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denkt, oder etwa nicht?«

      Jakob gab sich geschlagen und nickte. Der Gedanke, seine starrköpfige Nichte könnte einmal einen Mann heiraten, der sie schlug oder ihr gar noch Schlimmeres antat, erfüllte Jakob mit Grauen. Natürlich gab er Luzia recht: Matthias hatte immer irgendwelche Grillen im Kopf, aber bei ihm hätte sie es gut. Und seine Nichte war auch nicht ohne. Im Gegensatz zu ihr war ein Esel geradezu einsichtig. Und was war eigentlich so falsch daran, dass er ihr einen geeigneten Mann wünschte? Einen, der bereit sein würde, ihre stürmische Natur allenfalls ein wenig zu bändigen. Und es war doch wichtig, dass sie heiratete. Eine unverheiratete Frau besaß keinerlei Rechte und war völlig schutzlos. Sie durfte nichts kaufen, was über Lebensmittel oder Haushaltswaren hinausging, noch etwas anderes verkaufen. Was sollte denn aus Luzia werden, wenn er und Elisabeth eines Tages nicht mehr sein würden?

      Der Duft der Sommernacht war überwältigend. Süß und fruchtig brachte er die Kunde schwerer, reifer Sommerfrüchte. Jetzt bot die Natur alles im Überfluss und die Menschen schwelgten in dieser Fülle. Sie feierten den Sommer und mit ihm das Licht, das schon bald wieder sterben würde.

      Ein sanfter Wind streifte Luzias warme Haut. Nepomuk strich um ihre Röcke und tat seine Ungeduld mit einem lauten Maunzen kund.

      Mit wiegenden Schritten verließ Luzia die schmale Fischergasse und bog landeinwärts in die Schilfgasse ein. Hier standen die Häuser dicht an dicht. Am Ende der schmalen Gasse wohnte ihre Freundin Magdalena.

      Luzia war froh, sich für das leichte Kleid aus moosgrünem Flachs entschieden zu haben. Es bildete einen lebhaften Kontrast zu ihrem feurigen Haar. Noch froher war sie allerdings über den glimpflichen Ausgang des Disputs mit ihrem Onkel. Luzia wusste, dass er sich im Grunde nur Sorgen um ihre Zukunft machte, aber trotzdem … Sie atmete seufzend aus.

      »Luzia, na endlich, ich dachte schon, die Schäferin hätte dich im letzten Augenblick doch noch gerufen.« Das war die Stimme von Magdalena, die vor dem Haus auf sie wartete.

      Luzia schüttelte den Kopf.

      »Als ich heute Morgen bei ihr war, sah es nicht danach aus, als habe es das Kleine sonderlich eilig.«

      Arm in Arm machten sie sich auf den Weg Richtung Seeufer. Die Freundinnen erreichten schon bald den moosbewachsenen Weg, der sie durch den kleinen Riedwald bis ans Ufer des Bodensees führte. Erdig, feucht, fast ein wenig saftig roch das Moos in der warmen Sommernacht. Sie folgten der in großen Schwüngen verlaufenden Seefelder-Ache. Den murmelnden Bach säumten viele knorrige Weiden. In der Dämmerung wirkten sie wie alte, weise, ehrwürdige Weiber, wie silberweiße, lichtgrüne Nebelfrauen. Luzia liebte die riesigen Bäume, deren weit hinabhängenden Äste teilweise den kleinen Fluss berührten, als würden sie ihn sanft streicheln. Sonst war es zwischen den alten Bäumen einsam und still, aber heute trug der milde Abendwind neben dem Duft von Seegras auch die Stimmen der jungen Leute herüber. In einem Halbrund öffneten sich die Bäume zum Ufer des Bodensees. Zusammen mit der gewaltigen Landzunge, die weit in den See hinausragte, entstand ein großer, fast runder Platz. Die untere Grenze bildete das Wasser.

      Hier am Ufer des Sees war Perchta, die uralte Erdenmutter, noch immer allgegenwärtig. Aus jedem Stein, jedem Tropfen Wasser, ja selbst aus der prickelnden Abendluft strahlte ihre Anwesenheit und verzauberte die Menschen.

      Als sie den Platz erreichten, sahen sie, dass die Burschen des Dorfes bereits das Feuerholz aufgeschichtet hatten. Sie standen um den riesigen Holzstoß herum, und mit ihnen die jungen Frauen des Dorfes, die wie Luzia und Magdalena einen Teil ihrer Johannisbuschen zum Kranz gewunden im Haar trugen. Die duftenden, bunten Sommerblumen schmückten die Frauen wie eine Sommerbraut oder eine Korngöttin. Fast alle trugen ihr Haar offen und hatten sich in ihre schönsten Gewänder gekleidet.

      »Ich kann Hans gar nicht entdecken. Er wird doch heute Abend kommen?«, fragte Luzia.

      Magdalenas Blick war schwer zu deuten.

      »Ich weiß doch, dass er dir gefällt«, ermutigte Luzia die Freundin.

