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gesagt – die Angelegenheit ist mir noch nicht so völlig klar. So ein dickes Ding wie der Rammelsberg war ja sicher eine ganze Menge Lösegeld wert?«

      Daniel lächelte. Das war alles andere als einfach.

      »Einst haben die Herzöge von den Herren von Gowische für die Überlassung des Bergzehnten eine Summe Geldes erhalten, die recht klein war. Dann kam der Zehnte an die alten Sechsmannen, in der Folge an den Rat. Über die Jahrhunderte ist immer wieder Geld für diese Abtretung an den Herzog geflossen. Nun hat er stolze 24 663 rheinische Gulden zurückgezahlt, um den Bergzehnten wieder selbst beanspruchen zu können – und noch einmal 11 370 für die ebenfalls verpfändeten Forsten. Jetzt wird er den Bergwerks- und Hütteneignern künftig das Holz teuer zu verkaufen trachten.«

      »Warum hat er den Berg aber nicht früher schon zurückgekauft, wenn ihm so viel daran liegt?«

      »Na ja, lange war unklar, ob der Berg überhaupt noch etwas abwerfen würde. Als die Gruben ersoffen, war keiner mehr am Zehnten interessiert. Die alten Sechsmannen, ohnehin irgendwie nur vorgeschoben, haben ihre Anteile billig an den Rat losgeschlagen. Dann kam der Bergmeister Claus von Gotha, sümpfte die Schächte mittels der Heinzenkünste – diesen besonders konstruierten Pumpen, in deren Rohren das Wasser von Lederbällen gehoben wird –, und seither stiegen die Erträge wieder unaufhörlich. Der Rat kaufte sich rasch den Löwenanteil am Grubenbesitz zusammen. Dem Wolfenbütteler blieb das nicht verborgen, und er witterte kräftigen Profit, wenn er sich des Berges wieder bemächtigte. Er brauchte ja nur zu sagen, dass er das Pfand wieder einlösen und das einst seinen Vorfahren geliehene Geld wieder zurückzahlen wolle …«

      Gregor stellte sich den Herzog wie ein wildes Tier vor, wie eine Bestie, etwa wie ein stachelbewehrtes Wildschwein mit Reißzähnen und blutigem Maul.

      »Horch!«

      Gregor deutete auf den Harz und hielt sich die Hände wie zwei kleine Schüsseln hinter die Ohrmuscheln. Helle Töne in rascher Folge erklangen. Kurz war Ruhe, dann kamen sie wieder. Sehr leise, aber unheimlich klar und deutlich in der morgendlichen Stille. Auf der Ebene waren kaum Vögel zu hören, und auch der Wind sauste nicht mehr.

      »Die Hille-Bille!«, sagten sie beinahe unisono.

      Daniel entsann sich deutlich, wie dieses seltsame Musikinstrument der Wächter aussah: Drei untereinander an Seilen hängende Holzbretter unterschiedlicher Größe wurden mit einem Stock geschlagen – das ergab so laute Töne, dass sie bei gutem Wind bis in die Stadt und darüber hinaus zu vernehmen waren.

      »Weißt du, was das heißt?«, fragte Gregor, der die überirdischen Töne der schnellen Glocke schon oft gehört, aber nie verstanden hatte, was sie bedeuteten. Es klang irgendwie fremd, er kannte wohl einige Grundsignale, aber dieses nicht.

      »Tut mir leid, da muss ich passen – was aber auch immer, es scheint wichtig zu sein!«

      Die Töne begleiteten sie die halbe verbleibende Wegstrecke bis zur Stadt. Sie passierten Jerstedt und zogen am Wartberg vorbei. Das Kloster Riechenberg ließen sie so weit rechts liegen wie möglich. Ein Spähtrupp des Herzogs hielt sich in einiger Entfernung. Es war Markttag, und den Landsknechten war offenbar befohlen worden, erst einmal alle von auswärts hineinzulassen und bis sie wieder rauskommen würden, Bier zu trinken, um sie dann zu verprügeln. Das Goslarer Bier war gut … Gose hieß es, wie der Bach, dessen Wasser man hier trank.

      Sie passierten die Landwehr, einen weit vor den Mauern angelegten, von Schlehen- und Brombeergestrüpp bewachsenen Wall mit Graben. Jetzt konnten sie schon die Kommende des geistlichen Ritterordens der Johanniter zum Heiligen Grabe und die Türme des Vititors unterscheiden. Die genaue Kopie des Heiligen Grabes verbarg sich in einer der Grabeskirche von Jerusalem Stein für Stein nachempfundenen Rundkirche. Der Keller mit der Kopie der Ruine war so groß, dass hundert Pferde darin Platz hatten. Die trutzigen Mauern und die unzähligen Türme des kleinen Roms tauchten auf. Es gab in Goslar an die fünfzig Gotteshäuser, wenn man alle Kirchen und Kapellen zusammenzählte.

