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die beweglichen kleinen Orchestermotive, und die Vorliebe für kleine, spannende Rezitative in den Arien. Seine eigentümliche und flotte Rhythmik ist ihm dabei besonders zustatten gekommen; aufschlagende Synkopenmotive wie sind bei ihm nichts Seltenes. Auch die Rondoform mit der französischen Melodik, die wir schon bei Sarti antrafen, bevorzugt er nicht allein in den Sologesängen, sondern auch, ein weiteres Zeichen für den Einfluß der Buffooper, in den Ensembles, die, gleich den Chören, seit Piccinnis Übertritt in das Lager Glucks auch in der italienischen opera seria wieder häufiger werden91. Neuneapolitaner aber ist Guglielmi in dem oft bis zur Leirigkeit undramatischen Ton mancher ernsten Arien92, in dem aufdringlichen Koloraturengepränge und in dem glänzenden Orchestergewand mit den vielen konzertierenden Arien und dem Streben nach neuen Klangwirkungen93. Mit Sarti gemein hat er die Neigung, in den Ritornellen und im Verlauf der Arien möglichst viele gegensätzliche Gedanken zu bringen und so das Verfahren Chr. Bachs auf die Spitze zu treiben. Die Form der Arien schwankt zwischen dem älteren und neueren Typus hin und her94; aus der Buffokunst stammt der häufige Brauch, dem raschen Teil einen langsamen voranzuschicken. Trotz aller Schwächen sind Guglielmi aber doch auch Szenen von echt dramatischer Wucht gelungen, wie der orchestral glänzend geschilderte Tempelbrand im "Enea", die freie Orakelszene im "Laocoonte"95 und die Beschwörung von Ajax' Schatten in der "Ifigenia".

      Die Ouvertüren dieser Meister gemahnen zwar größtenteils noch an die Oberflächlichkeit der älteren Zeit, zeigen jedoch daneben auch schon Spuren des verjüngenden Einflusses, den die mittlerweile erstarkte Konzertsinfonie auch auf die Ursprungsform auszuüben begann. Es tauchen bereits, wie in der Buffooper, einsätzige Sinfonien auf, wie in Guglielmis "Laocoonte", die französische Form wird häufiger, und in der neapolitanischen mehren sich nach dem Muster der Pariser opéra comique die Versuche eines strafferen Zusammenschlusses der drei Sätze, namentlich in der Art, daß der dritte Satz die thematische Fortsetzung des ersten bildet und das Andante demgemäß mehr als Episode erscheint. Am lockersten und rückschrittlichsten geht es noch in den Durchführungsteilen zu, wo sogar nicht selten ganz neue Themen eingeführt werden96. In den Themengruppen treten dagegen jetzt die Seitenthemen in einen ausgesprochenen Gegensatz zu den Hauptthemen, am stärksten bei Bach, während Piccinni und Lampugnani noch zwischen alter und neuer Art schwanken. Diese Seitenthemen sind aber augenscheinlich von der Buffosinfonie beeinflußt: es sind merkwürdig kurzatmige Gebilde, nach alter Konzertinoart meist nur von drei Instrumenten, oft ohne Baß ausgeführt und vom eigentlichen Gesangscharakter noch weit entfernt97:

      Auch die Reprisen haben noch keine feste Gestalt angenommen; sie schwanken beständig zwischen der verkürzten und der unverkürzten Form, gelegentlich taucht aber auch hier noch zu guter Letzt ein ganz neues Thema auf (Piccinni, "C. Mario," Bach, "L. Silla"). Bei Sarti endlich findet sich im "Giulio Sabino" eine Stretta, die sich allerdings am Schluß wieder in ein großes Diminuendo verliert98.

      Während die langsamen Sätze Bau und Charakter kaum geändert haben, bringt der letzte Satz bei Bach (L. Silla) und Sarti (Ciro99) als neue Form das Rondo hinzu. Piccinni dagegen wiederholt mitunter an seiner Stelle einfach die Reprise des ersten Satzes (C. Mario, Artaserse), ein merkwürdiger Versuch, den ursprünglich einsätzigen Charakter der Sinfonie wieder in Erinnerung zu bringen.

      Das ist in den großen Grundzügen die Umgebung, in die Mozart mit seinen seriösen Opern eintrat. Im einzelnen werden sich noch manche neuen Fäden anknüpfen lassen, der allgemeine Charakter wird indessen dadurch kaum geändert werden. Strengen dramatischen Ansprüchen hält diese Kunst gewiß nicht Stand; sie ist vielfach überreif, aber sie hat doch einen eigentümlichen, hochentwickelten Stil, der sie im einzelnen noch zu großen und echten Wirkungen befähigte. Daß es nicht leicht war, die Italiener auch jetzt noch auf dem Gebiete ihrer opera seria zu erreichen, geschweige denn zu schlagen, sollte eben Mozarts Beispiel beweisen.

