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sind, die in den vor­neh­men Pa­ri­ser Spei­se­lo­ka­len die klei­nen Ein­zel­räu­me von­ein­an­der tren­nen. Bei Véry zum Bei­spiel be­fin­det sich mit­ten im großen Saal eine Schei­de­wand, die je nach Be­darf ent­fernt und wie­der ein­ge­setzt wer­den kann. Nicht hier war der Schau­platz des­sen, was ich be­rich­ten will, son­dern an ei­nem an­dern schö­nen Ort, den ich je­doch nicht nen­nen mag. Wir wa­ren zu zweit, und ich sage da­her mit Hen­ry Mon­niers Prud­hom­me: ›Ich möch­te sie nicht kom­pro­mit­tie­ren.‹ In so ei­nem be­hag­li­chen klei­nen Sa­lon sa­ßen wir und lie­ßen uns die präch­ti­gen Le­cke­rei­en ei­nes vor­züg­li­chen Mah­les schme­cken, wo­bei wir uns, da wir uns über die ge­rin­ge Stär­ke der Wän­de ver­ge­wis­sert hat­ten, nur mit lei­ser Stim­me un­ter­hiel­ten. Schon wa­ren wir beim Bra­ten an­ge­langt, und noch im­mer war das Nach­bar­zim­mer leer, nur das Knis­tern des Ka­min­feu­ers drang zu uns her­über. Als es aber acht Uhr schlug, wur­de es drü­ben laut; man hör­te spre­chen und Füße schar­ren; die Kell­ner schie­nen Ker­zen her­bei­ge­bracht zu ha­ben, und es war klar: der Sa­lon ne­ben­an war be­setzt wor­den. Als ich die Stim­men ver­nahm, er­kann­te ich, mit wel­chen Leu­ten wir es zu tun hat­ten. Es wa­ren vier der kecks­ten Kor­mo­ra­ne, die sich je auf den ewig wech­seln­den Flu­ten der Ge­gen­wart ge­schau­kelt, lie­bens­wür­di­ge jun­ge Leu­te, de­ren Le­bens­weg recht un­ge­wiß, de­ren Ver­mö­gen und Be­sitz­tum man nicht kennt, und die sich den­noch nichts ab­ge­hen las­sen. Die­se geis­ti­gen Kon­dot­tie­ri des heu­ti­gen Kamp­fes ums Da­sein, der grau­sa­mer ist als alle an­dern Krie­ge, über­las­sen die Sor­gen ih­ren Gläu­bi­gern, be­hal­ten für sich das Ver­gnü­gen und küm­mern sich um nichts als ihre Klei­dung. Üb­ri­gens sind sie tap­fer ge­nug, wie Jean Bart auf ei­nem Pul­ver­faß ihre Zi­gar­re zu rau­chen – viel­leicht al­ler­dings nur, um nicht aus der Rol­le zu fal­len. Sie sind spöt­ti­scher als die bos­haf­tes­te klei­ne Ta­ges­zei­tung: Spöt­ter, die sich selbst ver­spot­ten! Ungläu­big und scharf­sin­nig, ver­ste­hen sie sich dar­auf, stets et­was Ge­winn­brin­gen­des auf­zu­spü­ren, sind be­gehr­lich und ver­schwen­de­risch, nei­disch auf an­de­re, aber mit sich zu­frie­den; au­gen­schein­lich große Po­li­ti­ker, die al­les zer­glie­dern, al­les er­ra­ten, ist es ih­nen doch noch nicht ge­lun­gen, sich einen Weg in jene Welt zu