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      Igitur Chlodovechus rex ait suis: »Valde molestum fero, quod hi Ariani partem teneant Galliarum …«

      König Chlodwig sprach daher so zu seinen Kriegern: »Es schmerzt mich, dass diese Arianer einen so großen Teil Galliens besitzen. Lasst uns mit Gottes Hilfe einmarschieren und lasst sie unsere Macht spüren …« So zog das Heer weg [von Tours] in Richtung Poitiers … Als die Franken den Fluss Vigenna [die Vienne] erreichten, der durch Regen angeschwollen war, wussten sie nicht, wie sie übersetzen sollten, bis eine riesige Hirschkuh erschien und ihnen eine Furt durch den Fluss zeigte … Als der König sein Zelt auf einem Hügel nahe Poitiers aufschlug, sah er Rauch von der Kirche St. Hilaire aufsteigen und nahm dies als ein Zeichen, dass er über die Häretiker triumphieren werde. Es war alles für die schicksalhafte Schlacht vorbereitet: So griff Chlodwig Alarich den Gotenkönig auf der Ebene von Vouillé [in campo Vogladense] an, drei Wegstunden von der Stadt entfernt. Wie es ihr Brauch war, täuschten die Goten eine Flucht vor. Doch Chlodwig tötete Alarich von eigener Hand und entkam selbst [einem Hinterhalt] dank der Stärke seines Brustpanzers und der Schnelligkeit seines Pferdes.22

      Das Ergebnis war also eindeutig (und die Vouglaisiens haben hier einen positiven Beweis für die Herkunft ihres Namens). Binnen weniger Stunden war die Macht der Westgoten in Gallien gebrochen. Und die Franken machten weiter Druck: Manche von ihnen ritten über das Zentralmassiv, um Landstriche bis hin zur Grenze Burgunds zu erobern. Chlodwig marschierte nach Burdigala, wo er überwinterte, bevor er im folgenden Frühling Tolosa plünderte. Ein Rest von Alarichs Heer leistete noch in Narbonne Widerstand, die meisten Westgoten jedoch zogen sich hinter die Pyrenäen zurück. Das gallische Kernland ihres Königreiches hatten sie aufgegeben. Von dieser Zeit an herrschten die Westgoten nur noch auf der Iberischen Halbinsel, wo sie ihre Macht bis zur Ankunft der Mauren zwei Jahrhunderte später bewahren konnten.

      Für den fränkischen Sieg gibt es die verschiedensten Erklärungen. Die Version der Sieger, die Gregor von Tours verbreitete, betonte die helfende Hand eines katholischen Gottes. Selbst Edward Gibbon hob die Bedeutung der Religion hervor und schrieb dem gallo-römischen Adel fantasievoll die Rolle einer katholischen fünften Kolonne zu. Seine Interpretation wird heute angezweifelt.23 Auf sichererem Grund bewegt er sich dagegen, wenn er vom unbeständigen Kriegsglück schreibt: »So beschaffen ist die Macht der Fortuna – wollten wir weiterhin unser Nichtwissen unter diesem populären Namen verbergen –«, so Gibbon hochtrabend, »dass es fast genauso schwierig ist, die Kriegsereignisse vorherzusehen wie ihre Folgen zu erklären.«24

      Über ein Jahrzehnt lang verfolgte der Ostgote Theoderich seine pangotischen Träume. Er war der Vormund von Amalrich, junger Erbe Alarichs II., sein Enkel, und der nominelle Herrscher eines, wie man hoffte, gerade entstehenden »Reiches«, das sich von den Alpen bis zum Atlantik erstrecken würde. Doch die Säulen seiner eigenen Macht bröckelten. Er konnte die Ordnung in Italien nicht aufrechterhalten, geschweige denn die Franken in Gallien herausfordern oder den Westgoten in Spanien helfen. Die römischen Kaiser in Konstantinopel nutzten die günstige Gelegenheit zu einer weiteren strategischen Offensive. Kurz nach Theoderichs Tod im Jahr 526 startete Kaiser Justinian einen Zug in den Westen.25 Für den Rest des 6. Jahrhunderts setzten sich kaiserliche Soldaten in Italien fest, während Alarichs Nachfolger ihre Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel festigten und die Nachfolger des Franken Chlodwig die mühsame Aufgabe antraten, Gallien in das Frankenreich und das Frankenreich in Frankreich zu verwandeln.

      III

      Obwohl das westgotische Tolosanische Reich neunundachtzig Jahre lang große Gebiete beherrschte, gibt es nur minimale greifbare Belege für seine Existenz. Archäologische Grabungen haben kaum etwas zutage gefördert.26 Ein Gold-solidus Alarichs II. ist erhalten geblieben, die meisten Münzen aus dem westgotischen Tolosa dagegen sind reichsrömische Prägungen. Hunderte Marmorsarkophage aus der Zeit tragen keine Erkennungsmerkmale. Fast alles, was wir wissen, entstammt fragmentarisch erhaltenen Schriftquellen. Selbst das Schlachtfeld der Auseinandersetzung mit Chlodwig ist nicht ganz sicher zu orten. Eine Gruppe von Altertumswissenschaftlern setzt Gregors campus Vogladensis mit Vouillé gleich, eine andere beharrt darauf, dass das in der Nähe liegende Dorf Voulon gemeint sei.27 Die Westgoten kommen in den weitgefächerten Übersichten über das historische Erbe von Toulouse und Aquitanien praktisch nicht vor.28 Erst vor einiger Zeit ist eine umfassende Bibliografie zusammengestellt worden, die den Forschern hilft, das Puzzle zusammenzusetzen.29

