Скачать книгу

geantwortet, aber ich verkniff es mir, schließlich bin ich ein höflicher Mensch.

      Außerdem: Er war hier, wie die anderen auch, um endlich die Liebe zu finden.

      Und ich war hier, weil mir meine lieben Freunde Bärbel und Frank einen Gutschein für dieses Speed-Dating geschenkt hatten. Um genau zu sein: Es waren Gutscheine für drei Speed-Datings gewesen, und ich büßte gerade das zweite davon ab.

      Sie hatten mir damit eine Freude machen wollen, und dafür liebte ich sie. Sie hatten sich dafür bedanken wollen, dass sie dank meiner Vermittlung nun stolze Betreiber eines kleinen, aber sehr lebendigen Lebensmittellädchens in meinem Viertel waren.

      »Unser Leben hat sich um tausend Pimpillionen Prozente verbessert«, pflegte Frank zu sagen, »und dat nur wegen Loretta.«

      Sie hatten lange überlegt, wie sie sich bedanken könnten, hatte Bärbel mir verraten, als sie mir den Umschlag mit den Speed-Dating-Gutscheinen übergeben hatten.

      Ich hatte nicht gewusst, ob ich lachen oder weinen sollte.

      Wirke ich wirklich derart bedürftig?, hatte ich mich spontan gefragt.

      Gut, ich war seit einiger Zeit Single, und die glücklichen Paare um mich herum schienen zu glauben, dass dies kein Zustand war, mit dem man zufrieden sein konnte. Das galt nicht nur für Frank und Bärbel, sondern auch für Doris und Erwin sowie für Diana und Okko, die sich allesamt Sorgen um mein Seelenheil machten, wie ich aus Anlass der Gutschein-Übergabe erfuhr. Man hatte konspirativ beratschlagt und war zu dem Schluss gekommen, dass es an der Zeit war, mich auf die Piste zu schicken.

      Bei dem Gedanken an die zahlreichen Telefonkonferenzen, bei denen es um mein nicht vorhandenes Liebes- beziehungsweise Sexleben gegangen war, wurde mir ganz anders.

      Und jetzt saß ich Marc gegenüber, der bestimmt Muttis Liebling war, wie ich messerscharf aus dem eindeutig selbst gestrickten Pullover schloss, der seinen Oberkörper eine Spur zu knapp umspannte. Mit monoton dahinplätschernder Stimme hatte er mir Auskunft über sich gegeben – Bauarbeiter, siebenundvierzig Jahre –, und seine rot glänzende Halbglatze spiegelte seine Aufregung deutlich wider. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es war nicht sein Äußeres, das diese spontane Abneigung, gepaart mit bleierner Müdigkeit, in mir ausgelöst hatte. Nein, es war seine Stimme. Vor meinem geistigen Auge erschien das Bild, wie er in unserer gemeinsamen Wohnung am Tisch saß und vor sich hin leierte, während ich hinter ihm stand und die hoch über meinen Kopf erhobene Bratpfanne mit Schmackes auf seinen Haarkranz niedersausen ließ. Endlich Ruhe. Hihihi, dann würde Kommissarin Küpper mich verhören und könnte mich endlich in den Knast befördern, was sie sich vermutlich schon etliche Male heimlich gewünscht hatte. Es sei denn, ich käme mit Notwehr durch.

      Moment mal. Was hatte er mich gefragt? Genau. Der Gedanke an Notwehr hatte mich erheitert, stellte ich fest.

      »Ich arbeite in einem Callcenter«, sagte ich, »für eine Online-Bank.«

      »Wow. Das hätte ich nicht gedacht. Du siehst nicht so aus, als hättest du einen seri…« Er brach ab und stierte mich erschrocken an.

      »Als hätte ich einen seriösen Job?«, soufflierte ich mit einem Lächeln. »Online-Bank. Alles passiert am Telefon. Ich muss nicht im schicken Kostümchen am Schalter stehen. Außerdem bin ich in der Administration tätig. Ich sitze also nicht an der Hotline und habe keinen Kundenkontakt. Ein ganz normaler, langweiliger Job in der Verwaltung.«

      »In meiner Freizeit gehe ich angeln«, sagte er. »Und du? Hast du ein Hobby?«

      »Fotografieren«, erwiderte ich.

