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Nibelar - Die Gruft. Christine Troy
Читать онлайн.Название Nibelar - Die Gruft
Год выпуска 0
isbn 9783960743149
Автор произведения Christine Troy
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Weldran!“ Raja sprang auf und fiel dem Waldelfen glücklich um den Hals. „Wie gut, dass du da bist, meinem Onkel geht es gar nicht gut. Er isst und trinkt kaum mehr und windet sich immer häufiger in schlimmen Fieber- und Muskelkrämpfen. Außerdem spuckt er inzwischen bei jedem Hustenanfall Blut.“
Weldran betrachtete die Kleine aus seinen sanften braunen Augen. Als sie zu Ende gesprochen hatte, nickte er, trat ans Bett des Königs, fühlte seine Stirn und fragte: „Wie lange hat er schon so hohes Fieber?“
„Seit gestern Morgen.“
Der Waldelf zog besorgt die Brauen zusammen. „Und wie viel hat er seither getrunken?“
„Praktisch gar nichts. Er schläft mehr oder weniger die ganze Zeit und seine Leibärzte meinten, dass wir ihn schlafen lassen sollten.“
Weldran schüttelte verständnislos den Kopf, erwiderte jedoch lediglich: „Na gut“, und wandte sich dann an Raja. „Was ist mit dir? Du siehst erschöpft aus. Geh und leg dich etwas hin, ich kümmere mich um deinen Onkel.“
„Bist du sicher? Ich meine, ich helfe dir gerne, vielleicht brauchst du ja noch etwas. Frisches Wasser oder saubere Tücher vielleicht? Du brauchst nur zu sagen, was du benötigst ...“
„Das ist nett von dir, meine Liebe. Aber ich komme schon zurecht. Geh nur, leg dich schlafen.“ Mit diesen Worten öffnete der Graue seine abgenutzte Ledertasche und förderte daraus ein kleines steinernes Gefäß zutage.
„Also gut, dann werde ich mich ein wenig hinlegen. Aber du sagst Bescheid, sobald ich dir helfen kann.“
„Mach ich, und jetzt geh, ruh dich aus!“
Geräuschvoll fiel die hohe Eichentür hinter Raja ins Schloss. Ihr Schlafgemach war von schummrig rötlichem Licht erfüllt, das durch die schweren Nachtvorhänge drang. Als Rajas Blick auf das riesige Himmelbett mit der edlen Bettwäsche im hinteren Teil des Zimmers fiel, breitete sich auf ihren Lippen ein müdes, aber glückliches Lächeln aus. Leise schlich sie über den blutroten Teppich, der nahezu den gesamten Boden bedeckte, an Ranons Seite, griff nach dessen Decke und hob sie mit einem Ruck an. Doch zu ihrer Enttäuschung war ihr Gatte nicht da und ihr Lächeln verschwand. Sie seufzte, setzte sich aufs Bett und ließ missmutig den Blick durchs Zimmer wandern. Von dem zierlichen Tischchen und den dazugehörigen Stühlen, die inmitten des Raumes standen, über die mächtigen kalkweißen Steinskulpturen, auf deren Köpfen in gläsernen Vasen zartblaue Fliedersträuße standen, bis hin zu einem gigantischen Wandgemälde, welches Felsstadt in all seiner Pracht zeigte. Dann fiel ihr Blick auf den bunten Geschenkeberg, der seit ihrer Hochzeit vor etwas mehr als zwei Wochen in der vorderen Ecke unter einem der hohen Fenster aufgebaut war.
Erneut entrang sich der kleinen Frau ein Seufzen und so ließ sie sich mit dem Gefühl, es laste ein Felsbrocken auf ihrer Brust, rückwärts aufs Bett fallen. Dabei rutschte das Amulett von Dawatai unter ihrem Hemdchen hervor. Raja nahm es ab und betrachtete es argwöhnisch.
„Willst mir wohl was zeigen, wie?“, sagte sie ernst und drehte den alabasterfarbenen Stein mit der edlen Silberumfassung einmal um sich selbst. Unschlüssig an der Unterlippe nagend überlegte die Kleine noch einen Moment. „Hmm, später“, entschied sie schließlich und legte das Schmuckstück auf ihr Nachttischchen. „Erst will ich ein Weilchen schlafen.“
Zusammengekauert wie ein kranker Wurm zog sie sich die Decke bis zum Kinn – sie war noch warm und roch nach Ranon. Einen Augenblick überlegte Raja noch, ob sie dem aufkommenden Rumoren in ihrer Magengegend nachgeben und sich etwas zu essen holen sollte, doch im nächsten Moment übermannte sie die Müdigkeit und sie schlief ein.