bah­nen, in der sie zu glän­zen be­ab­sich­ti­gen. Ein ein­zi­ger von den vie­ren hat sich em­por­ge­schwun­gen, aber nur bis an den Fuß der Lei­ter. Bei sol­chem Hin­auf­kom­men ist Geld das we­nigs­te, und so ein Stre­ber weiß erst nach sechs Mo­na­ten der Krie­che­rei und Spei­chel­le­cke­rei, was al­les ihm zum Wei­ter­kom­men fehlt. Je­ner eine Em­por­kömm­ling, na­mens An­do­che Fi­not, brach­te es fer­tig, vor de­nen, die ihm nütz­lich sein konn­ten, auf dem Bauch zu lie­gen und zu de­nen, die er nicht mehr nö­tig hat­te, un­ver­schämt zu sein. Ähn­lich den Gro­teskge­stal­ten im Bal­lett von Gu­sta­ve ist er Mar­quis von hin­ten und Schur­ke von vorn. Die­ser Ge­schäftsprä­lat hat einen Schlep­pen­trä­ger: Emi­le Blon­det, Zei­tungs­re­dak­teur, ein Mann von Geist, doch flat­ter­haft, be­gabt und faul, kurz, ein Blen­der. Er läßt sich ge­hen und läßt sich aus­nut­zen, ist bald nichts­wür­dig, bald red­lich – aus Lau­ne; ein Mann, den man gern hat, aber nicht ach­ten kann. Zier­lich und an­schmie­gend wie eine Tän­ze­rin, ist Emi­le un­fä­hig, sei­ne Fe­der oder sein Herz dem zu ver­wei­gern, der eins von bei­den er­bä­te; er ist der be­zau­b­erns­te je­ner Weib­män­ner, von de­nen ein geist­vol­ler und phan­tas­ti­scher Kopf ge­sagt hat: ›Ich lie­be sie mehr in Sei­den­schu­hen als in Stie­feln.‹ Der drit­te, Cou­ture, lebt von der Spe­ku­la­ti­on. Er pfropft Ge­schäft auf Ge­schäft, der Er­folg des einen deckt den Mi­ßer­folg des an­dern; er lebt von heu­te auf mor­gen, vom Spiel oder ir­gend­ei­nem ge­schäft­li­chen Ge­walt­streich; er schwimmt hier­hin und dort­hin, um im end­lo­sen Meer der Pa­ri­ser Ge­schäfts­welt eine In­sel zu fin­den, um­strit­ten ge­nug, um es wa­gen zu kön­nen, von ihr Be­sitz zu er­grei­fen. Au­gen­schein­lich hat er sei­nen rech­ten Platz noch nicht ge­fun­den. Was den letz­ten, den bos­haf­tes­ten der vier, an­langt, so ge­nügt sein Name: Bi­xiou! Ach, es ist nicht mehr der Bi­xiou von 1825, son­dern je­ner von 1836, der men­schen­feind­li­che Spaß­ma­cher voll Be­geis­te­rung und Bos­heit; ein Teu­fel, voll Wut, sich un­wür­dig ver­schwen­det zu ha­ben, voll Wut, aus der letz­ten Re­vo­lu­ti­on ohne Beu­te her­vor­ge­gan­gen zu sein; ein wah­rer ›Pier­rot des Fu­n­am­bu­les‹, der sei­ne Zeit und ihre Skan­dal­ge­schich­ten wie kein zwei­ter kennt und sie mit spa­ßi­gen Ein­fäl­len aus­schmückt; ein Clown, der den an­dern auf die Schul­tern springt, um ih­nen ein Hen­kers­zei­chen zu hin­ter­las­sen.

