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in dem sich Briten halten konnten.

      Man kann mehrere Stufen der Romanisierung im nachrömischen Britannien ausmachen. Die Städte und das sie umgebende Hinterland in der früheren Provinz Britannia blieben stark romanisiert. Die Stämme weiter im Norden, vor allem jene auf der anderen Seite des Hadrianswalls, waren bestenfalls teilweise romanisiert worden, und die noch weiter nördlich lebenden »Pikten« blieben praktisch unberührt von römischer Kultur und Lebensart.

      Im 5. und 6. Jahrhundert fielen die »Angelsachsen« in Britannien ein. Bei ihrem Vordringen nach Westen trieben sie in den Midlands einen Keil zwischen die Briten auf beiden Seiten. Nach der Schlacht von Chester im Jahr 616 sicherten sich die Angeln im mächtigen Staat Mercia ein Territorium, das vom Humber zum Mersey und damit von Küste zu Küste reichte. Seit damals waren die Briten im Norden von den größeren Ballungen ihrer Landsleute in anderen Gebieten abgeschnitten (obwohl es weiterhin Kontakte entlang der westlichen Seestraßen gab). Auch die Unterschiede zwischen den Walisern in »Wales« und den Nordwalisern, deren bedrängte britische Gemeinschaft langwierige Rückzugsgefechte führen musste, wuchsen.

      Trotz seiner verschwommenen Umrisse kann der »Alte Norden« allerdings nicht nur als Fußnote des großartigen Spektakels der britischen Geschichte abgetan werden. Er umfasste wenigstens sieben bekannte Reiche, deren Taten nicht weniger heldenhaft waren als jene ihrer angelsächsischen Pendants. Er hinterließ sehr viele Ortsnamen und ein Literaturkorpus – im Walisischen als Yr Hengerdd oder die »alte Dichtung« bekannt –, neben dem der Beowulf wie ein schnöseliger Nachzügler wirkt.11

      Die Sprache des Alten Nordens wird gewöhnlich in die Kategorie des Cumbrischen eingeordnet. Das ist eine Unterguppe des P-keltischen Brythonisch und daher mit dem Walisischen, Kornischen und Bretonischen verwandt. Natürlich liegt für Historiker ein großes Problem darin, dass Kumbrisch selten niedergeschrieben wurde und von Linguisten nur aus ziemlich mageren Informationsschnipseln erschlossen werden kann. Ein solcher Schnipsel ist der Name Cumbria (»Land der Waliser«) selbst, der einst ein weit größeres Territorium umfasste als heute. Einen weiteren Schnipsel liefern die Zählsysteme cumbrischer Hirten. Es ist gut belegt, dass Menschen, deren Muttersprache verloren geht, vor allem an zwei Dingen festhalten: den Zahlen, mit denen sie zählen gelernt haben, und den Gebeten, in denen sie zu ihrem Gott sprechen. Einen verblüffenden Beleg für dieses Phänomen findet man in einigen Hochlandgemeinden der Borders im heutigen Nordengland und Südschottland. Die Anglisierung setzte sich in jenen Gebieten vor Jahrhunderten in Gestalt der Nordengländer oder der Lowland-Schotten durch, doch die Hirten dort zählen ihre Schafe noch immer mit den Zahlwörtern ihrer brythonischen Vorfahren. Die Ähnlichkeiten sind unübersehbar, und sie spiegelten sich noch in einigen Inschriften wider, die bis vor nicht allzu langer Zeit am alten Schafmarkt in Cockermouth zu sehen waren.12 Hier finden wir die allerletzten Echos des Alten Nordens.

      Das Christentum saß im spätrömischen Britannien fester im Sattel als weithin angenommen. Erst im Jahr 380 machte Kaiser Theodosius I. das Christentum offiziell zur Staatsreligion, und so blieb ihm kaum Zeit, vor dem Rückzug der Legionen alle Schichten der Gesellschaft zu durchdringen.13 Allerdings starb der hl. Alban schon um 304 in Verulamium den Märtyrertod. Das Edikt von Mailand garantierte den Christen im Jahr 313 religiöse Toleranz, und an manchen Orten sind christliche Riten belegt. In der Zeit darauf waren Lateinkenntnisse und das Bekenntnis zur christlichen Religion die beiden Marksteine der Romanitas, die zivilisierte Briten im Angesicht der heidnischen Eindringlinge schätzten.

