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stieg geschickt über zwei Paar ausgestreckte Beine. Niemand machte ihr Platz, aber sie wurde auch nicht schief angemacht und das reichte ihr voll und ganz.

      »Stattdessen nahmen sie ihn mit zu sich in ihr Haus unter der Erde«, fuhr der Junge nun in ihrem Rücken fort. »Dort war eine riesige Party.«

      Bren stockte. Hatte Sioh nicht auch so etwas erzählt?

      »Er hat mit ihnen gefeiert und getanzt und das die ganze Nacht.«

      Ach, selbst wenn! Es lag in der Natur eines Trends, dass sich gewisse Dinge wiederholten. Sie ging weiter.

      »Als er aber wieder rauskam«, sagte der Junge gerade, als sie um die Ecke zurück auf die breitere Straße bog, »da war seine Frau alt und seine Kinder groß. Und echt sauer. Für Feen vergeht die Zeit nämlich anders, müsst ihr wissen. Und das war seine Strafe. Abgefahren, findet ihr …«

      Bren verstand den Rest nicht. Zu viel Glas dazwischen. Zu viele Menschen um sie herum, sobald sie die schmale Gasse hinter sich gelassen hatte. Sie ging zum Eingang des Clubs zurück. Immer noch keine Schlange, keine Werbung, nur eine verschlossene Tür. Mit voller Wucht hämmerte Bren dagegen. Einmal. Zweimal. Dreimal. Nichts. Sie packte den Türknauf, zerrte, zog und schob daran, doch er bewegte sich keinen Millimeter.

      »Hey!«, brüllte sie und ließ noch einmal die Faust sprechen. »Hey!«

      Nichts.

      Gar nichts.

      Was jetzt? Sie konnte weiter klopfen, bis sie sich den zweiten Arm auch noch ruinierte, nur was sollte das bringen? Sie konnte gehen, aber da war etwas an diesem Ort. Irgendetwas passierte dort drinnen, und sie würde nicht herausfinden, was, wenn sie jetzt ging. Sie hätte sowieso nicht gewusst, wohin.

      Warten also. Warten, beobachten und hoffen. Ätzende Aussichten.

      Wie die Jugendlichen aus der Gasse suchte nun auch Bren eine geeignete Hauswand. Schräg gegenüber vom Eingang des Alien Neighbours fand sie eine. Dort ließ sie sich auf den kalten Asphalt sinken. Sie lehnte den Kopf nach hinten an die Schaufensterscheibe, winkelte die Beine an, legte den verletzten Arm auf ihre Knie und fixierte ihn mit dem gesunden. So wartete sie.

      Sie musste geschlafen haben, denn als sie wieder zu sich kam, hatte die Szenerie sich verändert. Noch immer drängten Menschengruppen die Straße hinab, doch die Stimmung war eine andere. Ausgelaugte, betrunkene Gestalten mischten sich unter wache, aber schweigende Passanten. Immer wieder kamen torkelnde und zielstrebige Bewegungsmuster miteinander ins Gehege. Trotzdem tolerierte und ignorierte man einander, so gut es ging. Es waren die frühen Morgenstunden, in denen manch einer noch feierte, viele andere aber bereits zu den Frühschichten in die Betriebe und auf die Felder aufbrachen.

      Bren blinzelte ein paarmal. Sie streckte ihre Glieder aus, so gut es ihr aus ihrer zusammengekauerten Haltung heraus möglich war, dann richtete sie sich auf. Ihre Augen suchten sofort das Alien Neighbours und fanden es so unscheinbar und verschlossen wie zuvor. Die Spiegelscheiben verwehrten ihr weiter jeden Blick ins Innere. Wie sollte sie da wissen, ob die Party drinnen noch im Gange war? Hatte sie Cay verpasst? War Cay überhaupt hier gewesen?

      Wütend auf sich selbst warf sie den Kopf zurück und ließ ihn schmerzhaft gegen die Fensterscheibe prallen. Sie hätte nicht einschlafen dürfen. Und zu allem Überfluss war ihr jetzt auch noch kalt und sie fühlte sich erschöpfter als zuvor.

      Aber es half ja nichts! Geschehen war geschehen. Umständlich kam Bren auf die vom langen Sitzen steif gewordenen Beine. Dabei verschwamm die Straße zu ihren Füßen und drehte sich ein wenig. Bren stützte sich an der Scheibe ab, um ihr Gleichgewicht zu wahren. So wartete sie, bis ihr Kreislauf sich wieder gefangen hatte. Dann löste sie sich von der Hauswand. Sie verschränkte ihre Finger ineinander und ging ein paar Schritte, um wieder warm zu werden.

      Das Alien Neighbours ließ sie dabei nicht aus den Augen. Sie umrundete die Passanten so, dass ihr niemand für mehr als eine Sekunde den Blick auf die Tür versperrte. Vielleicht war ja doch noch jemand da. Vielleicht hatte sie Glück. Vielleicht hatte sie noch nicht alles vermasselt.