      Der ers­te Hun­ger schi­en ge­stillt, und un­se­re Nach­barn ge­lang­ten in ih­rer Mahl­zeit gleich uns zum Des­sert; dank un­sers ru­hi­gen Ver­hal­tens glaub­ten sie sich al­lein. Bei Cham­pa­gner, Zi­gar­ren und ga­stro­no­mi­schen Genüs­sen ent­spann sich als­bald eine ver­trau­li­che Un­ter­hal­tung. Die­ses Ge­spräch, das kalt und geist­voll jede Ge­fühls­re­gung un­ter­drück­te und dem Ge­läch­ter einen schril­len Ton her­ber Iro­nie bei­meng­te, ge­fiel sich in An­kla­gen ge­gen alle, de­ren Le­ben dem Ei­gen­nutz ge­dient. Je­nes Pam­phlet, das Di­de­rot nicht zu ver­öf­fent­li­chen wag­te, ›Ra­me­aus Nef­fe‹, ein­zig die­ses Buch, das nur ge­schrie­ben wur­de, um Wun­den zu ent­blö­ßen, kann zum Ver­gleich mit die­ser rück­sichts­lo­sen Rede her­an­ge­zo­gen wer­den, die ich er­lausch­te. Es war eine Rede, bei der das Wort nicht ein­mal das ver­schon­te, was der Ge­dan­ke noch in Zwei­fel zog; sie bau­te auf Trüm­mern Be­wei­se auf, ver­nein­te al­les und be­wun­der­te nur das, was der Skep­ti­zis­mus an­er­kennt: des Gol­des All­wis­sen­heit und All­macht. Nach­dem die üble Nach­re­de zu­nächst den wei­te­ren Be­kann­ten­kreis an­ge­grif­fen, be­gann sie die na­hen Freun­de aufs Korn zu neh­men. Eine Hand­be­we­gung von mir ge­nüg­te zum Zei­chen, daß ich noch zu blei­ben ver­lang­te, denn Bi­xiou er­griff das Wort. Wir hör­ten nun eine je­ner bos­haf­ten Im­pro­vi­sa­tio­nen, die die­sem Künst­ler sei­nen Ruf als über­le­ge­nen Geist ver­schaff­ten. Trotz­dem der Vor­trag oft un­ter­bro­chen, fal­len ge­las­sen und wie­der auf­ge­nom­men wur­de, hat mein Ge­dächt­nis ihn fest­ge­hal­ten. Ich gebe hier in In­halt und Form ge­nau wie­der, was ich hör­te; mag es auch li­te­ra­ri­schen An­for­de­run­gen nicht ge­nü­gen, so gibt die­ses Pot­pour­ri doch ein ge­treu­es Bild der dunklen Far­ben un­se­rer Zeit, und die Verant­wort­lich­keit muß ich dem Red­ner selbst zu­schie­ben. Mie­nen­spiel und Ges­ten schie­nen präch­tig mit dem je­wei­li­gen Ton­fall über­ein­zu­stim­men, mit dem Bi­xiou die vor­ge­führ­ten Per­so­nen zeich­ne­te, denn sei­ne drei Zu­hö­rer lie­ßen des öf­te­ren Bei­falls­ru­fe er­tö­nen.

      »Und Ras­ti­gnac hat dich zu­rück­ge­wie­sen?« sag­te Blon­det zu Fi­not. »Glatt.«

      »Hast du ihm auch mit den Zei­tun­gen ge­droht?« frag­te Bi­xiou. »Er hat ge­lacht,« er­wi­der­te Fi­not. »Ras­ti­gnac ist der di­rek­te Erbe des se­li­gen de Mar­say, er wird po­li­tisch wie ge­sell­schaft­lich sei­nen Weg ma­chen,« sag­te Blon­det. »Doch wie ist er zu sei­nem Ver­mö­gen ge­kom­men?« frag­te Cou­ture. »1819 war er noch, ge­mein­sam mit dem be­rühm­ten Bian­chon, in ei­ner elen­den Pen­si­on des Quar­tier la­tin; sei­ne Fa­mi­lie nähr­te sich von ge­rös­te­ten Mai­kä­fern und trank bil­li­gen Land­wein, um ihm hun­dert Fran­ken im Mo­nat sen­den zu kön­nen; das Gut sei­nes Va­ters war kei­ne tau­send Ta­ler wert; über­dies hat­te er noch zwei Schwes­tern und einen Bru­der, und jetzt …«

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