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Rosse schnaubten, das Holz knarrte. Mannstiefe Schluchten waren die Erzabfuhrwege. Tag für Tag über Jahrhunderte hatten die eisenbeschlagenen Räder der Karren den Boden gemahlen, waren mal hier mal da dem Berg unsanft in die Weichen geraten, hatten die Rinnen vom Vortag vertieft. Der Regen war hineingefahren wie in trockene Bachbetten und hatte die Spuren ausgeschlämmt bis aufs steinerne Rückgrat des schiefrigen Gebirges.

      »Was glaubt Ihr, was dem Walberg da oben passiert ist?«, wandte sich Simon Raschen im ersten Wagen halblaut an Henning Heinze, sodass ihr Banknachbar Achtermann, der die beiden wegen des ratsfeindlichen Fortbetriebes des Neuwerkes schon ausführlich zur Rede gestellt hatte, nicht hören konnte, was sie weiter sprachen.

      »Wenn es kein verirrter Landsknechtspfeil war und kein simpler Raubmord, was ich ehrlich gesagt stark bezweifle, so muss der Schütze wohl aus der Ecke unserer Neider kommen«, sprach Heinze.

      »Einer aus dem Rat?«

      Raschens Stimme schlug nun doch eine Kapriole.

      »Was denkt Ihr denn? Was hatte er überhaupt da verloren, um die frühe Stunde? Seit wann übernahm Walberg die Aufgaben von Eitel Walter? Wollte er selbst das Erz abholen? Kontrollieren, ob alle bei der Arbeit waren? Ob es Behinderungen durch die Kriegsknechte des Rates gab, wie angedroht? Ob die Landsknechte des Herzogs keinen unserer Bergleute irrtümlich am Einfahren hinderten, wie schon mehrfach geschehen?«

      Raschen hatte alles durchgespielt und war ratlos.

      »Er wollte sicher überwachen, dass alles seinen geordneten Weg ging«, sagte Heinze.

      Jetzt rumpelte der Wagen heftig durch eine Reihe tiefer Schlaglöcher und schüttelte die Herren gegeneinander, die sonst Berührung mit anderen Sterblichen mieden, wo sie konnten.

      Im zweiten Wagen unterhielten sich angeregt Stadtschreiber und Stadtchirurg:

      »Was ist das?«, fragte Reddig interessiert, ein stattliches Tafelwerk im Blick.

      »Eine unschätzbare Hilfe, um zu bestimmen, welche Organe bei Schussverletzungen in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn man nur die Eintritts- und die Austrittsöffnung einer Kugel, eines Armbrustbolzens oder eines Pfeiles sieht – Gerssdorffs Feldbuch der Wundarznei

      »Ich kann es nicht genug bewundern, dass Sie in Paris bei Winter von Andernach studiert haben! Was gäbe ich darum, auch je einmal dort gewesen zu sein!«, sagte Reddig.

      »Man macht ein bisschen zu viel Wesens davon …«, sagte der kräftige Damian Baader bescheiden.

      Er hatte viel gesehen mit seinen dreißig Jahren, mehr als die meisten der Räte, obwohl sie älter waren. Er kannte ihre Gebrechen, ihre Ängste.

      »Andernachs Verlesung des Galen’schen Lehrbuchs der Anatomie war eher lustig, denn Galen hat nur Tiere seziert. Der Mensch, behauptet er, hätte ein rete mirabile, also ein Netz von Gefäßen an der Hirnbasis. Aber, denken Sie sich: Das gibt es nur beim Rind. Sie mögen denken, in Paris wüsste man es besser. Doch, der gute Andernach ist selbst ein richtiger Rindskopf … er betete einfach alles nach, was Galen vorgab. Vorlesung heißt wohl: vorlesen – aber hat der Mensch nicht auch Hirn? Zum Nachdenken?«

      Die Hochmesse stand noch aus, als die Ratsherren vor dem Wartturm hielten und sich stöhnend von den ungewohnt harten Pritschen erhoben.

      »Was soll das werden, meine Herren? Was führt der Rat im Schilde?«, fragte Arno Schmidt, ein Schrank von einem Mann, mit einem braunen Lederwams und gelben Beinkleidern angetan. Seine schwarzen Ringellocken zuckten unruhig, während die großen blauen Augen fest auf die Abordnung des Rates gerichtet waren. So stellte man sich einen Bergrichter vor: ein Standbild von einem Mann, umgeben von Landsknechten, die ihre Armbrüste gesenkt hielten. Ein Wink von ihm, und sie würden sie anlegen …

      Doch auch die Armbrustschützen und Pikenträger der Ratsherren bauten sich schützend auf. Bürgermeister Weidemann hatte sich mühsam seinen Weg durch diese Unzahl von Leibwächtern zu bahnen. Endlich stand er dem Bergrichter des Herzogs gegenüber.

      »Ich muss darauf pochen, dass die Sechsmannen des Rates die alleinige Oberhoheit in allen Fragen, die Gerichtsbarkeit am Rammelsberg betreffend, innehaben!«

      »Worauf Sie pochen müssen, sei Ihnen unbenommen, Herr Bürgermeister. Am besten Sie gehen dazu in eines der stillliegenden Pochwerke«, entgegnete Schmidt.