      »Wer da nicht fromm wird, wird es nirgends«, murmelte Daniel.

      Gregor fragte zaghaft: »Sag, darf ich dich vielleicht meinen Eltern vorstellen? Du könntest sicher auch eine Stärkung vertragen, bevor du dich in die Stadt begibst.«

      Daniel sah die vielen Menschen, die sich am schmalen Mauer durchlass auf der Zugbrücke und dem Platz davor stauten. Von überallher strömten sie, um zum Markt zu gelangen: Bauern, fliegende Händler, Fernkaufleute. Die Bauernkarren standen am Ende der Straße, während ihre Besitzer miteinander plauderten oder in der Schänke auf die Abfertigung warteten. Die Wache an der Zugbrücke kam mit ihrem Geschäft nicht hinterher.

      Daniel Jobst hätte wohl auf sein Patriziertum pochen und mit ein paar Pfennigen ein rasches Passieren am Tor erwirken können. Doch er war neugierig. Schon seit Langem hatte er kein Handwerkerhaus mehr von innen gesehen – eigentlich seit er in die Handlung seines Oheims eingetreten war.

      »Unser Haus ist das erste vor dem Tor – schräg gegenüber vom Vitriolhaus«, verriet ihm Gregor.

      Das kannte Daniel, dort war er mit dem Oheim oft gewesen. Vitriol war eines der Produkte, die Goslar zu bieten hatte.

      »Meine Mutter ist eine Zauberin – am Herd, versteht sich.«

      Gregor wollte Daniel von der Qualität des Essens überzeugen. Wahrscheinlich fürchtete er, sich zu vergiften, wenn er bei ihnen aß …

      »Meine Frau Mutter weiß auch die Fastenspeisen sehr gut zu bereiten.«

      »Diese Heiligen«, entfuhr es Daniel. »Keinen vernünftigen Bissen Fleisch gönnen sie einem.«

      Gregor machte ein entsetztes Gesicht, dann grinste er vorsichtig.

      »Ich rate dir, bei uns zu Hause vorsichtig zu sein. Wir haben ein erzfrommes Hausmädchen, das könnte dich leicht in Verruf bringen. Ich muss auch aufpassen mit meinen Kräutern, dass es ihr nicht beifällt, mich als Teufelsjünger anzuschwärzen. Nur der Heilige Johannes wird mich vor dem Scheiterhaufen bewahren. Meine Eltern dagegen sind offener, mögen sowieso den Sachsen Martin mehr als den Römer Clemens … ich übrigens auch, also brauchst du vor mir keine Angst zu haben.«

      Daniel lächelte. Er musste sich am Riemen reißen, gerade in Goslar, wo seit Jahren die Fronten des Kirchenstreites heftig aufeinanderprallten. Zwar hatte sich die Stadt vor einem Jahr auf dem Reichstag in Speyer der evangelischen Sache angeschlossen, doch die einfachen Leute waren schwer zu überzeugen.

      Daniel selbst war in der Sache nicht fanatisch. Wohl sah er, dass sich die Kirche ändern musste, wenn die Welt sich fortentwickeln sollte. Luthers Angriff auf den Ablasshandel war da ein guter Anfang. Es gab so vieles, was man prüfen konnte. Die Sache mit den Heiligen etwa war ein Kreuz. Nicht allein in der Fastenzeit musste man darben, auch vor jedem Heiligentag durfte man kein Fleisch essen und an Freitagen und Sonnabenden sowieso nie. Jetzt nährte er sich schon seit vier Tagen förmlich von Blättern und Wurzeln … Ein saftiges, gebratenes Stück vom Schwein stand ihm duftend vor Augen. Tags zuvor an Sankt Johannis hatten ihm Appetit und Ruhe auf seinem Ritt gefehlt. Morgen nun kam schon der Johann- und Pauls-Tag, da würde er seine Gelüste auch unterdrücken müssen. Erst übermorgen war noch einmal Fleisch erlaubt, anschließend kamen schon wieder Freitag und Sonnabend, das bedeutete Grünzeug und Fisch.

      Außerdem litt der Handel. 52 Sonntage und 48 Heiligentage, an denen nicht gearbeitet und gehandelt werden durfte: Wie sollte da die Wirtschaft je florieren?

      »Was geschieht, wenn du ohne Not einen Mitesser bringst?«, fragte er Gregor.

      »Was soll schon geschehen? Wir haben ein gastfreies Haus! Nun, sei ehrlich – leidet dein weit gereister Magen jetzt Not oder nicht?«

      Daniel verspürte plötzlich einen solchen Hunger und Durst, dass die Vorräte der kleinen Schänke vorm Vititor niemals ausgereicht hätten, beide notdürftig zu stillen.

Der Klosterbezirk St. Georg image

      Der Klosterbezirk St. Georg

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