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Schenkungen aller Art fanden ihren Weg in religiöse sowie wohltätige Einrichtungen. Gute Aussichten für Abraham Babel also nicht nur in diesem, sondern auch für das nächste Leben.

      Fast mühelos wurde er reicher und mächtiger.

      Zum ersten Missklang in dem schönen Lied kam es, als der Sohnemann einen eigenen Willen an den Tag legte und nicht in die Fußspuren seines Vaters treten wollte. Der junge Bursche interessierte sich für die Wissenschaft. Was an und für sich nicht schlimm war, solange er dabei den wichtigsten Daseinsgrund, nämlich die Anhäufung von Geld, nicht aus dem Auge verlor. Joseph Babel sprach jedoch vom Promovieren. Von Ausgrabungen. Von einer wissenschaftlichen Laufbahn.

      Abraham Babel ergriff sofort Maßnahmen und drehte ihm den Geldhahn zu. Dem Jungen musste klarwerden, dass die Zeit des Spiels vorbei war. Entweder er fügte sich den Wünschen seines Vaters, oder er würde keinen Cent des von Babel angehäuften immensen Vermögens mehr zu Gesicht bekommen.

      Das Unglaubliche geschah. Joseph Babel – oder Joe, wie er sich selbst mittlerweile nannte – brauchte kein Vermögen. Ebenso wenig brauchte er die Bräute, die seine Mutter für ihn aussuchte. Er hatte eine Frau kennengelernt, die seine Leidenschaft für Archäologie teilte und sich ebenso wenig wie er vom Geld blenden ließ.

      Abraham Babel regte sich nicht weiter auf. Niemand verschmäht ein Leben voll ungeahntem Luxus, um irgendwo im staubigen Afrika alte Gebeine auszugraben. Er gab seinem Sohn sechs Monate Zeit, um nachzudenken und das Rebellische abzulegen. Derweil war Joe mit seiner frisch gebackenen Braut nach Afrika gezogen, wo er fünfzehn Jahre lang bleiben sollte.

      In all den Jahren hatte es keinen Kontakt zwischen Vater und Sohn gegeben. Sofern es Kontakte zwischen Mutter und Sohn gab, geschah dies ohne Abrahams Mitwissen. Joe Babel bekam eine Tochter, aber auch diese freudige Nachricht vermochte die Mauer des Schweigens zwischen beiden Männern nicht einzureißen.

      Es war der Herzattacke des Vaters zu verdanken, dass sie sich am Krankenbett einer Abteilung wiedertrafen, die Abraham Babel dem Krankenhaus als Schenkung vermacht hatte.

      Der Anblick des Todes tut wundersame Dinge mit einem Mann. Morphium tut noch wundersamere Dinge. Babel verstand gar nicht mehr, warum er diesem fremden, sonnengebräunten Mann, der jetzt mit Tränen in den Augen an seinem Bett stand, so lange böse gewesen war. Er hatte die Hand seines Sohnes schon ergriffen und eine Art von Vergebung gemurmelt, bevor ihm wieder einfiel, dass er keinen Ungehorsam duldete. Aber da war es schon zu spät gewesen. Da hatte seine Frau sich ihrem verlorenen Sohn bereits um den Hals geschlungen. Danach hatten sie alle seine Frau kennengelernt, und fataler als alles Vorangegangene: Dann hatten sie die Perle gesehen, die am Fußende des Bettes stand und alles mit großen Augen in sich aufnahm, ihr ureigenes Enkelkind, die mysteriöse Alice, zu intelligent für ihr Alter, zu fremdartig für ihre Herkunft mit ihren blonden Haaren und blauen Augen und einem Mund wie einer Wüstenrose. Abraham und seine Frau verliebten sich auf der Stelle in sie. Von Abtretung und Abschied konnte keine Rede mehr sein. Nach all den Jahren würden sie ihrem Sohn endlich das geben, was ihm zustand. Ach, natürlich konnte er wieder nach Afrika, wenn er das wirklich wollte. Aber war er es seiner Frau und Tochter nicht schuldig, ihnen das Allerbeste zu geben? Joseph und seine Familie konnten im Babel Tower wohnen. Sie bekamen ein ganzes Stockwerk für sich allein. Sie würden doch noch etwas bleiben? Konnte der Sohn dem Vater, der gerade dem Tod ins Auge geblickt hatte, diesen Wunsch versagen? Doch gewiss nicht.

      Die jungen Babels ließen sich überreden.

      An dem Tag, als Abraham Babel aus dem Krankenhaus entlassen wurde, saßen sie alle zusammen in der riesigen Limousine, die sie zum Babel Tower, jenem Wunder des einundzwanzigsten Jahrhunderts, bringen würde. Endlich, dachte Babel, während er sich an sein schmerzendes Herz fasste, waren sie wieder komplett. War er wieder komplett. Er konnte einfach nicht genug bekommen von den lachenden Gesichtern, den glänzenden Augen seiner Nachkommen. Er trank die Männlichkeit seines Sohnes und die Schönheit seiner Enkelin. Er saugte ihr Leben in sich auf. Sie waren im idealen Augenblick gekommen. Seine Kräfte waren beinahe versiegt, aber sie gaben ihm neue Vitalität. Für seinen Sohn, für Alice würde er den Himmel erobern. Er hatte noch so viele Pläne.

