vorstellungen sozusagen im Detail ausführt, wie der formale Begriff der Gerechtigkeit zu verstehen und anzuwenden ist. Für den Anfang genügt jedoch der formale Begriff, um zu verstehen, wie die Idee der Gerechtigkeit im Falle der Migration spezifischer gefasst werden könnte:

      „Man kann sich also natürlicherweise neben den verschiedenen Gerechtigkeitsvorstellungen einen Gerechtigkeitsbegriff denken, der aus der ihnen gemeinsamen Rolle besteht. Menschen mit verschiedenen Gerechtigkeitsvorstellungen können sich also immer noch darin einig sein, daß Institutionen gerecht sind, wenn bei der Zuweisung von Grundrechten und -pflichten keine willkürlichen Unterschiede zwischen Menschen gemacht werden, und wenn die Regeln einen sinnvollen Ausgleich zwischen konkurrierenden Ansprüchen zum Wohle des gesellschaftlichen Lebens herstellen.“12

      Dieser Begriff wird in Rawls’ eigenem Werk auf die Grundstruktur einer Gesellschaft angewendet. Diese regelt ihm zufolge „wie die wichtigsten sozialen Institutionen Grundrechte und -pflichten und die Früchte der gesellschaftlichen Zusammenarbeit verteilen.“ Nach diesem Verständnis ist Gerechtigkeit der bedeutendste moralische Aspekt einer politischen Gesellschaft und zwar derart, dass keine andere Tugend Vorrang vor dem Wert der Gerechtigkeit hat; folglich kann ein ungerechtes System von Institutionen nicht durch die Erfüllung anderer politischer Tugenden gerechtfertigt werden.

      All das ist Kennern der modernen politischen Philosophie wohlvertraut. Es gibt allerdings drei Aspekte, die ich an dieser Stelle hervorheben möchte. Der erste ist der, dass die Idee der Gerechtigkeit Stringenz hinsichtlich ihrer Anwendung verlangt. Durch die Bezeichnung der Gerechtigkeit als erste Tugend sozialer Institutionen betont Rawls die Idee, dass aufseiten derjenigen, die unter Ungerechtigkeit leiden, starke Ansprüche bestehen. Die Idee der Gerechtigkeit begründet also bestimmte und besonders starke Ansprüche auf die Korrektur ungerechter Verhältnisse. Der zweite Aspekt, den ich hervorheben möchte, besteht in der Beziehung der Gerechtigkeit zur Idee der Gleichheit. Ungerechtigkeit bedeutet demnach Ungleichheit hinsichtlich eines bestimmten Lebensbereichs; tatsächlich kann es als eine Tatsache im Begriff der Gerechtigkeit betrachtet werden, dass sie bestimmte Aspekte von Personen benennt, in Hinsicht auf die diese Personen das Recht haben, als moralisch gleichwertig behandelt zu werden.13 Rawls’ Verwendung des Konzepts der Willkür gibt diese Vorstellung von Gleichheit wieder: Wenn verschiedene Individuen den sozialen Institutionen in einer ähnlichen Situation gegenüberstehen, ist es ungerecht, wenn diese sozialen Institutionen sie aufgrund eines willkürlich bestimmten Fakts unterschiedlich behandeln. Zuletzt möchte ich den institutionellen Aspekt der Gerechtigkeit hervorheben. Die Sprache der Gerechtigkeit ist umfassend: Wir können Individuen wie auch persönliche Verpflichtungen oder persönliche Beziehungen als gerecht oder ungerecht bezeichnen. Die besondere Form der Gerechtigkeit, von der Rawls spricht, bezieht sich hingegen auf Menschen, die durch soziale – allgemeiner: politische – Institutionen verbunden sind.

      Wie aber kann uns dieses weite Verständnis von Gerechtigkeit dabei helfen, zu verstehen, welche Formen sozialer Institutionen zu Recht als ungerecht verurteilt werden können? Wie bereits erwähnt, argumentiert Rawls, dass wir eine bestimmte Vorstellung der Gerechtigkeit entwickeln müssen, um zu verstehen, wie wir die abstrakten Bestimmungen des formalen Begriffs der Gerechtigkeit interpretieren und anwenden sollen. Für die Entwicklung einer solchen Vorstellung werden uns jedoch ein paar Hinweise gegeben. Es gibt einige provisorische Orientierungspunkte, die uns dabei helfen, die Sprache der Gerechtigkeit auf die Welt der Politik

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