      Chirurgus Baader, der sich auch vorgeschoben hatte, registrierte es mit Unbehagen. Weidemann schwoll der Kamm ob dieser Frechheit.

      Der Bergrichter des Herzogs, dieser dreiste Birkhahn, kollerte fort: »Worauf ich hingegen pochen muss, wissen Sie ja. Mein hochgnädigster Fürst und Herr hat mich mit meinem Amte betraut, und dieses auszufüllen, nach Recht und Gesetz, bin ich nicht minder bestrebt wie Sie das Ihrige. Da ich nicht weiß, was es mit dem Toten auf sich hat, und es keinen Anhalt dafür gibt, dass Walbergs Tod mit dem ringsum ruhenden Grubenbetrieb zu tun hat, ließ ich nach unten trommeln, dass man ihn flugs wegholt und hinfort schafft. Umso mehr erstaunt es mich, dass Sie nun gleich im Dutzend hier anrücken und eine Ratsaffäre daraus machen. Mit einem halben Heer noch dazu im Gefolge. Ich hoffe nicht, dass Sie es auf eine bewaffnete Konfrontation anlegen.«

      Die Abordnung des Rates bestand neben Bürgermeister Weidemann aus je drei Sechsmannen des alten und des neuen Rates: Zacharias Papen, Heinrich Gunter, Hieronymus Grimm, Hans Tilling, Johannes Barnabas Achtermann, Kerstian Balder, Walbergs Mitgewerken in der noch aktiven Grube Neuwerk sowie dem Syndikus, dem Stadtschreiber und dem Stadtchirurgen. Bis auf die beiden letzten stand somit ein Gutteil der Finanzkraft und des Ansehens der Stadt dort versammelt. Was, wenn ich es darauf ankommen lasse, und sie alle erlege? , dachte Schmidt. Mein Herr wäre mir sicher Dank schuldig

      »Wir sind hier, um Klarheit darüber zu erlangen, was vorgefallen ist«, sagte Weidemann, der seine Ruhe wiedergefunden hatte.

      Schmidt antwortete achselzuckend: »Sebastian Walberg wurde von unbekannter Hand mit einem Pfeil erschossen. Das ist passiert. Es muss ein versierter Bogenschütze gewesen sein, denn der Pfeil traf ihn gut. Aber ein Feigling, denn sein Schuss kam von hinten.«

      Reddig zuckte zusammen.

      Baader murmelte: »Sieh an …«

      Weidemann blickte erbost und sagte: »Der Getötete war kein gewöhnlicher Mann. Sebastian Walberg war Mitgewerke der Grube Neuwerk, und er saß im engen Rat.«

      Schmidts Lachen war die Verachtung selbst.

      »Noch nie habe ich dieses Ratsgehabe verstanden. Wir alle sind sterblich, egal ob wir in der Gosse liegen oder im Goslarer Rat sitzen!«

      Schmidt rollte drohend mit den großen Augen. Die Adern über seinem kantigen Schädel schwollen an wie die Abzucht nach einem Unwetter. Weidemann holte tief Luft und schluckte seinen Groll hinunter. Es brachte nichts, sich mit diesem Unflat auf Disputationen einzulassen.

      »Da Sie nicht gewillt zu sein scheinen, eine adäquate Untersuchung einzuleiten, ist es wohl an uns, eine solche vorzunehmen. Gleichviel, wem die Gerichtsbarkeit über den Berg nun untersteht, stellt es uns Gott anheim, den Schuldigen ausfindig zu machen, weil sein Zorn alle trifft, die eine Missetat ungesühnt lassen.«

      Der Hinweis auf Gottes Zorn entlockte dem trutzigen Bergrichter ein weiteres bedrohliches Birkhahnkollern.

      Weidemann fügte hinzu: »Aber dazu müssen wir wissen, wie er gefunden wurde, wo und wann; auch ist zu fragen, ob es Augenzeugen gibt, die etwas Hilfreiches zu sagen wissen. Wir müssen mit Ihren Männern sprechen und sie einzeln vernehmen. Ohne etwas unterstellen zu wollen, so besteht doch die Möglichkeit, dass eine der von Ihnen aufgestellten Wachen in Herrn Walberg einen feindlichen Späher sah, ihn für einen Saboteur oder Angreifer hielt und daher auf ihn schoss. Zeigen Sie uns jetzt den Toten!«

      »Dieser Dünkel ist es, der Ihren schönen Rat dermaleinst zu Fall bringen wird. Ich wünsche Ihnen sehr, Herr Bürgermeister, dass nicht Sie es dann sein werden, der den Hass des Haufes auf sich zieht. Diese Überzeugung, alles besser zu verstehen als ein anderer, nur weil man dem Rat angehört, muss jedem gewöhnlichen Sterblichen wie Gift ins Gesicht spritzen. Hier gab es keine Zeugen,

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