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Nibelar - Die Gruft. Christine Troy
Читать онлайн.Название Nibelar - Die Gruft
Год выпуска 0
isbn 9783960743149
Автор произведения Christine Troy
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Und was ist mit dir, kommst du nicht mit?“
„Nein, ich habe noch was zu erledigen.“ Gweldons Blick fiel auf Saruna, deren Miene alles andere als erfreut aussah. „Keine Sorge“, beschwichtigte er sie. „Ich komme nach, sobald es geht. Versprochen.“
Saruna nickte stumm und sah zu, wie ihr Bruder über die letzten Stufen huschte und über die vor ihnen liegende Plattform in Richtung Kuppelsaal davonging. „Was der wohl wieder vorhat?“, murmelte sie kopfschüttelnd in sich hinein, während sie unwillig den Weg nach Hause einschlug.
Die kühle, sonst so angenehm nach Wald duftende Luft in Dalwas roch abscheulich nach Schwefel, verbranntem Haar und vergorenem Obst. Der dominanteste und mit Abstand schlimmste Gestank von allen war jedoch jener, der aus ihrem Zuhause drang. Ein beißend süßer Geruch mit einem Tick Verwesung. Getrocknete Kelhorndrüsen. Saruna rümpfte angewidert die Nase. Ihr Vater Weldran würde daraus einen Wundtrank brauen. Der war in Zeiten eines bevorstehenden Krieges auch notwendig. Der Trank vermochte es, innere, von außen unerreichbare Wunden binnen kürzester Zeit zu heilen. Unverzichtbar im Falle eines Angriffs. Trotzdem, der Gestank war abscheulich.
Nach einem Moment der Überwindung drückte Saruna die runde Haustür auf. Sogleich schlug ihr eine unangenehm süße und in der Nase stechende Duftwolke entgegen. Schützend hielt sich die Elfe den Ärmel ihres Mantels vor die Nase. „Vater?“, rief sie durch den Stoff. Keine Antwort. „Vater!“, versuchte sie es noch einmal lauter. Erneut kam keine Antwort, also trat sie ein und suchte das ganze Haus nach ihrem alten Herrn ab. Doch Weldran war nicht da, niemand war da. Verscheucht vom beißenden Gestank setzte sich die junge Frau schließlich auf die Schwelle vor dem Haus und zog die Tür hinter sich zu. Es dämmerte bereits. Rot glühende Sonnenstrahlen tasteten nach dem undurchdringlichen Blätterdach und verliehen ihm eine blass-orange Färbung.
In den letzten Tagen herrschte in Dalwas um diese Zeit eine unruhige Stimmung. Die meisten Waldelfen hatten sich bereits aus Angst vor der bevorstehenden Nacht in ihre Behausungen zurückgezogen und jenen, die noch unterwegs waren, war die Nervosität deutlich anzusehen. So eilte ein älterer Herr, der ein ganzes Bündel Schriftrollen bei sich trug, unregelmäßig mit seinem Gehstock klappernd in Richtung Kuppelsaal. Eine Elfenmutter mahnte ihr Kind mit strengem Blick zur Eile und zog es ungeduldig an der Hand. Selbst um die großen Talgkerzen in den Laternen kümmerte man sich bereits. Ein hochgewachsener Elf mit langem, im Nacken zusammengebundenem Haar und ernster Miene entzündete mit seiner Lunte einen Docht nach dem anderen.
Erschöpft von der Anstrengung der letzten Tage, lehnte sich Saruna gegen die Haustür. Endlich etwas Ruhe. Die Gedanken träge, die Augen schwer war sie schon bald eingeschlafen. Im Traum sah sie Zemeas, er lächelte sie liebevoll an und reichte ihr die Hand. Doch als sie danach greifen wollte, verblasste sein Gesicht. Wirre Bilder von verzerrten Fratzen, unbekannten Landschaften und brennenden Dörfern verdrängten die Gestalt des Feuerelfen und erfüllten den Traum der jungen Frau mit einer bleiernen Schwere. Schließlich wurde alles finster. Kein Bild, kein Gefühl – nichts als Leere. Doch da formten ihre Gedanken eine neue Illusion: eine alte Frau, die im hintersten Winkel einer tristen Höhle kauerte und das Gesicht in den faltigen Händen barg. Wimmernd und am ganzen Leib zitternd rang die bemitleidenswert abgemagerte Person mit den Tränen.
„Hab keine Angst, ich werde dich hier herausholen“, versuchte Saruna die Frau gedanklich zu trösten.
Verdutzt trocknete die Alte ihre Tränen und hob den Kopf. Ihr Blick wirkte verängstigt, geradeso als hätte sie eben einen Geist gesehen. Saruna reichte der Frau auffordernd die Hand. Doch diese schien sie nicht zu wollen. Stattdessen fixierte sie mit einem Mal das Gesicht der jungen Elfe, öffnete den Mund und ...
„Saruna ... Saruna!“ Jemand riss sie aus ihrem Traum. Verwirrt blinzelnd öffnete sie die Augen.
„Bist du endlich wach?“, drängte Gweldon, der sich mit besorgter Miene über seine Schwester gebeugt hatte.
