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doch nichts tun, der Tag ist ver­lo­ren; ich mei­ne, wir set­zen uns zum Früh­stück.«

      Nach die­sen Wor­ten ging Tail­le­fer hin­aus, um das Nö­ti­ge an­zu­ord­nen. Müde und miß­mu­tig brach­ten die Frau­en vor den Spie­geln ihre Toi­let­ten in Ord­nung. Alle schüt­tel­ten sich. Die Ver­derb­tes­ten pre­dig­ten den Maß­volls­ten Moral. Die Kur­ti­sa­nen spöt­tel­ten über jene, die nicht die Kraft zu fin­den schie­nen, die­ses wil­de Ge­la­ge fort­zu­set­zen. Nach ei­ner Wei­le kam neu­es Le­ben in die­se Ge­s­pens­ter, sie bil­de­ten Grup­pen, plau­der­ten und lach­ten. Ei­ni­ge Be­dien­te stell­ten ge­schickt und flink die Mö­bel und üb­ri­gen Din­ge wie­der auf ih­ren Platz. Ein üp­pi­ges Früh­stück wur­de auf­ge­tra­gen. Die Ge­sell­schaft stürz­te in den Spei­se­saal. Wenn­gleich auch dort al­les den un­tilg­ba­ren Stem­pel der nächt­li­chen Aus­schwei­fun­gen trug, gab es dar­in doch we­nigs­tens noch eine Spur von Le­ben und Den­ken, wie in den letz­ten Zu­ckun­gen ei­nes Ster­ben­den. Wie bei dem Fast­nachts­zug wur­de die Sa­tur­na­lie von Mas­ken be­er­digt, die, ih­rer Tän­ze müde, ih­ren Rausch satt hat­ten und nun al­les Ver­gnü­gen fad fan­den, um sich die ei­ge­ne Ohn­macht nicht ein­ge­ste­hen zu müs­sen. In dem Au­gen­blick, wo die­se un­ver­zag­te Ge­sell­schaft sich um die Ta­fel des Ka­pi­ta­lis­ten schar­te, tauch­te das sanft lä­cheln­de Be­am­ten­ge­sicht Car­dots auf, der sich am Abend vor­her klüg­lich nach dem Di­ner ver­drückt hat­te, um sei­ne Or­gie im Ehe­bett zu be­schlie­ßen. Er mach­te eine wich­ti­ge Mie­ne. Er schi­en ge­ahnt zu ha­ben, daß es eine Nach­fol­ge, einen Nach­laß zu tei­len, zu in­ven­ta­ri­sie­ren, ur­kund­lich fest­zu­hal­ten gäl­te, einen Nach­laß mit vie­len Ak­ten­stücken und fet­ten Ho­no­ra­ren, so saf­tig wie das zit­tern­de Fi­let, in das der Gast­ge­ber ge­ra­de sein Mes­ser stach.

      »Oh, oh! wir sol­len im Bei­sein des No­tars früh­stücken!« rief Mon­sieur de Cur­sy.

      »Sie kom­men ge­ra­de zu­recht, um all die­se Stücke zu ru­bri­zie­ren und zu pa­ra­gra­phie­ren«, sag­te der Ban­kier zu ihm und wies auf das präch­ti­ge Früh­stück.

      »Es ist kein Te­sta­ment zu ma­chen, aber viel­leicht Ehe­ver­trä­ge«, mein­te der Ge­lehr­te, der seit ei­nem Jahr glück­lich ver­hei­ra­tet war.

      »Oho!«

      »Aha!«

      »Ei­nen Au­gen­blick«, er­wi­der­te Car­dot, den ein gan­zer Chor von schlech­ten Wit­zen nie­der­schrie, »ich kom­me in ei­ner erns­ten Sa­che. Ich brin­ge ei­nem von Ih­nen sechs Mil­lio­nen.« (Tie­fes Schwei­gen). »Mon­sieur«, wand­te er sich an Ra­pha­el, der eben da­mit be­schäf­tigt war, sich ohne viel Um­stän­de mit ei­nem Zip­fel sei­ner Ser­vi­et­te die Au­gen aus­zu­wi­schen, »war Ihre Frau Mut­ter nicht eine ge­bo­re­ne O’Fla­har­ty?«

      »Ja­wohl«, ant­wor­te­te Ra­pha­el me­cha­nisch, »Bar­be-Ma­rie.«

      »Ha­ben Sie«, fuhr Car­dot fort, »Ihren Ge­burts­schein und den der Ma­da­me de Va­len­tin bei sich?«

      »Ich glau­be.«

      »Also, Mon­sieur, Sie sind der ein­zi­ge und aus­schließ­li­che Erbe des Ma­jors O’Fla­har­ty, der im Au­gust 1828 in Kal­kut­ta ge­stor­ben ist.«

      »Das ist ja ein Ver­mö­gen, das nicht zu ›kal­kut­tie­ren‹ ist!« rief der Nörg­ler.

