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      ELISABETH ORTH

      »AUS EUCH WIRD NIE WAS«

      ELISABETH „AUS EUCH

      ORTH WIRD NIE WAS“

      Erinnerungen. Aufgezeichnet von Norbert Mayer

      MIT 72 ABBILDUNGEN

      AMALTHEA

      Mit freundlicher Unterstützung der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA 7)

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      © 2015 by Amalthea Signum Verlag, Wien

      Alle Rechte vorbehalten

      Umschlaggestaltung: Elisabeth Pirker/OFFBEAT

      Umschlagfotos: © Andreas Rhinky (vorne) © Privatarchiv Elisabeth Orth

      (hinten links: Paula Wessely und Elisabeth Orth; hinten rechts oben: Elisabeth Orth,

      Cornelius Obonya, Hanns Obonya) © Foto Pálffy (hinten rechts unten: Szenenfoto

      »Maria Stuart«, 2001, Burgtheater Wien, mit Nicholas Ofczarek)

      Lektorat: Martin Bruny

      Satz: Gabi Adébisi-Schuster

      Gesetzt aus der Sina Nova 11,2/14,4

      Printed in the EU

      ISBN 978-3-85002-911-7

      eISBN 978-3-902998-82-8

      Für Attila Ruben Obonya

INHALT image

      »Jedermann«, 1990. Salzburger Festspiele (Glaube)

      »Jedermann, hörst mich nit?«

      HUGO VON HOFMANNSTHAL

      VORSPIEL IN SALZBURG

      Am 20. Juli 2013, einem herrlichen Sommertag – früher hätte man wohl Kaiserwetter dazu gesagt –, bin ich am Salzburger Dom vorbeigegangen und habe mit meinem verstorbenen Vater zu reden begonnen. Ich unterhalte mich recht oft in Gedanken mit ihm, und auch mit meinem Mann, Hanns Obonya, der inzwischen schon Jahrzehnte tot ist, und erzähle ihnen Neuigkeiten. Diesmal aber musste ich unbedingt meinem Vater etwas sagen. Ich spürte einen tieferen Grund für dieses Gespräch. So viele Erinnerungen stürzten auf mich ein, dass ich einfach etwas loswerden musste, bei einem Menschen, der mir besonders nah gestanden ist.

      In Salzburg habe ich damals mit meinem Vater Attila Hörbiger geredet, am Domplatz, wissend, dass mein Sohn Cornelius Obonya am Abend dort oben auf der Bühne vor dem Portal stehen wird, um Hugo von Hofmannsthals Protagonisten des »Jedermann« zu geben, im Spiel vom Sterben eines reichen Mannes, wie schon zwei Generationen zuvor mein Vater. Bekannt ist der Spruch des Regisseurs Max Reinhardt: »Der Alexander Moissi ist der Besondermann, der Attila Hörbiger ist der Jedermann.«

      Meine Mutter, mein Vater, mein Mann, meine Schwester und ich – wir alle haben im »Jedermann« in Salzburg gespielt. Und da sollen einem nicht die Erinnerungen aufsteigen beim Überqueren des Domplatzes?

      Die Premiere von Cornelius war umjubelt. Ich konnte mich wirklich von Herzen für meinen Sohn freuen. Er hatte sich ja auf das Wagnis einer Neuinszenierung durch die Regisseure Brian Mertes und Julian Crouch eingelassen. Sie betonten wieder das Mittelalterliche an diesem Mysterienspiel, nachdem in den Jahren zuvor eine Art Volksstück daraus geworden war. Mein Vater aber hatte bei den Salzburger Festspielen noch in der ursprünglichen Inszenierung von Max Reinhardt gespielt, erst von 1935 bis 1937, dann wieder von 1947 bis 1951.

      An eine dieser späten Aufführungen erinnere ich mich noch genau. Mein Vater, bereits in Kostüm und Maske, hatte das Privileg, seine beiden Töchter, die in weiße Faltenröcke und Jäckchen gesteckt worden waren, zur fürsterzbischöflichen Residenz zu führen, wo wir von oben dem »Jedermann« zuschauen durften. Die Fensterbretter für Erzbischöfe waren viel zu hoch für uns Kinder und deshalb sehr intensiv fürs Kinn. Mein Vater verschwand, tauchte unten am Domplatz wieder auf. Wir sahen, wie er, nachdem er ein Kreuz geschlagen hatte, mit fünf Schritten oben war auf der Pawlatschen. Wir waren immer aufgeregt für den Vater. Ich habe bis heute noch Lampenfieber. Aber dann war er ganz der Jedermann.