      »Ich hätte doch lieber das rote Kleid wählen sollen. Oder meinst du, ich gefalle ihm auch in diesem blauen, alten Lumpen?«, fragte Magdalena zögernd. Sie wirkte plötzlich unsicher, obwohl es dafür überhaupt keinen Grund gab. Dennoch wusste Luzia, dass Magdalena sich ihrer Zähne schämte. Erst kürzlich musste sie der Bader wieder um einen Eckzahn erleichtern. Seither lachte Magdalena nicht mehr so gerne. Luzia fand das sehr schade.

      »Mach dir nicht so viele Gedanken! Natürlich wird dich Hans schön finden! Sieh doch nur dein wunderschönes Haar!«

      Magdalenas Arme legten sich um Luzias Mitte, und sie fand sich in einer stürmischen Umarmung wieder. Sie spürte Magdalenas Glück und die Ungeduld, mit der sie sich nach Hans umsah. Luzia konnte die Aufregung ihrer Freundin nur halb nachvollziehen. Sie war anders. Sie legte keinen Wert darauf, den jungen Männern aus dem Dorf den Kopf zu verdrehen.

      Nach und nach trafen immer mehr junge Männer und Frauen beim großen Festplatz auf der Landzunge ein. Traditionell bestand das Holz für die Sonnwendfeier aus neunerlei unterschiedlichen Sorten: Eiche, Birke, Erle, Esche, Holunder, Ahorn, Weißdorn, Schwarzdorn und Weide wurden von einem jungen Paar entzündet. In diesem Jahr war die Wahl auf Josef, den jungen Schuster, und seine zukünftige Frau, Elisa, gefallen.

      Bald brannte ein großes Sonnwendfeuer. Zweige knisterten und Funken stoben in die samtblaue Nacht. Der Mohrenwirt war mit seinem Karren von der Langen Gasse, wo sein Wirtshaus stand, bis ans Ufer des Sees gekommen. Unter den Bäumen hatte er seinen Stand aufgebaut und schenkte heißen Met aus. Luzia schaute ins Feuer. Glühend schossen die hellen Zungen weit in den Nachthimmel. Heute Nacht waren die Tore zur Anderswelt weit geöffnet. Dicht über der Wasseroberfläche schwebten silberne Schleier. Eine leichte Bö trug das leise Lachen der Wassergeister bis auf die Landzunge.

      An eine Weide gelehnt verfolgte Matthias, wie Luzia ein wenig abseits des Feuers barfuß und mit gerafften Röcken im Wasser stand. Er schaute ihr schon eine ganze Weile zu, wie sie tief in Gedanken versunken auf den See hinaus blickte. Sie verzauberte ihn, so wie sie es immer tat. Es fiel ihm schwer, sich von ihrem Anblick zu lösen. Das silberne Licht des Mondes tanzte wie eine geheimnisvolle Brücke aus Feenhaar über dem nachtschwarzen See. Mondschein und Feuer hüllten Luzia in einen Mantel aus Licht, das sich im Wasser zu ihren Füßen spiegelte. Wie gerne hätte Matthias mit dem Licht getauscht. Aber Luzia ließ ihn nie richtig an sich heran.

      Einen Augenblick hielt Luzia inne, um dem tiefen Herzschlag des Gewässers zuzuhören. Das grüne Haar des Sees bewegte sich im rhythmischen Puls der unsichtbaren Strömung. Neugierig liebkoste das kühle Nass ihre nackten Füße. Das leise Murmeln kam von der anderen Seite des Sees. Dort gab es einen unheimlichen Platz. Teufelstisch nannten die Leute die geheimnisvolle Felsnadel, die aus dem Wasser ragte. Über den Teufelstisch erzählte man sich furchterregende Dinge. Mitunter sollten dort riesige Welse leben. Halbe Seeungeheuer, die jedes Fischerboot mit sich in die Tiefe zogen. Boot und Fischer blieben auf ewig verschwunden.

      Sie entdeckte Matthias, der langsam Richtung Feuer ging. Sie winkte ihm zu, und er kam zu ihr.

      »Luzia, wie schön, dass du gekommen bist. Ich weiß nicht, mit wem ich sonst getanzt hätte«, begrüßte er sie.

      »Ach nein, weil es hier außer mir keine weitere Frau gibt, oder wie?« neckte sie und bereute es gleich, weil Matthias’ Miene sich verdüsterte.

      »Darf ich dich zu einem Becher Met einladen?«, fragte er zögernd.

      Luzia deutete eine Verbeugung an. »Mit Vergnügen!«, erwiderte sie. Sie wollte heute ausgelassen sein. Lachen und Tanzen, bis ihr schwindelte. Und ein paar Becher Met waren auch nicht zu verachten.

      »Dann lass uns zum Mohrenwirt hinüber gehen und sehen, was er dabei hat. Vielleicht verkauft er wieder die fettigen Küchlein vom letzten Jahr.« Luzia nickte und ein Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht.

      »Die, von denen du schon zur Wintersonnwende zu viele gegessen hast?«

      Matthias stutzte. »Das weißt du noch?«

      Sie nickte. »Ich werde nie vergessen, wie du jammernd auf deinem Bett gelegen hast und mich davon überzeugen

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