      Sein Gesicht hellte sich auf. »Das passt doch super. Dann kannst du die Fische knipsen, die ich geangelt habe. Weißt du, am liebsten gehe ich auf Karpfen. Und es gibt so eine Website, auf der man seinen Fang posten kann. Das stelle ich mir nett vor, mit dir zusammen loszuziehen und …«

      Ein Gutes hatte diese Vorstellung: Er würde beim Angeln nicht reden. Aber alles andere an seiner Fantasie erfüllte mich mit geradezu lähmendem Entsetzen. Im Morgengrauen losziehen, dann stundenlang in der Pampa an irgendeinem Tümpel hocken und darauf warten, dass so ein bedauernswerter Fisch, der bis dahin ein schönes Leben geführt hatte, luftschnappend aus dem Wasser gezerrt wurde, nur um seinen sinnlosen Tod auf einer Website für angelnde Angeber zu dokumentieren? Nur über meine Leiche. Und selbst dann noch nicht.

      Ein Glöckchen ertönte, und ich atmete innerlich auf. Denn dieses silberhelle Bimmeln bedeutete, dass Marcs und meine gemeinsame Zeit vorüber war.

      »Oh, schon vorbei?« Marc war sichtlich enttäuscht. »Das waren doch nie und nimmer sieben Minuten!«

      Doch, mein Lieber, das waren sogar sieben Ewigkeiten, dachte ich, setzte ein bedauerndes Lächeln auf und zuckte mit den Schultern.

      Zögernd erhob er sich und trottete zum nächsten Tisch, während sich auf dem nun leeren Stuhl bereits der nächste Kandidat niederließ.

      »Hi, ich bin der Jimmy.«

      Ein Hauch von Sandelholz wehte mich an.

      Auch er bestach optisch durch Gestricktes, allerdings hatte er das ausgeleierte Teil vermutlich selbst geklöppelt, an langen Abenden bei Räucherstäbchen, Fencheltee und indischer Sitarmusik.

      Auf seine Frage hin tischte ich auch ihm die Lüge auf, ich sei bei einer Online-Bank angestellt, wie ich es Fremden stets erzählte. Dass ich bei einer Sexhotline arbeitete, wusste nur mein enges Umfeld, und das reichte auch vollkommen.

      »Bei einer Baaaaaaank?«, fragte er skeptisch und verzog das Gesicht. »Dann hast du ja voll den kommerziellen Job. Das ist ja noch schlimmer als Sabine – die arbeitet als Bulle, das muss man sich mal vorstellen. Wie kann man für einen solchen Fascho-Verein knechten? Freiwillig? Unfassbar. Mit so einer Frau könnte ich niemals … also, dazu bin ich ein viel zu sensibler Mensch. Ich bin nämlich Künstler.«

      Das erklärte seine Miene, denn mein Beruf war aus seiner Sicht offenbar ziemlich uncool. Aber immerhin war ich keine Faschistin.

      Was für ein Schwachkopf.

      »Künstler? Tatsächlich?« Ich bemühte mich, Interesse zu heucheln.

      Jimmy nickte. »Ja, ich bin Lebenskünstler.« Er grinste stolz. »Ich bin Musiker, und bürgerliche Normen finde ich spießig. Das ist nicht so mein Ding.«

      Höflich bleiben, Loretta, höflich bleiben … »Du verdienst deinen Lebensunterhalt als Musiker?«

      »Mal mehr, mal weniger. Ich wohne zurzeit in der Schrebergartenlaube eines Kumpels, ganz im Einklang mit der Natur. Ich brauche nicht viel, du verstehst?«

      Oh ja, ich verstand. Ich ahnte, was er spießig fand: regelmäßig frühmorgens aufstehen und arbeiten gehen, Steuern und Miete zahlen … diese langweiligen, bürgerlichen Dinge halt. Ich konnte ihm nur wünschen, dass er hier eine gleichgesinnte Lebenskünstlerin traf. Dann konnten sie zusammen in der Laube hocken und von dem leben, was sie im Wald an Beeren und Wurzeln fanden. Oder Bienen den Honig klauen.

      »Ich finde es übrigens sehr unangenehm, dass du dich mir gegenüber so abfällig über Sabine geäußert hast«, sagte ich, »das gehört sich nicht.«

      »Du bist ja noch spießiger, als ich dachte. Ich darf ja wohl meine Meinung sagen.«

      »Das finde ich faschistisch, Jimmy: dass du in deinem Hochmut glaubst, das Recht zu haben, andere mit Dreck zu bewerfen. Sag deine Meinung, wem du willst, aber verschone mich mit deinen biederen und gestrigen Parolen über vermeintliche Spießer und angeblich faschistoide Polizisten.«

      »Dich würde ich nicht mal mit der Kneifzange anfassen«, zischte er.

      Ich hob die Brauen und grinste. »Ist das ein Versprechen?« Als in diesem Moment das Glöckchen erklang, fügte ich hinzu: »Und jetzt verpiss dich, du Heiopei.«

      Ha, das tat gut.

      Geh mit Gott, aber geh, dachte ich, und verschwinde rückstandslos aus meinem Leben.

      Ich lernte

Скачать книгу