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an, wie schwer es ihr fiel, ihren Körper wenigstens halbwegs unter Kontrolle zu halten. Ein kaum merkliches Zittern zog sich ihre Arme hinauf bis zu Schultern und Kopf. Lediglich die Beine unter der Decke lagen komplett still. Und dass das ein noch furchtbareres Zeichen war, war klar. Bren dachte an die starke, kleine Frau zurück, die noch vor zwei Jahren auf Cay und sie und so viele weitere Pflegekinder aufgepasst hatte. Ihnen ein Zuhause geboten hatte. Es war erschütternd, zu sehen, wie viel davon so schnell verloren gegangen war. Aber Nans Augen leuchteten noch. Ihr Mund lächelte noch dasselbe Lächeln, mit dem sie Bren in der Vergangenheit so viele Male Mut gemacht hatte. Sie hatte sich längst nicht aufgegeben und Bren konnte nicht anders, als sie dafür zu bewundern.

      »Du siehst gut aus«, sagte sie laut. »Oh, und ich hab dir was mitgebracht.« Sie zerrte die Schokolade aus der Hosentasche und legte sie neben Nans Bett auf den Nachttisch. »Es ist nicht viel, ich weiß, aber ich komme quasi direkt vom Raumhafen.«

      »Du musst mir gar nichts mitbringen, Bren. Du sorgst dich viel zu sehr, das sage ich dir immer wieder.«

      Bren winkte ab und setzte sich neben ihre ehemalige Pflegemutter auf die Bettkante. Dann nahm sie Nans runzlige Hand. »Nan, hast du in letzter Zeit was von Cay gehört?«

      Sofort wurde Nans Miene ernster. »Nein, was ist mit ihr? Ist was passiert?«

      »Ich weiß es nicht«, gestand Bren ein und drückte Nans Hand. »Sie ist nicht zu Hause und ich habe eine Weile nichts von ihr gehört. Vielleicht ist sie nur wegen irgendetwas unterwegs und hat mir nur nicht Bescheid gesagt, weil sie nicht wissen konnte, dass ich zu früh zurück nach Hause komme. Aber sie hat ihr P-Pad nicht dabei und ich … ich mache mir einfach Sorgen. Hast du sie gesehen?«

      »Nein. Nicht im letzten Monat. Sie war vor einiger Zeit mit Kuchen hier und wir haben ihren Geburtstag nachgefeiert, danach habe ich sie nicht mehr gesehen. Du kennst sie doch, Bren. Sie lebt ihr Leben und hat keine Zeit, alle zwei Wochen hier in diesem Hort der Langeweile vorbeizusehen.«

      »Ja.« Bren seufzte. »Ich weiß.«

      »Du solltest dir ein Beispiel an ihr nehmen«, setzte Nan schmunzelnd hinzu.

      »Aber …«

      »Nichts aber! Ich habe an die hundert Kinder großgezogen und ich freue mich immer, wenn ihr mich besuchen kommt. Aber glaubst du, auch nur einer der anderen verbringt so viel Zeit hier wie du? Es ist lieb, dass du dich sorgst, ehrlich. Ich weiß das zu schätzen. Aber glaub mir, das Leben ist zu kurz, um es nur in Sorge um andere zu verbringen.«

      »Das …«

      Nan hob die Hand und hielt Bren so ein weiteres Mal vom Sprechen ab. »Und Cay macht es ganz richtig, wenn du mich fragst. P-Pads sind eine großartige Angelegenheit, aber ein kleiner Urlaub ohne sie tut hin und wieder ganz sicher Wunder.« Sie lächelte. »Wann wolltest du denn nach Hause kommen, ehe dir das mit deinem Arm passiert ist?«

      »In etwas mehr als drei Wochen.«

      »Und Cay hat dir versprochen, dass sie dann da sein wird?«

      »Sicher. Sie ist immer da.«

      »Dann wird sie das auch diesmal sein. So wie ich unser hübsches Wunderkind kenne, ist sie ihrem Stundenplan mal wieder meilenweit voraus und gönnt sich gerade irgendwo eine wohlverdiente Pause und jede Menge Spaß. Tu das Gleiche, Bren! Und mach dir erst Sorgen, falls sie in diesen drei Wochen dann immer noch nicht da ist, ja?«

      Bren seufzte. »Ich werd’s versuchen«, log sie.

      Sie glaubte nicht daran, dass Cay sich Urlaub genommen hatte. Nicht ohne abzuwaschen oder etwas zu packen, nicht ohne ihr P-Pad. Aber Nan konnte ihr offensichtlich nicht weiterhelfen und Bren wollte sie nicht unnötig belasten. Auch nicht damit, dass sie sich keine Freizeit gönnen konnte, weil sie dringend Arbeit brauchte. Weil sie im Moment keine Ahnung hatte, wie sie die Miete und Cays Studiengebühren für den kommenden Monat aufbringen sollte. Das waren Dinge, mit denen sie allein fertig werden würde. Also lächelte sie und wechselte das Thema.

