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Tasche und öffne die Beifahrertür.

      „Bye, Alastair.“

      Die raue Stimme in Kombination mit meinem Namen klingt absolut geil. Wäre es vermessen, wenn ich Nathan bitten würde, mir ein paar Sprachnachrichten aufs Handy zu schicken?

      ###

      Zu meiner Überraschung werde ich bereits erwartet. Eine Frau Mitte fünfzig sitzt auf dem ungepolsterten Stuhl vor dem Schreibtisch. Als ich ins Büro komme, springt sie in die Höhe, als hätte ich sie bei etwas Verbotenem ertappt. Sie trägt ein schlichtes blaues Kleid und ein leichtes Wolltuch um die Schultern.

      „Guten Morgen, Mr. Culpepper.“

      „Guten Morgen. Behalten Sie bitte Platz.“

      Als wäre es völlig normal, dass in meiner Abwesenheit Fremde im Büro herumsitzen, ziehe ich den Mantel aus, hänge ihn an den Kleiderständer und stelle den Schirm ab. Die Ledertasche lege ich auf dem Schreibtisch ab und setze mich.

      „Mit wem habe ich das Vergnügen?“

      „Mein Name ist Kendra O‘Kelly.“

      „Ach! Sie sind für die Reinigung dieser Räume zuständig.“

      Sie beugt sich aufgeregt vor und umklammert dabei die Tischkante. „Mr. Culpepper, Sir! Es tut mir ausgesprochen leid. Ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen.“

      „Äh … Was genau, Mrs. O‘Kelly? Haben Sie jemanden umgebracht?“

      „Die Unterlagen“, antwortet sie düster.

      Endlich dämmert es mir, wovon sie spricht.

      „Mr. Bones teilte mir mit, dass er Sie beauftragt hat, die Papiere zu vernichten.“

      Die Dame nickt unglücklich. „Bestimmt sind Sie furchtbar böse mit mir.“

      „Mrs. O’Kelly, wie könnte ich auf Sie böse sein, wenn Sie im guten Glauben und auf Anweisung gehandelt haben? Tatsächlich bin ich über Mr. Bones verärgert, weil der sich in Polizeiarbeit eingemischt hat.“

      „Sie werden mir nicht kündigen?“ Sie wirkt ehrlich besorgt.

      „Dazu besteht überhaupt kein Grund.“

      Erleichtert atmet sie auf. „Ich bin auf den Job angewiesen“, verrät sie mir. „Mein Mann befindet sich seit einem Unfall im Pflegeheim. Die Kosten sind enorm hoch …“

      Unwillkürlich horche ich auf. „Was ist passiert?“

      Mrs. O’Kelly lächelt müde. „Brian hat auf dem Milchhof gearbeitet. Er ist vom Heuboden gestürzt, brach sich zwei Wirbel und erlitt einen Schädelbruch. Seitdem ist er auf einen Rollstuhl angewiesen und nicht mehr klar im Kopf.“

      „Das tut mir ausgesprochen leid“, sage ich betroffen.

      „Ich war bis dahin Hausfrau“, erklärt Mrs. O’Kelly. „Mittlerweile halte ich uns mit den Putzjobs über Wasser.“

      „Wo reinigen Sie denn überall?“, frage ich interessiert.

      „Neben Ihrem Büro noch in der Bibliothek, bei Mrs. Pratcourt abends im Blumenladen und bei Mister Scatterfey.“

      Wenn Letzteres keine Empfehlung ist.

      „Mrs. O’Kelly, ich wage gar nicht zu fragen … Würden Sie womöglich eine weitere Stellung annehmen?“

      Ihre Augen leuchten auf, als ob jemand in ihrem Kopf einen Lichtschalter betätigt hätte.

      „Bei Ihnen privat?“, haucht sie.

      „Staubwischen, Böden und Fenster reinigen?“

      „Oh, Mr. Culpepper! Sie ahnen gar nicht … Natürlich! Gerne.“

      Es ist nicht zu übersehen, wie sie sich freut. Wir einigen uns darauf, dass sie zukünftig jeden Freitag bei mir putzen wird. Der verlangte Lohn ist lächerlich niedrig und ich beschließe im Stillen, einen Teil für einen Bonus zu Feiertagen zurückzulegen, wenn sie als Putzkraft hält, was sie verspricht. Ich teile ihr mit, wo sie den Zweitschlüssel findet, und bitte sie inständig, das Versteck im Rosenstock niemandem sonst zu verraten.