      »Der Ma­jor hat­te tes­ta­men­ta­risch meh­re­re Le­ga­te für öf­fent­li­che An­stal­ten aus­ge­setzt, und nun hat die fran­zö­si­sche Re­gie­rung bei der In­di­schen Han­dels­ge­sell­schaft den Nach­laß ein­ge­for­dert«, fuhr der No­tar fort; »die Erb­schaft ist in die­sem Au­gen­blick flüs­sig und kann an­ge­tre­ten wer­den. Seit vier­zehn Ta­gen such­te ich ver­ge­bens die Rechts­nach­fol­ger der De­moi­sel­le Bar­be-Ma­rie O’Fla­har­ty, bis ges­tern bei Tisch …«

      In die­sem Au­gen­blick sprang Ra­pha­el plötz­lich mit ei­ner hef­ti­gen Be­we­gung auf wie je­mand, der eine Wun­de emp­fängt. Es ging wie ein schwei­gen­der Zu­ruf durch den Raum; die ers­te Re­gung der Gäs­te wur­de von dump­fem Neid dik­tiert; alle Bli­cke rich­te­ten sich wie ste­chen­de Flam­men auf ihn. Dann be­gann ein Mur­meln, ähn­lich dem Mur­ren ei­nes un­zu­frie­de­nen Thea­ter­pu­bli­kums; eine re­bel­li­sche Stim­mung kam auf und wuchs, und je­der sag­te ein Wört­chen, mit dem er das un­ge­heu­re Ver­mö­gen, das der No­tar ge­bracht hat­te, be­grüß­te. Ra­pha­el, durch den promp­ten Ge­hor­sam des Schick­sals wie­der völ­lig bei Sin­nen, leg­te so­fort die Ser­vi­et­te auf den Tisch, an der er vor we­ni­gen Stun­den das Cha­grin­le­der ge­mes­sen hat­te. Er hör­te auf kei­ne der Be­mer­kun­gen, leg­te den Ta­lis­man dar­auf, und ein Schau­der über­lief ihn, denn er be­merk­te zwi­schen der auf das Lei­nen ge­zo­ge­nen Kon­tur und der des Le­ders einen klei­nen Ab­stand.

      »Nun, was hat er denn?« rief Tail­le­fer, »er ist wohl­feil zu sei­nem Ver­mö­gen ge­kom­men.«

      »Steh ihm bei, Châtil­lon!« zi­tier­te Bi­xiou, zu Émi­le ge­wandt, »die Freu­de wird ihn tö­ten!«

      Eine furcht­ba­re Bläs­se ließ je­den Mus­kel in dem wel­ken Ge­sicht die­ses Er­ben her­vor­tre­ten, sei­ne Züge ver­krampf­ten sich, die vor­sprin­gen­den Par­ti­en sei­nes Ge­sich­tes wur­den krei­de­bleich, die Höh­lun­gen tief­schwarz, eine fah­le Mas­ke, die Au­gen starr­ten. Er sah den TOD. Die­ser üp­pi­ge Ban­kier im Krei­se der ver­welk­ten Kur­ti­sa­nen, die­se über­sät­tig­ten Ge­sich­ter, die­ser To­des­kampf des Ge­nus­ses wa­ren ein leib­haf­tes Ab­bild sei­nes Le­bens. Drei­mal sah Ra­pha­el sei­nen Ta­lis­man an, der zwi­schen den un­barm­her­zi­gen Li­ni­en auf der Ser­vi­et­te Spiel­raum hat­te, er ver­such­te zu zwei­feln, aber ein kla­res Vor­ge­fühl mach­te sei­nen Un­glau­ben zu­nich­te. Die Welt ge­hör­te ihm, er konn­te al­les und woll­te nichts mehr. Wie ein Rei­sen­der in der Wüs­te hat­te er ein klei­nes Quan­tum Was­ser ge­gen den Durst und muß­te sein Le­ben nach der Zahl der Schlu­cke be­mes­sen. Er sah, daß je­der Wunsch ihm Tage sei­nes Le­bens kos­ten wür­de. Nun glaub­te er an das Cha­grin­le­der, er lausch­te auf sei­nen Atem, fühl­te sich schon krank, frag­te sich: »Bin ich nicht schwind­süch­tig? Ist nicht mei­ne Mut­ter an ei­nem Lun­gen­lei­den ge­stor­ben?«

      »Oh, Ra­pha­el«, rief Aqui­li­na, »jetzt wer­den Sie in Saus und Braus le­ben! Was schen­ken Sie mir?«

      »Trin­ken wir auf den Tod sei­nes On­kels, des Ma­jors O’Fla­har­ty! Das war ein Mann!«

      »Er wird Pair von Frank­reich wer­den.«

      »Bah! was ist nach der Ju­li­re­vo­lu­ti­on ein Pair von Frank­reich!« mein­te der Nörg­ler.

      »Wirst du dir eine Loge in den Bouf­fons neh­men?«

      »Ich hof­fe, Sie wer­den uns alle frei­hal­ten!« sag­te Bi­xiou.

      »Ein Mann wie er wird al­les in großem Stil er­le­di­gen«, mein­te Émi­le.

      Das Hur­ra die­ser la­chen­den Ge­sell­schaft scholl Va­len­tin in den Ohren, ohne daß er den Sinn ei­nes ein­zi­gen Wor­tes zu fas­sen ver­moch­te; un­be­stimmt ge­dach­te er des ein­tö­ni­gen, wunsch­lo­sen Le­bens ei­nes bre­to­ni­schen Bau­ern, der eine Her­de Kin­der hat, sein Feld be­stellt, Buch­wei­zen ißt, Ap­fel­wein aus dem Krug trinkt, an die Jung­frau Ma­ria und den Kö­nig glaubt, am Os­ter­fest zur hei­li­gen

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