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Le­der! Ein vor­treff­li­ches Pflas­ter, ich kann die Hüh­ne­rau­gen mit ihm weg­brin­gen. Hast du Hüh­ne­rau­gen? Ich ent­fer­ne sie dir.«

      »Ich habe dich nie so al­bern ge­se­hen.«

      »Al­bern, Freund­chen? Nein. Die­ses Le­der wird klei­ner, wenn ich einen Wunsch habe … das ist eine An­ti­no­mie. Der Brah­ma­ne – es steckt ein Brah­ma­ne da­hin­ter! –, der war doch ein rech­ter Spaß­vo­gel, denn siehst du, die Wün­sche, die müs­sen doch grö­ßer ma­chen …«

      »Na­tür­lich, ver­steht sich.«

      »Ich sage dir …«

      »Ja ge­wiß, sehr rich­tig, du hast ganz recht. Der Wunsch macht grö­ßer …«

      »Ich sage, das Le­der …«

      »Ja, ge­wiß.«

      »Du glaubst mir nicht. Ich ken­ne dich, al­ter Freund, du lügst wie ein neu­ge­ba­cke­ner Kö­nig.«

      »Ja, ver­langst du denn, ich soll den Un­sinn, den du im Rau­sche da­her­schwatzt, für bare Mün­ze neh­men?«

      »Was gilt die Wet­te? Ich kann es dir be­wei­sen. Neh­men wir das Maß …«

      »Oh je, wenn er doch schla­fen woll­te!« rief Émi­le, als er sah, wie Ra­pha­el im Spei­se­saal hin und her such­te.

      Dank der selt­sa­men Hell­sicht, die bei Trun­ke­nen manch­mal auf­tritt und die et­was ganz an­de­res ist als die stump­fen Vi­sio­nen des Rau­sches, ge­lang es Va­len­tin mit af­fen­ar­ti­ger Be­hen­dig­keit, ein Schreib­zeug und eine Ser­vi­et­te zu be­schaf­fen, wo­bei er un­un­ter­bro­chen wie­der­hol­te: »Wir wol­len Maß neh­men! Wir wol­len Maß neh­men!«

      »Schön«, sag­te Émi­le, »wir wol­len Maß neh­men!«

      Die bei­den Freun­de ent­fal­te­ten die Ser­vi­et­te und leg­ten das Cha­grin­le­der dar­auf. Émi­le, des­sen Hand si­che­rer schi­en als die Ra­phaels, zog mit der Fe­der die Kon­tu­ren des Ta­lis­mans nach, wäh­rend sein Freund zu ihm sag­te:

      »Ich habe mir 200 000 Li­vres Ren­te ge­wünscht, nicht wahr? Wenn ich sie be­kom­me, dann wirst du se­hen, wie mein Le­der klei­ner ge­wor­den ist.«

      »Ja. Schlaf jetzt. Soll ich dich auf das Sofa le­gen? Liegst du gut?«

      »Ja­wohl, du Pres­se­ba­by! Du sollst mein Spaß­ma­cher wer­den, du sollst mir die Flie­gen weg­ja­gen. Der Freund im Un­glück hat ein Recht, der Freund der Mäch­ti­gen zu wer­den. Und ich wer­de dir – gar – ren, Ha – van …«

      »Nun, nun, schlaf nur dein Rausch­gold aus, Mil­lio­när!«

      »Und du dei­ne Ar­ti­kel. Gute Nacht! Willst du wohl Ne­bu­kad­ne­zar gute Nacht sa­gen! Lie­be! Zu trin­ken! Frank­reich … Ruhm und reich … reich …«

      Bald ver­ei­nig­te sich das Schnar­chen der bei­den Freun­de mit der Mu­sik, die aus den Sa­lons er­scholl. Ein Kon­zert, das nie­mand hör­te! Die Ker­zen er­lo­schen eine nach der an­de­ren und zer­spreng­ten ihre kris­tal­le­nen Man­schet­ten. Die Nacht hüll­te ih­ren Schlei­er über die­se end­lo­se Or­gie, in der Ra­phaels Er­zäh­lung wie eine Or­gie von Wor­ten ge­we­sen war, von Wor­ten ohne Ide­en, und von Ide­en, de­nen oft der rech­te Aus­druck fehl­te.

