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auch ohne Gürtlerkraut und ungeachtet der schalen Kleider, mit denen man eine Vogelscheuche bestens hätte ausstaffieren können.

      Daniels Gewand dagegen, das hatte Gregor sofort gesehen, zeugte von Wohlstand. So kleidete sich ein erfolgreicher Kaufmann. Die Tuche wirkten zwar abgetragen, als wollten sie sagen: Unser Herr schont sich nicht, sondern arbeitet schwer trotz seines Standes. Im Kleidersack aber, den das teure, schmucke Pferd zu tragen hatte, steckte bestimmt ein prächtiges Festtagsgewand. Und der edle Bogen war aus einem Holz, das Gregor nicht kannte.

      Während Daniel ihn in seinem langen Lederfutteral verschwinden ließ, sagte er: »Ich heiße Daniel Jobst. War lange in Braunschweig, doch jetzt gedenke ich, in Goslar meinen Oheim Jonathan Unruh zu beerben. Den Namen kennst du sicher.«

      Gregor nickte. Das Unruhhaus an der Abzucht wurde allgemein die Halskrause genannt. Ebenso kannte er den markigen Spruch an der Fassade: Herr, verzeihe mir meine Sünde, stärke meinen Glauben, segne mein Vermögen, lass dir gefallen das Werk meiner Hände, zerbrich den Rücken meiner Feinde, die mich ohn’ Ursach hassen, lass sie nicht aufkommen, sondern zuschanden werden. So unverhofft einem Spross aus diesem ehrwürdigen und reichen Haus zu begegnen, schüchterte ihn denn doch ein.

      »Also das … ich … äh …«

      Daniel lächelte. Die offene und unverstellte Art des Knaben gefiel ihm. So ganz ohne falschen Respekt, ohne Unterwürfigkeit und Gedrücktheit. Dass sie sich zwanglos duzten, fand er ganz natürlich, auch wenn kaum ein anderer es an seiner Stelle geduldet hätte.

      »Schon gut. Ich hoffe nicht, dass du dich vor mir verbiegen willst, bloß weil mein Onkel im engen Rat saß. Erzähl mir lieber, was du machst. Ich bin seit Langem weg, damals musst du noch so kurz gewesen sein …«

      Er deutete mit der rechten Handfläche eine derart unvorteilhaft niedrige Höhe über dem Boden an, dass Gregor die Wut in den Kopf schoss. Aber dann lachte er.

      »Paulus Geismar ist mein Vater – wir wohnen draußen vor der Mauer beim Vititor in der Reeperstraße. Mein kleiner Bruder Hans wird einmal das Handwerk weiterführen. Ich soll die Rechte studieren, aber ich habe gar keine Lust dazu. Ich will viel lieber Kaufmann werden …«

      »Oh, da wohnt ihr also in einem von den kleinen Häuschen mit den endlos langen Gärten?«

      Gregor schämte sich für die Lage seines Elternhauses. Waren sie nicht Stadtbürger wie alle? Warum konnten sie dann nicht drinnen wohnen, hinter den Festungsmauern, angesehen und geschützt, wie es sich gehörte? Nur, weil die Reepschläger ihre Seilbahnen so lang ausspannen mussten und dies in der Enge der Stadt nicht zu tun vermochten …

      »Die Grundstücke müssen so lang sein, damit man lange Seile winden kann. Zugegeben, die Seiler-Häuser sind klein, mit dem Unruhhaus kann es keines aus der Reeperstraße aufnehmen … Als Kaufmann bist du sicher schon weit herumgekommen. Doch hast du, so scheint mir, nichts von Goslars Fehde mit deinem Herzog gehört, sonst wärst du fort geblieben!«

      Daniel lachte sauer.

      »Er ist nicht mein Herzog. Ich habe in Braunschweig nur als Goslarer Kaufmann gesessen, habe das Außenkontor für meinen Oheim geführt. Wir verkauften Silber, Blei, Kupfer, Farben und Gose-Bier. Im Gegenzug kauften wir Fische und Wein und Gewürze. Der Goslarer Rat hat einen großen Bedarf an diesen Gütern.«

      »An Fischen?«

      Gregor lachte, und Daniel stimmte ein.

      »Vor allem an Fischen – wusstest du, dass es ein Stör- und Hecht-Register im Rathaus gibt, wo alle Störe und Hechte verzeichnet sind, die der Rat bei seinen rituellen Zusammenkünften verspeist hat? Das reicht zurück bis in Zeiten … ja, also quasi bis in die Tage, als diese Tiere aus der Arche Noah ins Wasser zurückgesprungen sind.«

      Gregor konnte es nicht glauben.