      Fußnoten

      1 Vgl. über die ersten Zeiten der Oper A. Solerti, Gli albori del melodramma 1904 und Ambros-Leichtentritt, Gesch. der Musik IV, 3. A. 1909, S. 283 ff.

      2 Vgl. E. Vogel, Vj III 315 ff. Ambros-Leichtentritt S. 533 ff. A. Heuß, SIMG IV 175 ff. H. Goldschmidt, ebda. IX 570 ff. H. Kretzschmar, Vj X 483 ff. H. Goldschmidt, Studien z. Gesch. d. it. Oper II 1904 (Neudruck der "Incoronazione"). R. Eitner, Publ. d. Ges. f. Musikforschung, Bd. 10 (Teildruck des "Orfeo").

      3 L.N. Galvani, I teatri musicali di Venezia nel secolo XVII 1878. H. Kretzschmar, Vj VIII 1 ff. Ambros-Leichtentritt S. 616 ff. E. Wellesz, Cavalli, in Adlers Studien zur Musikwissenschaft I 1 ff. H. Riemann, Handb. d. Musikg. II 2, 187 ff.

      4 F. Florimo, La scuola musicale di Napoli ed i suoi Conservatorj 1880–84.

      5 M. Fehr, A. Zeno und seine Reform des Operntextes 1910.

      6 Calsabigi, Dissertazione sulle poesie drammatiche di P.M. 1765. Ch. Burney, Metastasio 1796. Mussafia, P.M. 1882. Wiese-Pèrcopo a.a.O. 441 ff. M. Zito, Studio su P.M. 1904. A. de Gubernatis, P.M. 1910. A. Wotquenne, Zeno, M. und Goldoni, Alphab. Verzeichnis der Stücke in Versen usw. 1905.

      7 Metastasio, Opp. post. I, p. 324.

      8 Er erwähnt kleine Kompositionen (Opp. post. I, p. 386, 402), auch gegen Burney (Reise II, S. 220); einige sind gedruckt, z.B. 36 Canoni (Wien, Artaria 1782).

      9 Metastasio, Opp. post. I 384.

      10 Mosel, Salieri S. 62.

      11 Opp. post. III 109.

      12 Mancini, Rifl. prat. sul canto fig. S. 247.

      13 Opp. post. II 47.

      14 Brief an Hasse ebda. I 344 ff. Vgl. auch II 355.

      15 Abert S. 352.

      16 Metastasio, Opp. post. II, p. 329 f. Vgl. Mancini, Rifl. prat. sul canto fig. p. 234 f. Goldoni, Mem. I 20, p. 110. Hagedorn fand, gewisse Opern von Metastasio seien vollständige und bündige Tragödien (Werke V, S. 113), und Bodmer stimmte ihm bei (eb. S. 184).

      17 Vgl. E. Dent, A Scarlatti, his life and his works 1905.

      18 An C. Pallavicinos "Gerusalemme liberata" von 1687 (Neuausgabe DT LV) läßt sich das deutlich verfolgen.

      19 Das Cembalo gab nur die stützenden Harmonien; über die Ausführung dieser Partien vgl. M. Schneider, Gluckjahrbuch III 88 ff. Die rasch verklingenden Baßtöne des Instruments wurden durch einen mitgehenden Streichbaß festgehalten.

      20 H. Kretzschmar, Ges. Aufs. II 140 ff.

      21 Dasselbe wird noch von Mozarts "Titus" berichtet.

      22 H. Abert, Jommelli S. 122.

      23 Dialogische Szenen dieser Art sind selten und ebenfalls rein lyrischer Natur.

      24 Man unterschied schließlich eine ganze Reihe von Unterarten, wie die "Aria cantabile, di portamento, di mezzo carattere, parlante (agitata), di bravura (agilità)", vgl. J. Brown, Letters upon the poetry and music of the Italian opera, Edinb. 1789, S. 29 ff., und die Ratschläge, die Goldoni für einen Operntext gegeben wurden, Memor. I 102 f.

      25 H. Goldschmidt, Die Lehre von der vokalen Ornamentik Bd. I, 1907.

      26 Vgl. Sulzer, Allg. Theorie der schönen Künste I 1777, 104 ff.

      27 Der Schluß

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