      Am nächs­ten Tag ge­gen Mit­tag stand die schö­ne Aqui­li­na gäh­nend und müde auf; die Wan­gen vom Ab­druck der Samt­pols­ter mar­mo­riert, auf de­nen ihr Kopf ge­le­gen hat­te. Eu­phra­sie, die von den Be­we­gun­gen ih­rer Ge­fähr­tin ge­weckt wur­de, fuhr mit ei­nem hei­se­ren Schrei auf; ihr hüb­sches Ge­sicht, das am Abend zu­vor so frisch und weiß ge­we­sen, war gelb und fahl wie das ei­ner Dir­ne, die ins Spi­tal muß. All­mäh­lich reg­ten sich auch die an­de­ren Gäs­te un­ter dump­fen Seuf­zern, ihre Arme und Bei­ne wa­ren steif, tau­send Pla­gen drück­ten sie beim Er­wa­chen nie­der. Ein Die­ner zog die Gar­di­nen hoch und öff­ne­te die Fens­ter der Sa­lons. Die Ge­sell­schaft fand sich wie­der auf den Bei­nen, die war­men Son­nen­strah­len, die auf die Ge­sich­ter der Schlä­fer fie­len, be­leb­ten sie. Der un­ru­hi­ge Schlaf hat­te die ele­gan­ten Fri­su­ren zer­stört und die Klei­der zer­knit­tert, so bo­ten die Frau­en im hel­len Ta­ges­licht einen ab­sto­ßen­den An­blick: ihre Haa­re hin­gen wirr her­un­ter, der Aus­druck ih­rer Züge hat­te sich ver­än­dert, ihre strah­len­den Au­gen wa­ren vor Über­mü­dung trü­be ge­wor­den. Die gel­be Haut, die bei Ker­zen­schein schim­mer­te, war ab­scheu­er­re­gend; die blut­lee­ren Ge­sich­ter, so zart und weich, als sie aus­ge­ruht wa­ren, sa­hen nun grün aus; die sonst lieb­li­chen ro­ten Mün­der wa­ren jetzt tro­cken und blaß und wie­sen die schmäh­li­chen Spu­ren der Trun­ken­heit auf. Die Män­ner wi­chen vor den nächt­li­chen Ge­lieb­ten zu­rück, die sie so al­len Glan­zes le­dig sa­hen, lei­chen­haft, gleich zer­tre­te­nen Blu­men, die nach ei­ner Pro­zes­si­on auf der Stra­ße lie­gen. Die­se hoch­mü­ti­gen Män­ner je­doch wa­ren noch schreck­li­cher an­zu­se­hen. Die­se mensch­li­chen Ge­sich­ter hät­ten sie zu­rück­schau­dern las­sen mit ih­ren hoh­len schwarz um­rän­der­ten Au­gen, die vom Wein um­ne­belt und durch einen üb­len Schlaf, der mehr er­mü­dend als er­fri­schend war, ge­trübt, nichts wahr­zu­neh­men schie­nen. Die­se über­näch­tig­ten Ge­sich­ter, auf de­nen die phy­si­schen Trie­be nackt zu­ta­ge tra­ten, ohne die Poe­sie, mit der un­se­re See­le sie schmückt, hat­ten et­was grau­en­haft Wil­des und Bes­tia­li­sches an sich. Die­ses Er­wa­chen des hül­len­lo­sen un­ge­schmink­ten Las­ters, die­ses ent­blö­ßten, kal­ten, hoh­len Ge­rip­pes des Bö­sen, das, der So­phis­men des Geis­tes oder der Ver­zau­be­run­gen des Lu­xus be­raubt, die­se un­ver­zag­ten Strei­ter ent­setz­te, so sehr sie auch den Kampf mit der Aus­schwei­fung ge­wöhnt wa­ren. Künst­ler und Kur­ti­sa­nen blie­ben stumm und sa­hen ver­stört auf die Un­ord­nung in den Räu­men, wo das Feu­er der Lei­den­schaft al­les ver­heert und ver­wüs­tet hat­te. Ein in­fer­na­li­sches Ge­läch­ter er­hob sich mit ei­nem Male, als Tail­le­fer auf das dump­fe Rö­cheln sei­ner Gäs­te hin sich zur Be­grü­ßung eine Gri­mas­se ab­quä­len woll­te; sein rot auf­ge­dun­se­nes, vor Schweiß trie­fen­des Ge­sicht ließ über die­ser höl­li­schen Sze­ne das Bild des Ver­bre­chens ohne Reue schwe­ben. Die Sze­ne­rie war voll­stän­dig. Das war schmut­zi­ge Voll­kom­men­heit mit­ten im Lu­xus, eine grau­si­ge Mi­schung aus mensch­li­chem Glanz und Elend, das Er­wa­chen der Aus­schwei­fung, wenn sie mit ih­ren star­ken Hän­den alle Früch­te des Le­bens aus­ge­preßt hat und nichts um sich läßt als schmach­vol­le Trüm­mer und Lü­gen, an die sie nicht mehr glaubt. Das Bild er­in­ner­te an den grin­sen­den Tod mit­ten in ei­ner pest­kran­ken Fa­mi­lie: kei­ne be­täu­ben­den Düf­te und Lich­ter mehr; kei­ne Hei­ter­keit und kein Ver­lan­gen; da­für der Über­druß mit sei­nen eklen Gerü­chen und sei­ner ät­zen­den Phi­lo­so­phie; die Son­ne, strah­lend hell wie die Wahr­heit, eine Luft, rein wie die Tu­gend, im Ge­gen­satz zu der schwü­len At­mo­sphä­re, die mit wid­ri­gen Düns­ten, mit dem Pest­hauch ei­ner Or­gie ge­schwän­gert war! Das eine oder an­de­re Mäd­chen, ob­wohl sie das Las­ter ge­wohnt wa­ren, dach­te wohl an ihr Er­wa­chen von ehe­mals, wo sie un­schul­dig und rein durch ihre länd­li­chen Fens­ter, an de­nen Geiß­blatt und Ro­sen rank­ten, eine mor­gen­fri­sche Land­schaft im tau­schim­mern­den Dunst­kleid der auf­ge­hen­den Son­ne schau­ten, die das freu­di­ge Schmet­tern der Ler­che ver­zau­ber­te. An­de­re mal­ten sich das Früh­stück in der Fa­mi­lie aus, den Tisch, um den in un­schul­di­ger Freu­de

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