      Tabelle 1: Zahlwörter in Nordenglisch, Lowland-Schottisch und modernem Walisisch

      Die Römer hatten den Begriff Picti für jene Stämme benutzt, die an den alten Sitten und Gebräuchen – am Tätowieren, an der überkommenen Religion und an einer dezidierten Abneigung gegenüber jeglicher römischer Bildung – festhielten, und Iren wie Briten waren gewohnt, die Pikten als ein eigenes Volk zu betrachten.14 Die irischen Gälen nannten sie Cruithne, ein Begriff, mit dem sie vielleicht einst alle Bewohner Britanniens bezeichnet hatten. Die walisische Bezeichnung Cymry, gewöhnlich als »Gefährten« oder »Landsleute« übersetzt, war eine Selbstbezeichnung der Briten des Westens (des heutigen Wales) ebenso wie ein Name für die »Männer des Alten Nordens«, aber offenbar nicht für die Pikten. Man kann deutliche Anklänge an die cives Romani heraushören.

      Die römischen Legionen stießen zwar mehrmals über die Grenzen ihrer Provinz Britannia hinweg nach Norden vor, besetzten aber nie die ganze Insel. Das Land zwischen dem Hadrians- und dem Antoninuswall, das Intervallum, war noch nicht einmal dreißig Jahre lang Mitte des 2. Jahrhunderts unter ihrer Herrschaft. Dennoch blieben sie lange genug, um enge Bindungen mit den kooperativeren Stämmen aufzubauen und bei ihnen die wesentlichen Informationen über Nordbritannien zu sammeln. Ptolemäus, der Geograf des 2. Jahrhunderts, der in Alexandria lebte, hatte mit Soldaten und Seeleuten gesprochen, die aus Britannien zurückkehrten, und zeichnete nach ihren Angaben eine Karte mit vielen Fluss-, Stadt-, Insel- und Stammesnamen. Im hohen Norden jenseits des Antoninuswalles verzeichnete er die Caledonii. Im Gebiet zwischen den Wällen siedelte er vier Stämme an – die Damnonii, die Novantae, die Selgovae und die Votadini. In Damnonien lokalisierte er sechs oppida oder »Städte«: Alauna, Colanica, Coria, Lindon, Victoria und Vindogara (Colanica findet man auch in einer anderen Quelle, die dem sogenannten Geografen von Ravenna zugeschrieben wird). Lindon, das Llyn Dun oder »Seefort«, ist unter Vorbehalten mit Balloch am Loch Lomond gleichgesetzt worden. Alauna jedoch ist weniger unsicher. Der Name bedeutet »Landspitze« oder »Sporn« und passt wunderbar zur Lage von Dumbarton Rock.15

      Die Römer hatten meist ursprünglich keltische Bezeichnungen britischer Stämme latinisiert, und moderne englische Wissenschaftler übersetzen die Stammesnamen selten. Aber man kann es versuchen. Die Caledonii waren vielleicht die »harten Menschen«, die Selgovae waren die »Jäger« und die Novantae die »tapferen Menschen«. Die Votadini (bei Ptolemäus fälschlich Otadini geschrieben) waren die »Untertanen oder Anhänger Fothads«. Die Damnonii waren irgendwie mit dem keltischen Wort für »tief« verbunden; »Menschen des Meeres« lautet die wahrscheinlichste Übersetzung. Sie passt auch gut zu ihrem Siedlungsgebiet und erklärt, warum andere Küstenstämme in Britannien und Irland, wie etwa die Dumnonii im späteren Devon, ähnliche Namen trugen. Jedenfalls war Damnonia der früheste bekannte Kleinstaat auf oder nahe dem Dumbarton Rock. Und es ist kaum zu bezweifeln, dass es auch ein Seefahrerstaat war: Eine spätere irische Quelle erwähnt ein nicht identifiziertes Schlachtfeld in Irland, auf dem ein gewisser Beinnie Britt den Art, Sohn des Conn, tötete. Beinnie war ein »Brite« von jenseits des Wassers. Die Damnonier konnten offenbar Krieger über das Meer transportieren.

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      Mitte des 4. Jahrhunderts wurden die Verteidigungsanlagen im Norden der Provinz Britannia von einer großen confoederatio barbarica, wie die Römer sie nannten, überrannt. Wir wissen nicht, ob Damnonia daran beteiligt war. Fest steht, dass die Ordnung der Provinz zwei Jahre lang, von 367 bis 369,

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