      Tatsächlich schwang nach einer Weile die Eingangstür auf und drei Gestalten verließen den Laden. Zwei unscheinbare Männer, keinen zweiten Blick wert. Der dritte war auffälliger. Er hatte sein Gesicht und seine Hände mit einem dieser furchtbaren Schwarzlicht-Tattoos verzieren lassen, die vor ein paar Jahren so in Mode gewesen waren: komplett unsichtbar bei Sonnenlicht oder normalem Scheinwerferschein, aber dafür strahlte es auf, sobald man Schwarzlicht in die Beleuchtung integrierte. Bren versuchte, die Muster auf der Haut des Mannes zu erkennen, doch kaum von der Schwarzlichtquelle entfernt, verblasste das Tattoo und verschwand, ehe sie es eingehender betrachten konnte.

      Die Gruppe ging fort und Bren sah ihr nicht lange nach. Diese Leute interessierten sie nicht weiter. Der Club war noch offen, nur das zählte. Cay konnte immer noch da drin sein.

      In den nächsten zwanzig oder dreißig Minuten kamen immer wieder Leute aus dem Alien Neighbours. Manchmal allein, manchmal in Gruppen. Jedes Mal, wenn die Tür aufgestoßen wurde, trieb die Aufregung Bren die Müdigkeit aus den Gliedern. Jedes Mal starrte sie und hoffte, endlich ihre Schwester zu entdecken. Und jedes Mal wurde sie enttäuscht. Trotzdem blieb sie hartnäckig.

      Als die nächste Gruppe lachend aus dem Club kam, die Arme ineinander gehakt, die Schritte flink und sicher, wurde Bren bewusst, wie ungewöhnlich ausgeruht alle wirkten, die das Alien Neighbours verließen. Niemand taumelte oder lallte. Und niemand schien Schwierigkeiten zu haben, sich nach der langen Nacht auf den Beinen zu halten. Was trieben die da drinnen? Schlafen? Bren bereute es mehr und mehr, dass sie sich hatte abwimmeln lassen. Ein Blick ins Innere hätte ihr nicht nur die nervenzehrende Warterei erspart, er hätte auch das eine oder andere Rätsel aufklären können. Stattdessen stand sie sich hier in der Kälte die Beine in den Bauch.

      Inzwischen lief sie größere Schleifen, um sich beschäftigt zu halten. Meistens fügte sie sich dabei geschickt in den Menschenstrom ein, aber hin und wieder musste sie stehen bleiben und umständlich jemandem ausweichen. Gerade trat sie beiseite, um eine Ansammlung besonders verbissen dreinschauender Leute in Arbeitsoveralls vorbeizulassen, da schwang abermals die Tür zum Alien Neighbours auf und zog Brens Aufmerksamkeit auf sich. Eine größere Gruppe trat heraus und kam in ihre Richtung. Acht oder neun Leute. Bren war sich nicht sicher und sie kam auch nicht dazu, zu zählen. All ihre Gedanken galten der zierlichen Gestalt in der Mitte der Gruppe.

      Cay lief Hand in Hand mit einem drahtigen, blonden Mann. Ein seliges Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Ihre Schritte waren schnell und leicht. So sehr, dass sie ab und zu mehr hüpfte, als dass sie tatsächlich ging – und das barfuß. Bren stockte der Atem. Sie wollte etwas sagen, aber die Erleichterung war so überwältigend, dass es ihr die Sprache verschlug.

      Nur wenige Meter entfernt stimmte einer der Männer aus der Gruppe eine beschwingte Melodie an. Einfach so. Ein zweiter fiel mit ein und ein dritter klatschte einen aufregend unregelmäßigen Rhythmus dazu. Cay lachte, machte einen Satz nach vorn und begann, mitten auf der Straße zu tanzen. Sie griff den Saum eines wehenden grünen Kleides, das Bren nicht kannte, und schwang den Rock in einem weiten Bogen um sich herum. Ihr Begleiter folgte ihr, ergriff wieder ihre Hand und führte sie in eine ausgelassene Drehung. Auch die übrigen Frauen und Männer wiegten sich im Takt, während sie gingen. So kamen sie näher, bis Bren sich sicher war, dass Cay sie entdeckt haben musste. Bren strahlte und breitete den unverletzten Arm aus. Doch Cay tanzte weiter. Und zog an ihr vorbei.

      Bren wirbelte herum. »Cay?«

      Der Rhythmus blieb ungebrochen. Die Männer sangen weiter und Cay drehte sich schon wieder im Kreis.

      »Cay!«, schrie Bren ihr hinterher. Es war ihr egal, wer es sonst noch hörte und ob sie die ganze Straße damit weckte.

      Mehrere Köpfe drehten sich nach ihr um, aber Cays war nicht darunter. Mit verkrampften Händen und trockener Kehle sah Bren zu, wie ihre Schwester sich von ihr entfernte. Da endlich löste sie sich aus ihrer Starre. Ehe sie sich’s versah, rannte sie die

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