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Lektüre ein paar Jahre oder gar Jahrzehnte alter Wirtschafts- und Technikmagazine. »Life is what happens while you’re busy making plans«, wusste schon John Lennon. Wir sollten die vergilbten Ideen von gestern dennoch studieren, weil sie uns auch jede Menge über die aktuelle Situation erzählen. Und den Weg dahin.

      Was will dieses Buch, was will die ihr zugrunde liegende Kolumne (die erstmals 2009 in der Presse erschien, wofür es Christian Ultsch und Rainer Nowak zu danken gilt, und die seit 2017 in der Wiener Zeitung abgedruckt wird, hier geht der Dank an Christina Böck, Bernhard Baumgartner und Ex-Chefredakteur Reinhard Göweil)? Kurz gesagt: ein Begreifen ermöglichen. Jede hinreichend fortschrittliche Technologie sei von Magie nicht zu unterscheiden, hat der britische Autor Arthur C. Clarke einst postuliert. Hier aber geht es um Entzauberung. Der gemeinsame Abstieg in den »Maschinenraum« ist der Versuch einer lustvollen, nicht mit Fachsprache, Hard Facts und technischen Details überfrachteten Expedition in den Alltag eines Durchschnitts-Users. Das ist wesentlich: Alle Beobachtungen, Anmerkungen und Einschätzungen erfolgen aus der Sicht eines kritischen Konsumenten, nicht eines Experten.

      Wie für jeden Autor, für jede Autorin gilt auch für mich: Wir schreiben gegen das Sterben an, gegen das Vergessenwerden, gegen den Lauf der Dinge. Wie lange wird der Laptop, in dessen Tastatur ich gerade klopfe, noch klaglos laufen? Was kann uns Neo-Virologe Bill Gates über die Vergänglichkeit erzählen, welches Smartphone nutzt der Papst (und schaltet er es während eines Gesprächs mit Gott aus)? Wird die Zukunft mehr Technik, mehr Verstehen, mehr Lösungen bringen oder weniger? Und kann Fortschritt gegebenenfalls das Überleben der Menschheit sichern? Fragen über Fragen. Ich beginne abzuschweifen. Zeit, umzublättern.

      GEGENWART

      »Es ist dies das Zeitalter der Angst, weil die elektrische Implosion uns ohne Rücksicht auf ›Standpunkte‹ zum Engagement und zur sozialen Teilnahme zwingt.«

      Marshall McLuhan

      »Der Fortgang der wissenschaftlichen Entwicklung ist im Endeffekt eine ständige Flucht vor dem Staunen.«

      Albert Einstein

      »Was man heute als Science-Fiction beginnt, wird man morgen vielleicht als Reportage zu Ende schreiben müssen.«

      Norman Mailer

      RAUM, ZEIT, TEXT

      Schreiben über Technik? Selten im Radar des Literatur-Nobelpreis-Komitees. Leider.

      Ich habe das ehrenwerte Angebot bekommen, eine Auswahl der hier erscheinenden Kolumnen als Buch zu veröffentlichen. Ob sie es wert sind, weiß ich nicht. Aber das soll das Publikum entscheiden, das ja im Kosmos der Konsumprodukte eine faktisch brutale, nicht selten finale Abstimmung vornimmt – an der Kassa des Buchladens, via »Buy«-Click im Internet. Oder auch nicht. Noch gilt das Prinzip Hoffnung: Die pure Existenz des Werks wird Ihnen nach diesem Vorab-Hinweis und seinem Erscheinen noch oft genug untergejubelt werden. Eventuell hilft es, die Absatzzahlen zu steigern, wenn ich nicht extra auf den Umstand verweise, dass sich die Mehrzahl der Texte online leicht auffinden und gratis studieren lässt.

      Aber ein Buch macht halt deutlich mehr her! Erst recht für den Autor. Es ist ein Konzentrat jahrelanger flüchtiger Beobachtungen, launiger Anmerkungen, bisweilen auch dauerhafterer Gedanken und Erkenntnisse. Abseits profaner Tagesarbeit, die hilft, die Miete zu bezahlen, rückt allein das jahrtausendealte, auch im 21. Jahrhundert konkurrenzlos sinnliche Medium Papier jeden Beistrich in die Nähe ernsthafter Literatur, und man muss nicht von Tolstoi, Homer und Handke kommen, um sich geadelt zu fühlen. Eventuell reicht auch Hobby – das Magazin der Technik. Kennen Sie nicht? Im Feld des strikt linearen technologischen Fortschritts, der kein Zurück kennt und selten Nostalgie, freilich kein Mirakel. Entschuldigen Sie das Pathos! Mir ist gerade danach.

