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der Stücke häufig keine Rücksicht auf ihre kirchliche Verwendbarkeit mehr nahm, sondern ohne weiteres rein weltliche, ursprünglich für Tafel und Akademien bestimmte Kompositionen, wie z.B. Haydnsche Sinfoniesätze, in die Messe verpflanzte.

      Alles in allem war es der uns von der Oper her wohlbekannte Geist, der hier wie dort mehr und mehr das unbeschränkte Vorrecht des Sinnlichen vor dem Geistigen verkündete25. Dem kirchlichen Charakter geschah dadurch, zumal in den Messen, schwerer Abbruch, aber auch Volkstümlichkeit und Gemeinverständlichkeit sanken oft bis unter die Grenze des Seichten und Trivialen herab.

      Den besseren unter den Komponisten ist dieses Übel wohl zum Bewußtsein gekommen. Noch aus Mozarts Zeit ist abermals der Name Padre Martinis zu nennen, der in seinem Lehren und Schaffen unermüdlich auf die klassische Zeit der italienischen Kirchenmusik hinwies. Aber er und seinesgleichen vermochten gegen die allgemeine Strömung nicht viel auszurichten, zumal als sich ihr J.A. Hasse selbst anschloß. Auch in Deutschland bürgerte sich der neapolitanische Typus bald ein, jedoch ebenfalls nicht ohne zum Teil sehr bedeutende Gegenströmungen hervorzurufen. Die wichtigste davon ging von J.J. Fux in Wien aus, der in seinen Messen mit aller Energie eine Wiedergeburt der Kunst Palestrinas und der Niederländer in modernem Geiste anstrebte, ein merkwürdiger Zeuge praktischer, geschichtlicher Bestrebungen in diesem sonst gemeinhin als unhistorisch verschrieenen Jahrhundert. Ein dauernder Erfolg blieb freilich auch ihm versagt; schon unter dem jüngeren Reutter segelt auch die Wiener Messe wieder vollständig im neapolitanischen Fahrwasser. Auch in Salzburg hielt sich eine bessere Tradition lebendig. Für die Einweihung des Domes am 24. September 1628 hatte Orazio Benevoli (1602–1672) seine berühmte 53stimmige Messe geschrieben (in Wirklichkeit umfaßt sie zwei achtstimmige Chöre mit ihren Orchestern), ein Werk, das bei aller Neuheit der Klangkombinationen doch den kirchlichen Charakter wahrt26. Auch später gingen mit der sorgfältigeren Pflege des Chores wertvollere künstlerische Leistungen Hand in Hand. Die Belege dafür liefern sowohl E. Eberlins als M. Haydns Messen. Auch in Mozarts beiden ersten Messen ist dieser alte Sondergeist noch am Werke27. Über die örtlichen Verhältnisse Salzburgs zu Mozarts Zeiten aber berichtet dieser selbst in einem am 4. September 1776 an Padre Martini gerichteten Briefe, der auch für die Beurteilung seiner eigenen Kirchenmusik von Wert ist28:

       Ich lebe hier in einem Land, wo die Musik sehr wenig Glück macht, obgleich daselbst, auch nachdem einige fortgegangen sind, noch sehr tüchtige Musiker, und besonders tüchtige Komponisten von gründlichem Wissen und Geschmack sind. Mit dem Theater sind wir aus Mangel an Sängern übel daran; wir haben keine Kastraten und werden deren schwerlich haben, denn sie wollen gut bezahlt sein, und Freigebigkeit ist nicht unser Fehler. Ich unterhalte mich indes damit, daß ich für die Kammer und die Kirche schreibe, und es sind hier noch zwei sehr tüchtige Kontrapunktiker, Haydn und Adlgasser. Mein Vater ist Kapellmeister an der Metropolitankirche, wodurch ich Gelegenheit habe, für die Kirche zu schreiben, so viel ich will. Übrigens da mein Vater schon 36 Jahre im Dienst dieses Hofes ist und weiß, daß der Erzbischof Leute von vorgerücktem Alter nicht gern sieht, so nimmt er sich der Sache nicht allzusehr an und hat sich der Literatur zugewendet, die schon ohnedies sein Lieblingsstudium war. Unsere Kirchenmusik ist sehr verschieden von der in Italien und wird es immer mehr. Eine Messe mit dem Kyrie, Gloria, Credo, der Sonata zur Epistel, dem Offertorium oder Mottetto, Sanctus und Agnus Dei, auch die feierlichste, wenn der Erzbischof selbst das Hochamt hält, darf nicht länger dauern, als höchstens drei Viertelstunden. Diese Art von Kompositionen verlangt ein eigenes Studium. Und dabei muß es eine Messe mit allen Instrumenten, Trompeten und Pauken usw. sein. Ach, wären wir nicht so entfernt voneinander, wie viel hätte ich Ihnen noch zu sagen!

      Von Mozarts Anschluß an den Typus Hasses war bereits die Rede. Nur noch ein paar Bemerkungen über dessen Wesen und Geschichte.

      Der Unterschied zwischen den "missae sollemnes" und "breves"29 blieb natürlich auch jetzt bestehen. Jene behandelten die einzelnen Unterabschnitte als selbständige, breit ausgeführte Sätze, diese dagegen kennen nur die fünf bekannten großen Sätze als geschlossene Einheiten, die Unterabschnitte dagegen werden nur dem Charakter nach angedeutet, aber nicht als selbständige Teile herausgehoben.