      Und nun sehe ich mehr als sechs Jahrzehnte später meinen Sohn in dieser Rolle, sehe nicht nur ihn, sondern in manchen Gesten und Mienen meinen Vater wie auch meinen Mann in dem Kind. Mich erkenne ich hingegen kaum, am ehesten noch in der Stimme. Bei Cornelius sehe ich in jedem Auftritt eine unbeschreibliche Mischung zwischen Attila Hörbiger und Hanns Obonya, das geht bis in die Stirnfalten, bis in die Bewegung beim Atemholen, wenn schwierige, lang dauernde klassische Sätze folgen. Die Kopfbewegungen und Haltungen erinnern mich an seinen Vater und Großvater.

      Das Wichtigste bei beiden war der Brustkorb, der musste immer total aufgerichtet sein, darauf legten sie größten Wert. Cornelius hat das in der Natur übernommen, er muss es gar nicht üben, er hat es einfach. Mein Gott, denke ich, wie viele Möglichkeiten des Ausdrucks besitzt dieser Knabe, wie sehr erinnert mich seine Stimme an meine Liebsten.

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      Großvater und Enkel – Cornelius Obonya und Attila Hörbiger

      Die Kritikerin der »Salzburger Nachrichten« schrieb am nächsten Tag über Cornelius: »Seine Stimme ist so füllig und kräftig, dass er mit ihr auch ohne Verstärker den Domplatz füllen könnte. In den folgenden zwei Stunden zieht er alle Register seiner Darstellkunst – von sanft bis tobend, vom schrillen, gicksenden oder grölenden Lachen bis zum reuigen, bitterlichen Weinen. Brillant!«

      Von seinem Großvater hat Cornelius die unbedingte Lust am Spielen, von seinem Vater die rasche Auffassungsgabe. Mein verstorbener Mann war das unbeschreibliche Beispiel dafür, einen Text zu lesen und bereits bei diesem ersten Kennenlernen verinnerlicht zu haben. Er brauchte sich eine Seite nur anzuschauen und hatte sie schon im Kopf, auch noch am nächsten Tag. Darauf konnte man als Kollegin neidisch sein. Meine Mutter, Paula Wessely, hat sich jede Rolle hart erarbeitet, sie ging ganz planmäßig und methodisch vor. Meinem Vater fiel das Textlernen sehr schwer, obwohl er ein schauspielerisches Naturtalent war.

      An diesem Julitag im Jahre 2013 musste ich lange nachdenken über meine Familie, aus der so viele Schauspieler stammen, nun schon längst in vierter Generation, ausgehend von der Verwandten meiner Mutter, Josephine Wessely, die noch zu Kaisers Zeiten im k.u.k Hofburgtheater gespielte hatte und viel zu früh starb. Sie spielte in den 1880er- und 1890er-Jahren klassische Rollen junger Liebhaberinnen: das Gretchen, die Julia, Hero und auch die Jungfrau von Orleans – eine Rolle, die auch ich im Jahrhundert darauf in Deutschland spielen sollte.

      Ich sehe also meinem Sohn zu, vor dem Dom, wie er als Jedermann feiert, in Saus und Braus lebt, wie ihn das Schicksal schlägt und er zur Läuterung kommt. Und plötzlich steht er vor mir, als Gymnasiast in der sechsten Klasse, der mir gesteht, dass er die Schule vorzeitig beenden, jetzt gleich Schauspieler werden wolle. In dieser Situation habe ich genau dieselben bürgerlichen Angstsätze von mir gegeben, die meine Eltern mir drei Jahrzehnte zuvor serviert hatten: »Du weißt aber schon, wie hart das ist?« Man wisse ja nicht einmal, wie das in der Zukunft mit dem Theater sein werde, vielleicht gebe es die Theater gar nicht mehr, wenn er dann dazu bereit sei. Er müsse doch langsam aus der Erfahrung seiner Mutter wissen, wie schwer dieser Beruf sei.

      Cornelius erwiderte ganz ruhig: »Ich habe es schon gemerkt, Mami. Die Matura werde ich nicht schaffen, das hängt an Physik und Mathematik und etwas auch an Chemie. Gib mir in der nächsten Zeit eine gewisse Freiheit.«

      Da dachte ich mir, ich hörte meine eigene Vergangenheit, mit meiner Todesangst vor Physik und Mathematik. Glücklicherweise habe ich nach dieser Eröffnung auch Freunde gefragt, dachte mir, wir leben nicht mehr in den Fünfzigerjahren. Noch während ich vor meinem Sohn Argumente gegen meinen Beruf anführte, merkte ich, was für einen unbeschreiblichen Stuss ich redete – eine alleinerziehende Mutter, die sich Sorgen machte. Sie haben sich dann als

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