      »Du willst mich zum Narren halten – eine Kladde in einem Schrank im Rathaus, in der Hechte und Störe aufgelistet sind?«

      »Ganz recht, und die Anlässe für ihre genüssliche Verspeisung: jedes einzelne Ratsessen, das Gewicht der Fische und wie teuer sie waren.«

      »Ich hab noch nie andere Fische als Karauschen und Forellen gegessen … Was ist denn so anders bei einem Stör?«

      »Ich glaube, du hast nichts verpasst – das Besondere an einem Stör ist bloß sein Preis. Ihn verspeisen zu können, bedeutet, dass man über anderen steht. Der enge Rat hält sehr darauf, sich von den gewöhnlichen Sterblichen und Fischessern abzusetzen … Was weißt du über den Streit zwischen dem Herzog und dem Rat?«

      »Der Herzog will den Rammelsberg zurück, denn er hat ihn einstmals nicht verkauft, sondern nur gegen ein Pfandgeld eingetauscht, um ihn jederzeit wieder einlösen zu können. Jetzt hat er Goslar das Geld zurückgegeben. Aber der Rat will den Berg behalten.«

      Die Art, in der Daniel nickte, zeigte Gregor, dass der Ältere prüfen wollte, ob er es mit einem Grünschnabel zu tun hatte. Offenbar wusste er das alles viel besser. Gregor schätzte Daniel, was das Alter betraf, schon auf jenseits von Gut und Böse, doch er fand, dass er sich für einen so alten Mann recht gut gehalten hatte.

      »Selbst, wenn ich in Braunschweig nichts davon gehört hätte – was ganz unmöglich wäre, da es in der Stadt zur Zeit keinen aufregenderen Gesprächsstoff gibt, außer vielleicht die Gerüchte um des Herzogs Geliebte –, so hätte ich doch nicht einen Meter die Seesener Heerstraße entlangwandern können, ohne die aufgedonnerte Tracht eines herzoglichen Landsknechtes an meiner Seite zu bestaunen. Der Wolfenbütteler zieht, scheint’s, seine Truppen für einen tüchtigen Schlag gegen Goslar zusammen.«

      Gregor nickte unsicher. Die Vorstellung flößte ihm Furcht ein, wie jedem in Goslar.

      »Er hat sein Heerlager im Kloster Riechenberg. Nachts können wir die Flammen der hohen Feuerstöße sehen und hören das Gebrüll der närrisch gekleideten Schurken, die sich in seinem Tross verdingen. Sie wollen der Stadt Angst machen. Schon seit Februar sollen die Hüttenleute dem Herzog die Metallkuchen hinaus auf den Riechenberg fahren, auf einen Lagerplatz direkt neben der Krypta, aber keiner tut es. Der Herzog war in eigener Person an den Bergwerken und hat alle Inhaber auf sich vereidigt, aber nur eine Handvoll hat gehalten, was sie ihm dort in ihrer Not gelobten. Ein Bergrichter wurde eingesetzt, Arno Schmidt mit Namen. Der hat alle Grubenbesitzer einbestellt, damit sie die neuen Bedingungen annehmen. Als nur viere kamen, hat der Herzog den Grubenbesitz der Daheimgebliebenen für verwirkt erklärt. Er hat die Schächte beschlagnahmt, alle, bis auf einen.«

      »Ach, nicht alle? »

      Jetzt war Daniel doch erstaunt. Er hatte von den seit Mai laufenden Verhandlungen über seinen besten Freund, den Syndikus und Doktor der Jurisprudenz, Konrad Dellinghausen, ständig bestens Kenntnis. Konrad war Goslars Abgesandter und Unterhändler beim Reichskammergericht in Esslingen. Er hatte erwirkt, dass zwei Schlichter – die Regimentsräte Hans von Redwitz und Niklas von Kniebis – aus Esslingen nach Goslar kamen. Doch sie hatten vergeblich versucht, zwischen den Parteien einen Konsens und eine Annäherung zu erzielen. Da war nur Hass und Verhärtung. Bisher hatte es ihn belustigt, den aufgeweckten Seiler-Jungen auszufragen. Nun aber berichtete dieser Neuigkeiten.

      »Was sagst du? Es liegen nicht alle Gruben still? Wie das? Haben die Grubenherren etwa bewaffneten Schutz auf die Beine gestellt? Wachen städtische Kriegsknechte am letzten freien Göpelzelt und liefern sich Gefechte mit dem Herzog?«

      Diese Vorstellung belustigte ihn. Auch Gregor fand das ulkig.

      »Abwehrstellungen gegen des Herzogs Spießgesellen? Oh nein – der Schacht der Grube Neuwerk fördert noch, weil sich die Eigentümer mit dem Herzog verständigt haben.«

      Daniel war sprachlos. Wie konnte der Rat das zulassen? Er überlegte, um auf die Namen der Bergwerkseigner zu kommen: Sebastian Walberg, Heinrich Wachsmut, Simon Raschen und Henning Heinze. In deren Haut mochte er jetzt nicht stecken. Bevor er sich’s mit den andern im Rat verdürbe, würde er sich lieber dem Herzog entgegenstellen.

      Sie setzten auf die Insel über, wo Gregor seinen Maulesel freudig begrüßte. Nachdem sie behutsam

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