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Nathan betrachtet mich still und langsam breitet sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.

      „Ein Mann mit Biss. Das gefällt mir. Wurst oder Käse, Alastair?“

      „Beides. Und Zwiebeln.“ Ich werfe ihm eine zu, die er lässig auffängt. „Alastair, ja? Nicht länger Mr. Culpepper?“

      „Weshalb, wo wir uns jetzt auf Augenhöhe begegnen?“

      Dies ist der Moment, in dem ich begreife, dass ich es mit einem schwierigen Charakter zu tun habe. Allerdings konnte ich bislang keiner reizvollen Herausforderung widerstehen.

      Tee und Sandwiches sind fertig. Wir setzen uns an den Tisch und beginnen zu essen.

      Nathan greift ein unverfängliches Gesprächsthema auf: „Aus dem Haus könnte etwas werden, sofern man einiges an Liebe hineinsteckt.“

      „Steht Liebe als Synonym für Geld?“, erkundige ich mich misstrauisch. Nathan lacht und hält sich dabei eine Hand vor den Mund, um keine Sandwichbröckchen über den Tisch zu prusten. Ich lache mit und spüre, wie sich die Spannung zwischen uns legt und einer leichten Kameradschaft weicht.

      „Wie konnte ein Dandy wie du nach Bloomwell geraten?“

      „Dandy!“ Ich schnaufe und schnippe mit den Fingern gegen die Teetasse. „Vielleicht war ich ja besser gekleidet als mein Chef, was ihm böse aufgestoßen ist.“

      „Das glaube ich sofort.“ Nathan grinst.

      „Ich bin meinem Vorgesetzten auf den Schlips getreten. Bloomwell ist mein persönliches Exil.“

      „Und? Wie findest du das Dorf?“

      „Recht beschaulich.“

      Nathan nickt langsam und leckt sich Remoulade von der Oberlippe. Och, das hätte ich doch übernehmen können.

      „Es scheint hier nette Leute zu geben.“ Ich zwinkere ihm zu. Komischerweise wird Nathan nervös. Sein Blick huscht zur Tür, die zum Garten führt, danach zum Fenster. Steht dort jemand? Ich drehe mich um. Nein, niemand da.

      „Was ist los?“, frage ich irritiert. „Wenn dir meine Avan...“

      „Ich muss los!“ Nathan springt förmlich in die Höhe. Ich mustere ihn, danach das halb gegessene Sandwich und wieder ihn.

      „Ooo-kay“, sage ich langsam und erhebe mich ebenfalls. „Dann begleite ich dich zur Tür.“

      Ich gehe sogar bis zum ausgehängten Gartentor mit, weil ich spüre, dass Nathan mir etwas mitteilen will. Und tatsächlich bleibt er direkt am Zaun stehen. Zunächst späht er nach links und rechts, bevor er sich mir zuwendet.

      „Hör mir bitte kurz zu“, sagt er leise. „Es ist richtig, dass wir beide vom selben Ufer stammen und dass zwischen uns eine gewisse ... Anziehung besteht. Und aus genau diesem Grund möchte ich dich inständig bitten, nicht darüber zu reden. Nicht einmal in Andeutungen.“

      „Warum?“, frage ich verblüfft.

      „Bloomwell ist nicht homokompatibel.“

      „Nathan, ich verstehe nicht ...“

      „Und ich vertraue dir nicht genug, um dir die ganze Geschichte zu erzählen.“ Nathan zögert. „Noch nicht“, flüstert er schließlich.

      „Du kannst mich nicht einfach mit diesen Andeutungen stehenlassen“, protestiere ich.

      „Du hast mich bereits in der Hand, Alastair. Wenn du irgendjemandem erzählst, dass ich schwul bin, werden SIE sich um mich kümmern.“ Seine Nervosität steigt weiter.

      „Nathan, wer sind SIE?“

      „Kein Wort! Zu niemandem“, warnt er mich und geht. Ja, er geht wirklich. Marschiert den Ziegenpfad entlang und verschwindet um die Ecke, wo sein Sprinter parkt. Gleich darauf höre ich, wie ein Motor gestartet wird. Keine Sekunde später ist er weg. Ich dagegen stehe wie ein verschmähter Gartenzwerg in der Rabatte. Und das bei meinem Sexappeal.