      Die Kirche Nostra Domina Daurata – Notre-Dame de la Daurade –, deren Ursprünge mit den Westgoten in Verbindung gebracht werden, wurde 1761 total zerstört, um Platz für den Bau von Flussquais zu schaffen. Sie hatte einst den Schrein einer Schwarzen Madonna beherbergt. Das ursprüngliche Gnadenbild wurde schon im 15. Jahrhundert gestohlen, die erste Ersatzfigur verbrannten die Revolutionäre 1799. Überlebt haben Drucke einer frühmittelalterlichen achteckigen Kapelle mit Marmorsäulen und goldenen Mosaiken. Die heutige Basilika ist wie die Kathedrale des hl. Saturninus (Saint Sernin) ganz und gar aus moderner Zeit.30

      Glücklicherweise sind die Karten und die Museen nicht völlig leer. Eine Häufung von Ortsnamen mit der Endung -ens, wie etwa Douzens, Pezens und Sauzens, alle im Département de l‘Aude, soll westgotische Wurzeln verraten. Das Dorf Dieupentale (Tarn-et-Garonne) weist den einzigen Namen rein westgotischer Herkunft auf: diup bedeutet »tief« und dal »Tal«. Auch bestimmte schlichte Bronzewaren, Adlerfibeln und Glaswaren werden aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit Funden in den früheren Donauprovinzen Roms den Westgoten zugeordnet. Und auf der Straße zwischen Narbonne und Carcassonne fährt man am beeindruckenden Walrücken der Montagne d’Alaric entlang. Lokale Quellen erklären den Namen als Erinnerung an Befestigungen aus der Zeit Athaulfs und an einen hartnäckigen Mythos um die letzte Ruhestätte Alarichs II. Auf dem Berg finden sich die Ruinen eines mittelalterlichen Klosters, St. Pierre d’Alaric, und am Nordhang eine anerkannte Weinlage mit Qualitätsweinen des AOC Corbières.31

      Die schlagendsten Hinweise einer westgotischen Vergangenheit tauchen heute ganz unerwartet in wilden Legenden auf, in historischen Erzählungen und vor allem in einem kleinen Dorf tief in den Ausläufern der Pyrenäen. Rennes-le-Château ist ein von einer Mauer umgebener Weiler auf der Spitze eines Hügels im Pays de Razès; er besteht aus vielleicht zwanzig Häusern, einer Kirche und einer mittelalterlichen Burg. Man hat von dort, unterhalb des »Heiligen Berges« Pic de Bugarach, Ausgangspunkt von Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde, einen bezaubernden Blick über das Val des Couleurs. Dieser Weiler, der sich an der Stätte der antiken Stadt Rhedae befinden soll, erlangte im 19. Jahrhundert eine gewisse Bekanntheit, weil man ihn mit der unüberwindlichen Festung der Westgoten nach ihrer Vertreibung aus dem nicht allzu fernen Tolosa gleichsetzte. Die Steinpfeiler der Pfarrkirche sollten westgotischen Ursprungs sein, und sagenhafte Gerüchte über vergrabene Schätze waren im Umlauf.32

      Im Jahr 1885 übernahm der außergewöhnliche, um nicht zu sagen berüchtigte Pfarrer Bérenger Saunière (1852–1917) die Gemeinde. Zusammen mit seinem Nachbarn und Kollegen, dem Abbé Boudet aus dem nahen Rennes-les-Bains, Autor eines bizarren Bandes über alte keltische Sprachen,33 dilettierte Saunière sowohl in Geschichte wie auch in den okkulten Wissenschaften. Bei der Renovierung seiner Kirche fand er angeblich drei in einem westgotischen Pfeiler versteckte Pergamente mit codierten Botschaften. Kurz darauf protzte er mit einem Reichtum, dessen Herkunft er nicht erklärte; die prächtige Villa und der pseudomittelalterliche Bibliotheksturm, die er bauen ließ, sind noch heute zu bewundern. Seine Beichte auf dem Totenbett schockierte seinen Beichtvater so sehr, dass er dem Geistlichen die letzte Ölung verweigerte. Dessen liebstes Motto war angeblich ein Balzac-Zitat: »Il y a deux histoires: l’histoire officielle, menteuse, et l’histoire secrète, où sont les véritables causes des événements« (»Es gibt zwei Arten von Geschichte: die verlogene offizielle und die geheime, in der man die wahren Ursachen der Ereignisse finden kann«).34

      Man muss fairerweise sagen, dass die Westgoten nur eines der vielen Elemente in dem fantastischen Potpourri von Geschichten sind, die seit Saunières Tod kursieren. Sie befinden sich in der Gesellschaft der Katharer, Templer, Rosenkreuzer, der schattenhaften Prieuré de Sion und des Heiligen Grals höchstselbst. Dan Browns Sakrileg ist nur eines von einem Dutzend Bücher, die sich dieser modernen Legende bedienen.35 Je nach Geschmack

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