      Eine grundlegende Änderung in der musikalischen Auffassung der fünf Meßsätze ist den Neapolitanern nicht in den Sinn gekommen. Das verbot nicht allein die durch Jahrhunderte geheiligte Tradition, sondern der Meßtext selbst, der in klaren und eindringlichen Zügen nacheinander alle Formen des menschlichen Verkehrs mit Gott durchläuft: die demütige Hinwendung im Kyrie, Lob und Dank im Gloria, das feste Bekenntnis im Credo, die mystische Anschauung und Anbetung im Sanctus und das schuldbewußte Flehen um Erbarmen im Agnus Dei. Selbst im Herausheben einzelner Partien, wie dem "Qui tollis" im Gloria und dem "Et incarnatus est" und "Crucifixus" im Credo, wirkt bei den Neapolitanern noch die alte große Tradition nach. Aber ihr Grundfehler war, daß sie diesen Verkehr des Menschen mit Gott viel zu äußerlich auffaßten. Vom allgemein Menschlichen, Volkstümlichen und Faßlichen geht auch S. Bach in den Themen seiner h-Moll-Messe aus, aber nur um auf dieser Brücke die Phantasie des Hörers in das Gebiet höchster Kunst hinüberzuführen. Die Neapolitaner dagegen bleiben bei diesem volkstümlichen Ton nicht bloß stehen, sondern verwässern ihn noch und fallen so ins ewig Gestrige und Banale, so daß sich ihr Ausdruck nicht selten wie ein Zerrbild der im Text gegebenen religiösen Ideen ausnimmt. Von einem tiefer in die Symbolik des Meßtextes eindringenden Stil ist kaum eine Spur mehr vorhanden. Im Gegenteil, der Text selbst beginnt mehr und mehr Nebensache zu werden. Es kommt vielen Komponisten lediglich auf wirksame Musikstücke kräftigen, festlich glänzenden, idyllischen oder elegischen Gepräges an, in die der Text, so gut oder so schlecht es eben geht, eingefügt wird. Von einem musikalischen Erläutern des Textes, einer Veranschaulichung des Satzsinnes bis in seine feinsten Gedankenspitzen hinein, ist kaum mehr die Rede. Das zeigt sich namentlich bei den großen Komplexen des Gloria und Credo, die allerdings mit ihren verschiedenen abstrakten und spekulativen Begriffen die Musiker schon seit alters her vor schwierige Probleme gestellt hatten. Die Neapolitaner haben es sich hier besonders leicht gemacht: sie kennen überhaupt nur musikalisch dankbare und undankbare Partien, machen jene zu den architektonischen Grundpfeilern des Ganzen und lassen diese schlecht und recht nebenherlaufen. Erst Beethoven hat mit dieser rein musikalischen Kritik des Meßtextes aufgeräumt; für ihn gibt es auch im Credo keine Haupt- und Nebenpartien mehr. Aber auch sonst macht sich das Walten rein musikalischer Rücksichten mitunter recht deutlich fühlbar, so z.B. beim Wechsel von Solo- und Chorgesang und bei der Anlage ganzer Sätze in Arien- oder Sonatenform. Gewiß ist dabei nicht die Übernahme dieser Formen als solche tadelnswert, wohl aber, daß man sie nicht mit genügendem Ernste der neuen Aufgabe anpaßte und mit dem Schema auch den weltlichen Geist in die Kirche verpflanzte.

      Diese Dreiteiligkeit liegt, mitunter nach einer kurzen, langsamen Einleitung, auch bei Mozart dem Kyrie zugrunde. Sie ergibt sich hier ohne weiteres aus dem Texte, insofern das "Christe eleison" den gegebenen, weicheren, oft auch solistisch gehaltenen Mittelsatz zwischen den beiden Kyrie bildet30. Inhaltlich zeigt bereits dieser Teil deutlich den Verfall; schon sein Allegrocharakter ist bezeichnend, und selbst wo kontrapunktische Strenge herrscht, klingt der Ruf um Erbarmen oft ohne rechte innere Anteilnahme und Inbrunst zum Himmel empor.

      Auch in die Jubel- und Dankesstimmung des Gloria31 mischt sich nicht selten ein Stück weltlichen Festglanzes ein, der sich namentlich in der Vorliebe für rauschende Violinfiguren und durch starke Instrumentation kundgibt; auch der beim "Laudamus te" beginnende Sologesang fällt mit seinem Koloraturenflitter zum Ausdrucke der Freude nur allzuhäufig ins Weltliche. Was den Wechsel von Solo und Chor anbetrifft, so folgt Mozart im allgemeinen der Tradition, die hier meist auf musikalisch wirksame Gegensätze ausging; doch ist er je länger je mehr bestrebt, die bedeutungsvolleren Textpartien dem Chor zu übertragen. Dazu gehört vor allem der dreifache Anruf des "Qui tollis", des ideellen Mittelsatzes, der die einzigen dunkleren Töne in das helle Gemälde hinein bringt. Hier nimmt auch Mozarts Phantasie stets einen höheren Flug, vor allem mit Hilfe einer ebenso überraschenden wie charaktervollen und herben Harmonik. Freilich hält sich dann das Folgende auch bei ihm nicht immer auf der erreichten Höhe, weder in dem als Sologesang behandelten "Quoniam tu solus sanctus" noch in der üblichen Schlußfuge des "Cum sancto spiritu". Hier

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