      „Haben Sie für Mr. Welsham ebenfalls geputzt?“, will ich zum Schluss wissen.

      „Nur hier im Büro. Privat war Mr. Welsham ziemlich verschlossen. Anfangs war er redseliger, doch nach etwa drei Monaten zog er sich immer weiter zurück. Selbst im Pub tauchte er nicht mehr auf.“

      „Haben Sie eine Vermutung, woran das gelegen haben könnte?“ Für den Bruchteil einer Sekunde denke ich, dass sie mir etwas erzählen möchte. Zu meinem größten Bedauern schüttelt sie letztendlich mit beinahe starrem Gesicht den Kopf. Sie hat wichtige Informationen, da bin ich mir sicher. Leider macht sie genau wie Nathan dicht. Okay, ich kann ja verstehen, dass man sich einem völlig Fremden nicht gleich anvertrauen mag. Allerdings komme ich auf diese Weise in Sachen Welsham nicht weiter.

      Geduld, ermahne ich mich.

      „War Mr. Welsham nett?“ Ich probiere es einfach mit unverfänglichen Fragen weiter.

      „Oh ja. Er war stets höflich und hat sich vorbildlich verhalten“, antwortet meine neue Putzfrau.

      „Also haben Sie nie erlebt, dass er sich mit jemandem gestritten hat?“

      Mrs. O’Kelly zögert. „Mit Mister Scatterfey hatte er einen heftigen Disput. Das war wenige Tage vor seinem Tod.“

      Oh!

      Um nicht zu sagen: OH!!

      „Haben Sie mitbekommen, worum es bei dem Streit ging?“

      „Nein, dafür war ich zu weit entfernt. Warum fragen Sie mich nach all diesen Dingen, Mr. Culpepper?“

      Ich lächle möglichst einnehmend. „Weil ich ein unerträglich neugieriger Mensch bin. Außerdem habe ich Mr. Scatterfey beauftragt, mein Haus ein wenig auf Vordermann zu bringen. Wenn er wider Erwarten unzuverlässig sein sollte …“

      Oder in einen Mord verwickelt …

      „In diesem Fall kann ich Sie beruhigen, Mr. Culpepper. Sie werden keinen besseren Handwerker als Mr. Scatterfey finden.“

      „Wirklich?“

      „Es ist, als hätte er magische Hände“, schwärmt mir Mrs. O’Kelly vor. Okay, die magischen Hände nehme ich ihr ab.

      „Entschuldigen Sie, Mr. Culpepper. Ich würde ja gerne weiter mit Ihnen plaudern. Aber ich will zu meinem Mann ins Pflegeheim fahren.“

      „Dann möchte ich Sie nicht länger aufhalten.“ Ich erhebe mich höflich und geleitete Mrs. O’Kelly zur Tür. „Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, Mrs. O’Kelly.“

      „Bis bald, Mr. Culpepper.“ Sie drückt meine Hand und eilt in den Regen hinaus. Nachdenklich schaue ich ihr hinterher. Sowohl sie als auch Nathan wollen mir nicht alles erzählen. Bei Nathan ist es offensichtlich, Mrs. O’Kelly versucht es dagegen zu vertuschen. Was ist in Bloomwell eigentlich los?

      ###

      Der Regen lässt ein wenig nach. Die Gelegenheit nutze ich, um quer durch das Dorf zu laufen und Welshams Haus aufzusuchen. Ich schlüpfe unter dem Absperrband der Polizei auf das Grundstück und dokumentiere als Erstes mit der Handykamera die aufgebrochenen Siegel an der unverschlossenen Tür. Ungehindert kann ich das Haus betreten. Den tropfnassen Schirm stelle ich am Eingang ab und verharre einen Moment, um die Atmosphäre auf mich wirken zu lassen. Der Flur ist recht unspektakulär. Eine gestreifte Tapete in Erdtönen, eine Garderobe aus Eichenholz und ein länglicher Spiegel in einem Rahmen aus geflochtenen Weidenzweigen. Und ich dachte schon, dass mein Haus altbacken eingerichtet ist. Neben dem Spiegel hängen Fotos von einem älteren Paar. Vermutlich handelt es sich bei ihnen um Welshams Eltern. Weiterhin gibt es drei Schnappschüsse, die offenbar ihn selbst darstellen. Auf einem der Bilder sitzt er in ein Buch versunken an einem Teich, auf dem zweiten steht er mit einem strahlenden

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