      Erschöpft und entmutigt kehrte Bren in den antiquierten Betonklotz zurück. Sie stieg hinauf zu ihrer Wohnung, öffnete die Tür und hoffte auf ein Wunder. Doch der Raum dahinter hatte sich nicht verändert. Alles lag nach wie vor an seinem Platz und keine Cay sprang aus dem Sessel, um sie zu begrüßen.

      Bren seufzte und kehrte direkt wieder um. Sie hätte gern ihr P-Pad genommen und einfach eine Vermisstenanzeige aufgegeben, die Behörden informiert. Aber was sollte sie denn schreiben? Schwester seit vier Stunden nicht in der Wohnung aufgetaucht? Beantwortet keine Nachrichten? Hat den Abwasch stehen gelassen? Nein, für eine Anzeige brauchte sie mehr – vor allem mehr Zeit, und die würde sie der Sache auf keinen Fall lassen.

      Sie überlegte, ob sie noch einmal alle Nachbarn abklappern sollte, entschied jedoch, dass ihr die Erfolgschancen gemessen am Zeitaufwand zu gering waren. Es war schon spät. Sie würde rausgehen und im Fevernight nach Cay suchen, vielleicht auch im Ol’ Moon. Vorher aber würde sie es zumindest noch einmal bei den unmittelbaren Nachbarn versuchen. Wenn jemand etwas mitbekommen hatte, dann sie.

      Cen, der links von ihnen wohnte, reagierte nicht auf Brens Klopfen. Auch Bri und Asly eins weiter waren nicht zu Hause. Bren setzte die Runde stoisch fort, bis sie schließlich bei Pat angelangt war, der schräg gegenüber von ihr wohnte. Als sie an seine Tür klopfte, hörte sie Schritte im Inneren, und gleich darauf glitt die Tür zur Seite.

      Bren wich überrascht zurück. Vor ihr stand nicht der mittvierziger Junkie, der schon lange hier gelebt hatte, bevor Cay und sie vor zwei Jahren eingezogen waren. Stattdessen starrte sie auf den wohldefinierten Körper eines deutlich jüngeren Mannes. Der Fremde hatte rotes Haar – nur etwas dunkler als ihr eigenes –, leicht gebräunte Haut und war mit nicht mehr bekleidet als einem Paar blauer Boxershorts. Bren gestattete sich einen Moment, in dem sie den Anblick schlicht auf sich wirken ließ. Dann schaute sie an dem Mann vorbei und musterte die Wohnung in seinem Rücken: ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett, ein kleiner Holo-Projektor. Es war eindeutig Pats Wohnung, auch wenn Bren sie noch nie zuvor in einem derart aufgeräumten Zustand erlebt hatte.

      Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Mann in der Tür zu. »Hi«, begann sie. »Ich bin Bren von nebenan. Wo ist denn Pat?«

      »Wieso?« Ihr Gegenüber schaute misstrauisch.

      »Ich wollte ihn was fragen.«

      Der Fremde verschränkte die Arme vor der Brust. Es war eindeutig eine Geste der Abwehr, nicht der Scham. »Pat ist nicht da.«

      So einfach ließ Bren sich nicht abwimmeln. »Es ist wirklich wichtig, dass ich mit ihm spreche. Wann kommt er wieder?«

      »Weiß nicht.«

      »Wo ist er denn hin?«

      »Weiß nicht.«

      »Seit wann ist er weg?«

      »Weiß nicht.«

      »Na klasse! Wenn du nicht weißt, wo er ist und seit wann er weg ist, wer bitte hat dich dann hier reingelassen, hm?«

      Darauf schwieg der Fremde und sie fürchtete, er würde ihr jeden Moment die Tür vor der Nase zusperren. Um ihm keine Gelegenheit dazu zu geben, machte Bren einen Schritt nach vorn und trat in den Türrahmen. Sie stand nun dicht an dicht mit dem halbnackten Unbekannten und noch immer ließ er kein Zeichen der Scham oder Verunsicherung erkennen. Unter anderen Umständen wäre es eine reizvolle Begegnung gewesen. So aber raubte sie Bren den letzten Nerv.

      »Hör zu!«, erklärte sie scharf. »Und wenn du den alten Pat um die Ecke gebracht und seine Wohnung illegal besetzt hättest, es wäre mir egal, in Ordnung? Ich bin auf der Suche nach meiner Schwester. Nur darum geht’s mir. Hast du sie gesehen? Blond, etwas größer als ich, wohnt hier schräg gegenüber.«

      Der Fremde schüttelte den Kopf, doch etwas in seinem Blick änderte sich. Er sah Bren einen Augenblick an, dann machte er einen Schritt zurück und trat beiseite.

      »Komm rein.«

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