Es war wohl schon später Vormittag, als ein lautes Klirren die Zwergin aus dem Schlaf riss. Erschrocken und mit gezückter Klinge schoss sie auf. Das Blut rauschte in ihren Ohren, als sie sich im taghellen Zimmer umsah.
„Oh, ich bitte um Verzeihung“, jammerte die piepsige Stimme einer Magd, die gerade im Begriff war, einen Haufen Glasscherben vom Boden vor dem Tischchen aufzulesen. „Es tut mir leid, ich wusste nicht, dass Ihr noch hier seid und schlaft. Ich dachte, Ihr wäret längst unten – bei der Versammlung.“
„Wie? Was sagst du da, die Versammlung hat bereits begonnen? Ohne mich?!“ Mit einer schwungvollen Bewegung warf Raja die Decke zurück, wirbelte aus dem Bett, zupfte und strich sich flink das Gewand zurecht. „Das darf doch wirklich nicht wahr sein, wie können sie es nur wagen, ohne mich anzufangen?“
„Soweit ich weiß, hat Ranon eine ganze Weile nach Euch gesucht, doch der Stadtherr Horgard wurde ungeduldig“, versuchte die Magd sie zu beschwichtigen.
„Pah, Horgard, das war ja mal wieder klar, dass sich der alte Wichtigtuer so aufspielt.“ Raja schnaubte verächtlich, während sie ihre Füße hastig in ein Paar kniehohe braune Lederstiefel zwängte. „Sei’s drum ...“, sagte sie schließlich, sich der Situation ergebend. „Wie lange sitzen sie schon beisammen?“
„Etwa eine Stunde.“
„Na gut, dann müsste ich ja noch rechtzeitig kommen.“
Noch während Raja mit vor Wut geröteten Wangen durchs Zimmer eilte, ihre vom Schlafen zerzauste Frisur löste und sich mit flinken Fingern einen neuen Zopf flocht, schwang die Tür auf und eine aufgeregte Zofe stürzte herein.
„Herrje, Raja, da seid Ihr ja endlich! Ich habe bereits das halbe Schloss nach Euch abgesucht“, japste sie keuchend. „Kommt, schnell! Der Stadtherr Horgard und Euer Gemahl Ranon streiten sich ganz fürchterlich.“
„Was, was sagst du da? Sie streiten?!“
„Ja, Herrin.“
„Und weshalb? Geht es etwa schon wieder um den nördlichen Zufluss des Silberbachs?“
„Nein, Herrin, diesmal nicht.“
„Um was geht es dann?“
„Ich habe leider nicht das ganze Gespräch mitbekommen, doch hörte ich allerlei über eine Art Restschuld, die König Algar scheinbar schon vor Jahren hätte begleichen müssen.“
„Was für eine Restschuld? Und wofür denn bitte?“
„Rauerz ... glaube ich. Zwei Fuhren davon. Während die Zahlung der ersten Fuhre gleich bei ihrer Ankunft geleistet wurde, so steht laut dem Stadtherrn die Gebühr der zweiten bis heute noch aus.“
„Ach ja? Und wie hoch soll diese Restschuld sein?“
„Fünfzig Goldbruchtaler und dreißig Silbersichelgroschen.“
„Was?! Mein Onkel würde nie ...“ Wutschnaubend unterbrach sich Raja selbst, zwang sich, tief durchzuatmen, und sagte dann mit kontrolliert ruhiger Stimme: „Also gut, wo findet das Treffen statt? Im Thronsaal, in der Steinerzhalle, in Algars Besprechungsräumen? Weißt du was ... bring mich einfach hin. Komm, beeil dich!“
Die Zofe nickte eingeschüchtert, bedeutete Raja, ihr zu folgen, und führte sie von ihrem Schlafgemach in einen langen, von spärlichem Tageslicht erhellten Gang. Dann ging es durch einen schicken Speisesaal, die Küche und einen weiteren Gang zum Thronsaal, wo Raja bereits einige tiefe Stimmen schimpfen hören konnte. Die Zofe geleitete Raja bis zu einem steinernen Türbogen, der am Ende des Thronsaals in einen benachbarten Raum führte.
Es war eine weitläufige Halle mit einer hohen elfenbeinweißen Kuppeldecke, dunklem Marmorboden und grauen Steinwänden. Vier mannshohe, in Silber gehaltene Kerzenständer waren in den Ecken aufgebaut. Zu beiden Seiten Rajas hingen edle, wohl schon jahrhundertealte Waffen an den Wänden – wahre Raritäten und allesamt Meisterwerke. Das mit Abstand kunstvollste Stück im Saal prangte jedoch an der Wand vor ihr: Felsstadts Wappen. Ein königlich blauer, aus Seidenstoff gefertigter Schild. Umrandet und bestickt mit feinstem Goldgarn. Auf dem blauen Hintergrund befand sich ein kräftiger Steinbock mit stolz erhobenem