„Ich ... ich habe auf dich und Vater gewartet, dabei bin ich wohl eingeschlafen.“
„Ja, scheint so. Aber nun komm endlich. Halb Dalwas hat sich im östlichen Kuppelsaal eingefunden. Es gibt Neuigkeiten. Zwei Königswachen aus Felsstadt sind hier.“
„Neuigkeiten?“ Die junge Frau erhob sich, die Glieder so steif, dass es schmerzte. „Was für Neuigkeiten?“
„Wenn ich die Wachleute richtig verstanden habe, handelt es sich um König Algar“, erklärte der Alchemist flüchtig, während er auf dem Absatz kehrtmachte und in Richtung Kuppelsaal loseilte.
Saruna folgte ihrem Bruder. Ihr Herz pochte heftig und ihr Magen brannte vor Aufregung. Was da auch immer für Neuigkeiten auf sie warten mochten, es waren keine guten, so viel war gewiss. Die flackernden Lichter der Laternen flogen an ihnen vorbei, als sie über die Plattformen eilten. Im Wald selbst war es finster und ruhig, zu ruhig. Kein Rascheln aus dem Unterholz, kein Knacken oder Knarren aus den Wipfeln – nichts.
„Sie haben schon begonnen“, flüsterte Gweldon, als sie den Saal erreichten. Den Zeigefinger auf die Lippen gedrückt bedeutete er seiner Schwester, sich ruhig zu verhalten, während er mit der anderen Hand die hohe Tür aufstemmte.
Saruna hielt den Atem an, als sie dicht hinter ihrem Bruder in das imposante Gebäude schlich. Der nördliche Kuppelsaal war ein Musterbeispiel waldelfischer Handwerkskunst. Die hohen Holzwände waren mit edlen Malereien verziert und die vier prächtigen Säulen, auf welchen das schwere Glasdach ruhte, bestachen durch spiralförmige, liebevoll eingearbeitete Schnitzmuster. Der Boden war mit reinem Filbenöl eingelassen, welches das Holz nicht nur ungemein härtete und widerstandsfähig machte, sondern ihm auch einen edlen weiß schimmernden Glanz verlieh. Die sonst hier aufgebauten Tische und Stühle waren schon in den Nächten zuvor weggeräumt worden, um ausreichend Platz für die Schutz suchenden Waldelfen zu schaffen.
Nervös biss sich Saruna auf die Unterlippe und verschaffte sich so unauffällig wie möglich an der Seite ihres Bruders Durchlass. Als sich die neugierige Menge vor ihr endlich lichtete und ihr Blick auf die Tafel fiel, an der sich die Ältesten mit zwei in schwere Rüstungen gehüllten Zwergen besprachen, blieb sie abrupt stehen. „Ich wusste es“, murmelte sie enttäuscht in sich hinein.
Ungeduldiges Flüstern zischelte durch den hohen Saal, als sich Fuldaf, einer der Ältesten der Waldelfen, schließlich erhob. Sein vernarbtes Gesicht war auf die Menge gerichtet. „Waldelfen! Brüder und Schwestern!“, hob der alte und nahezu kahlköpfige Mann mit fester Stimme an. „Schlechte Kunde erreicht uns aus Felsstadt!“ Besorgtes Raunen erklang. „König Algars Genesung schreitet nur sehr langsam voran, und sofern sich sein Zustand nicht bald bessert, befürchten seine Leibärzte Schlimmstes.“ Bedrücktes Schweigen. „Wir vom Hohen Rat haben entschieden, dass Weldran morgen früh die beiden Königswachen zurück nach Felsstadt begleiten wird und den König mit elfischer Arznei versorgt.“
Weldran, der neben Fuldaf saß, nickte bestätigend. Sein Gesicht war von Sorge gezeichnet.
„Gewiss ist auch unsere Medizin kein Garant für Algars Genesung, doch wollen wir es wenigstens versucht haben ... Nun denn, das war so weit alles von meiner Seite.“ Fuldaf senkte den Blick auf den muskulösen Zwerg, der zu seiner Linken saß. „Grandol.“
Der Zwerg räusperte sich, strich seinen roten, etwas krausen Bart glatt und erhob sich. „Da es dem König zuweilen nicht möglich ist, seinen Pflichten nachzukommen, kümmert sich bis auf Weiteres der altzwergische Rat darum. Fürs Erste wurden die Silberquellminen, die von Felsstadt aus quer durch den südlichen Teil des Gebirges führen, freigeräumt. Im Falle eines Angriffs wird sich unser Volk dorthin zurückziehen. Hauptmann Kargon von der Königswache befasst sich bereits mit der Erstellung eines angemessenen Schlacht- und Verteidigungsplans sowie der Herstellung neuer Waffen und Rüstungsteile. Des Weiteren wurden Botschafter nach Selatog und Zwergenruh entsandt. Sie sollen für ein baldiges Treffen zwischen unserem Rat, Terdan, dem Ältesten aus Zwergenruh, und Horgard, dem Stadtherren von Selatog sorgen.“ Wenn Grandol bislang sehr geschäftig klang, so enthielt seine Stimme nun einen besorgten Unterton. „Weldran hat uns unterrichtet,