      „Holy moly!“

      ###

      Es ist früher Abend, als ich eine überaus dicke Spinne aus dem Bad in den Garten befördere und endlich den Toilettensitz festschraube. In Pyjama und Morgenmantel gekleidet und mit einer frischen Tasse Tee begebe ich mich ins Wohnzimmer und schalte den Fernseher ein. Das alte Gerät empfängt genau zwei Sender. Auf dem einen laufen die Börsennachrichten und auf dem anderen ein romantischer Rosamunde Pilcher-Film, den ich selbstverständlich allein wegen der schönen Landschaft laufen lasse. Mit Notizblock und Kuli bewaffnet setze ich mich aufs Sofa. Emsig notiere ich alles, was ich über Charlie Welsham in Erfahrung gebracht habe. Danach schreibe ich auf, was mir von dessen Notizen im Sinn geblieben ist. Ich bin total verärgert, dass seine Aufzeichnungen vernichtet worden sind, denn es ist erbärmlich wenig, was ich zusammentragen kann. Das liegt daran, dass ich die Papiere lediglich oberflächlich studiert habe, um sie sortieren zu können. Was wollte Welsham nur mit den einzelnen Namen und Berufen? Macht es Sinn, wenn ich mir ebenfalls eine solche Liste anlege? Und eine weitere mit Verwandtschaftsverhältnissen? Was zum Teufel hat Welsham aus diesen Notizen herauslesen wollen?

      Fairchild: Antiquitätenhändler.

      Bones: Bürgermeister.

      Bones: Pfarrer.

      Ich setze die Liste fort, soweit mir Name und der jeweilige Beruf bekannt sind.

      Nathan Scatterfey: Schreiner.

      Ich starre auf den Namen und spüre eine leichte Traurigkeit, die sich meiner bemächtigt. Schade, dass Nathan so schnell die Flucht ergriffen hat. Und merkwürdig, wie nervös er geworden ist. Wen kann er mit SIE gemeint haben? SIE werden sich um mich kümmern … Das klingt meiner Meinung nach einer Drohung. Ich trinke einen Schluck Tee und überfliege mein bisheriges Geschreibsel. Langsam blättere ich durch den Block, ergänze hier und füge dort etwas hinzu.

      Verflixt!

      Mir fällt nichts auf, was merkwürdig sein könnte. Charlie, Charlie … Hinter was warst du her?

      Rosamunde Pilcher neigt sich dem Ende zu. Die Hauptdarsteller liegen einander in den Armen. Der Schluss besteht aus Friede, Freude und Eierkuchen. Schmalziger geht es nicht. Ach was soll’s … Ich hatte den Mist ohnehin nur wegen der Landschaft eingeschaltet gelassen.

      Falsch! Nein!

      Ich hatte es eigentlich gar nicht gucken wollen. Es gab bloß keine Alternative zu den Börsennews. Ich strecke dem Fernseher die Zunge raus und frage mich, ob exklusiv mir das Privileg von zwei Sendern zuteilwird oder ob jedem Einwohner von Bloomwell ein solches Glück beschert ist. Mit einem Seufzen trinke ich den kalt gewordenen Teerest aus, schalte den Flimmerkasten ab und drehe eine letzte Runde durch das Haus. Ich bin keiner der übervorsichtigen Sorte, doch heute brauche ich das ausnahmsweise. Die Tür ist verschlossen, die Fenster in der unteren Etage auch. Zufrieden steige ich die Treppe ins Obergeschoss hinauf, putze meine Zähne und entferne mit einem zusammengeknüllten Stück Toilettenpapier das Trichternetz der dicken Spinne. Ein weiterer Tag im langweiligen Bloomwell ist geschafft und hey! Bislang bin ich nicht tot umgefallen.

      Mittwoch, 05. Juni

      Draußen rauscht der Regen, drinnen kämpfe ich mit dem inneren Schweinehund. Unter der Decke ist es ungemein gemütlich. Wenn mir jetzt jemand Kaffee ans Bett bringen würde, wäre ich richtig happy. Ich schiele zum Fenster. Die Läden sind wieder nicht geschlossen, daher kann ich direkt auf dunkle, tiefhängende Wolken blicken.

      „Holy moly“, murmle ich.

      Aufstehen oder nicht? Zwecks einer Entscheidung spiele ich eine Runde Stein-Papier-Schere gegen mich selbst. Ich verliere und verlasse murrend das Bett. Mich reckend und streckend gehe ich zum Fenster, um es zu öffnen.

      Hey!

      Huscht da nicht eine Gestalt durch den Garten? Ich reiße das Fenster förmlich auf und lehne mich risikofreudig hinaus. Mehr als eine Person in dunkler Regenkleidung, die die Kapuze weit über den Kopf gezogen

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