      Ich habe Peter Glaser ein Mail geschickt, ob er ein kurzes Vorwort für das Büchlein verfassen möchte. Kennen Sie ebenfalls nicht? Der Mann ist der beste Technik-Kolumnist des deutschsprachigen Raums (auch wenn ihm Sascha Lobo hart auf den Fersen ist). »Geboren als Bleistift in Graz« in den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrtausends, wie seine Web-Biografie festhält. Heute lebt Glaser in Berlin. Eigentlich aber im Cyberspace. Wie geht so einer, wage ich zu fragen, mit der Flüchtigkeit seiner schriftstellerischen Existenz um, der Rasanz der Zeit, der Explosion der im Idealfall vollständig und penibel zu kommentierenden Möglichkeiten, Perspektiven, Entwicklungen? Erst recht im Kontrast zur – vermeintlichen? tatsächlichen? – Gefangenheit des Menschen in sich selbst. Apropos: Peter Glaser sitzt, wenn er nicht seinen Intellekt um den Globus streifen lässt, im Rollstuhl. Nicht die übelste Erfindung in der Geschichte der Menschheit.

      Ich halte gerade eines seiner Bücher in Händen. Der Autor – Bachmann-Preisträger! – ist mir weit voraus, was bedrucktes Papier betrifft. Das Werk (»24 Stunden im 21. Jahrhundert«, Erscheinungsjahr 1995) ist, oberflächlich betrachtet, vergilbt, aber es strotzt vor zeitlos aktueller Gedankenfülle. Und zutiefst humanem Humor. Ich empfehle dringend: googlen, abonnieren, lesen Sie Glaser! Technik und Alltag, Introspektion und Extrapolation, Poesie, Gegenwart und Zukunft so elegant zu verzahnen ist kein Lercherlschas. Zumal sich die ernste Literatur selten Alexa, Greta und das nimbusumflorte Nobelpreis-Komitee in den Elfenbeinturm einlädt; eine ihrer größten Schwächen. Jetzt bin ich mal gespannt, was mir vergleichsweise der Grazer Titan, Freund und Kolumnistenkollege zurückschreibt.

      WELTWEITES AUFFANGNETZ

      Aufklärung oder Verschwörungstheorie? Das World Wide Web transportiert beides.

      Ich schreibe dies zwei Tage nach der Zeitenwende im Jahr des Herrn 2020, und wenn diese Zeilen nach einem Logbuch-Eintrag klingen, dann durchaus beabsichtigt. Es ist gerade mal zwei Wochen her, dass ich an dieser Stelle das »hoffnungsvolle Leuchten des Bildschirms« imaginierte, als eine Art Signalfeuer im Meer der Unwägbarkeiten. Damals – es erscheint seltsam fern – begann Italien ob der Covid-19-Pandemie mit der Abriegelung erster Provinzen, mittlerweile hat sich das ganze Land selbst unter Quarantäne gestellt. Aber alles hat längst die Grenze passiert: das Virus, die Angst, die Maßnahmen, der Kampf gegen einen unsichtbaren Feind. Europa, nein, die Welt befindet sich im Kriegszustand.

      Zu viel Lärm um eine Krankheit, die bis zuletzt noch als »harmloser als eine Grippe« galt? Ich meine: nein. Es sind die leuchtkräftigen Bilder, die uns den Weg weisen im Sprühnebel der Desinfektionsmittel. Auch da kann sich jeder heimische Politiker eine Scheibe von der Methodik (nicht der Moral!) der chinesischen Behörden abschneiden: Zeig’ entschieden, wo’s langgeht, erklären kann man es später immer noch – verstehen könnten es locker zwei Drittel der Bevölkerung, aber wirklich verinnerlichen will es aktuell vielleicht ein Bruchteil davon, wenn überhaupt.

      Man konnte selbst respektierte Journalisten, Meinungsbildner und Landärzte lange nicht vom Wesen dieses Wettlaufs mit dem Tod überzeugen. Man kann es partiell immer noch nicht – sei es mit Schautafeln, Videos, mathematischen Formeln, akkuraten Statistik-Kurven oder dramatischen Augenzeugenberichten aus Spitälern in Krisen-Hotspots. Mit fatalen Folgen.

      Bezeichnenderweise hat in diesem Kontext der potenziell hochklassige, weil weltumspannende, quellendiverse und mit Abstand rasanteste Kommunikationsträger – das Internet – mit seiner eigenen Übermacht zu kämpfen. Jeder nutzt es, keiner traut ihm. Weil der Großteil seiner User zu träge ist, Fakten zu checken, Informationen abzuwägen und ein Sensorium gerade für unangenehme Wahrheiten zu entwickeln, glaubt man nur, was man vorher schon an »Meinung« in der warmen Jackentasche mit sich herumtrug.

      So kam, was kommen musste: Man wird – inmitten eines Tsunamis! – Teil einer Fraktion in einer fraktionierten Welt. Pro? Contra? Egal? Mir jedenfalls egal, bei manchen Zeitgenossen als Mitbefeuerer einer »weltweiten social-media-gesteuerten Massenhysterie« (O-Ton in einem Facebook-Thread) zu gelten. Time will tell. Aber den Ärzten läuft die Zeit und die Bettenkapazität davon. Es wäre mehr als schmerzlich, recht zu behalten.

      Homeoffice now! Das hoffungsvolle Leuchten des Bildschirms … Warum setzen wir weiterhin auf die vielgeschmähten, nachgerade verdammten, an ihre

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