      Sie waren keine drei Straßen mehr vom Turm entfernt – die Limousine brummte ungeduldig im Stau –, als die junge Frau auf sie zukam und Joe trotz des Protests seines Vaters das Fenster herunterließ.

      Anna sah die Bombe an ihrem Körper als Erste und schrie.

      Babel warf sich über Alice.

      Joe verstand noch immer nicht, was Sache war, als die Explosion die Limousine in Stücke zerriss. Kurz darauf fielen die Körperteile aus dem Himmel.

      Joe war tot. Seine Frau war tot. Anna war tot. Alice blieb gelähmt, nachdem sie aus dem Auto geschleudert worden und mit einem Knall auf dem Beton gelandet war. Und Babel, der Mann, der schon sein ganzes Leben lang den Finger Gottes auf sich hatte lasten fühlen, kam mit einigen blauen Flecken und einem zweiten Herzanfall davon.

      Seine Strafe war es, das Attentat überleben und begreifen zu müssen, was er verloren hatte.

      Er zog sich zurück in seinen Turm, legte sich eine kleine Privatarmee zu und verließ kaum mehr seine gesicherte Festung. Der Einsiedler des Turms von Babel war geboren.

       Aus: Babel, ein Traum von Macht, Thomas Rosen & Aziz al-Kashani

      Naomi war unterwegs zu einem weiteren Badezimmer, als sie jemanden schreien hörte. Es kam aus der Schwimmhalle. Sie ließ ihr Putzzeug fallen und rannte durch die Flure. Im Schwimmbecken sah sie zwei Männer im Wasser. Es waren dieselben, die eine halbe Stunde zuvor plötzlich im Schlafzimmer von Alice Babel gestanden hatten. Einer von ihnen schlug wie wild um sich, als würden Elektroschocks seinen Körper durchzucken. Der andere Mann versuchte, ihn über Wasser zu halten. Er war es, der schrie, der Naomi bemerkte und sie anflehte, ihm zu helfen, den Mann an den Rand zu ziehen, bevor es zu spät war. Aber etwas weiter im Becken strampelte Alice Babel. Sie hielt sich noch über Wasser, konnte aber jeden Moment untergehen.

      Naomi sprang in das Becken und schwamm zu dem Mädchen, das in diesem Moment ganz unter Wasser geriet. Alice schlang in Panik beide Arme um Naomis Hals. Es war eine würgende Umarmung, ein totes Gewicht, das sie nach unten zog. Naomi versuchte, sie beide über Wasser zu halten, aber sie sanken, und das Geschrei des Mannes verschwand in der Unterwasserstille.

      Naomi konnte sich nicht von den Armen befreien, wie sehr sie auch zerrte. «Lass los!», rief sie. Ein Vorhang aus Luftblasen schob sich zwischen sie. Sie berührten den Boden. Einen Augenblick lang blieben sie stehen – Partnerinnen in einem zu intimen Tanz. Dann sank Alice in die Knie und zog Naomi noch weiter hinab. Naomi biss so fest sie konnte in den Arm, der sie erstickte. Alice ließ los. Naomi schoss nach oben, brach durch die Wasseroberfläche und schlang die Luft in sich hinein. Das Schwimmbad hallte immer noch von dem Geschrei des Mannes wider. Sie saugte ihre Lungen voll und tauchte wieder hinab. Alice lag auf dem Boden, die Arme ausgestreckt und die Beine gekreuzt, als läge sie auf einer Wiese und würde zum Wolkenhimmel aufschauen. Ihre Augen waren geschlossen.

      Naomi fasste sie bei den Haaren und zerrte sie nach oben. Mit allerletzter Kraft erreichte sie den Rand. Sie schlang ihren Arm um Alices Taille und zog sich Zentimeter für Zentimeter weiter am Rand entlang, bis sie zu der Treppe kam.

      «Leg die Arme um mich», rief sie.

      Aber das Mädchen bewegte sich nicht.

      Naomi schürfte sich die Knie auf, während sie Stufe um Stufe weiterkroch. Sie schleppte Alice weiter, bis sie beide am Rand des Schwimmbeckens lagen. Auf der anderen Seite vollzog sich ein gleichartiges Ringen. Der Mann schrie noch immer um Hilfe, aber Naomi sah nur das kalte, weiße Gesicht von Alice. Atmete sie noch? Sie rappelte sich hoch und beugte sich über sie, aber in diesem Moment flogen die Türen zur Schwimmhalle auf. Vier Wachleute kamen auf sie zu gerannt und schubsten sie unsanft zur Seite.

      Hans kniete neben dem Mädchen und drückte auf ihren Kiefer, bis sich ihr Mund öffnete. Seine nikotingelben Finger verschwanden zwischen ihren Lippen. Ein anderer Wachmann zog Naomi auf die Füße. Noch mehr Leute kamen ins Schwimmbad gerannt und sprachen in unsichtbare Mikrofone. Schon bald war Alice in einer Gruppe breitschultriger

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