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sich dem neuen Geiste, der schließlich auch vor der Aufnahme des Possenhaften nicht zurückschreckte, bewußt an und unterstützte ihn nach Kräften durch einen reichen Schatz volkstümlicher Gesänge. Jetzt erst drangen die sog. geschlossenen Formen, voran die Arie, in die Oper ein, wogegen das dramatische Rezitativ mehr und mehr verfiel, und bereits meldete sich auch ein dritter Feind des Dramas in der Oper, das Gesangsvirtuosentum. Das sind die Grundzüge des Opernbildes in der Zeit der Venezianerherrschaft (1637–1690)3.

      Auf die Venezianer folgten die Neapolitaner (1690–1800)4. Dichterisch verdankt ihnen die Oper nach der vorangegangenen Verwilderung wieder einen ungeahnten Aufschwung. Zum ersten Male seit Rinuccini wurde sie wieder literaturfähig, und abermals ist die jetzt zu neuem Leben erwachende Idee des antiken Dramas die treibende Kraft. Die Oper wird mehr und mehr von dem Geiste des italienischen risorgimento berührt. Das ist das Verdienst zweier hochbegabter Dichter, Apostolo Zeno (1668–1750)5 und Pietro Metastasio (1698–1782), von denen der jüngere und phantasievollere den älteren bald völlig in den Schatten stellte.

      Metastasio6, noch zu Mozarts Zeiten der unbestrittene Herrscher auf der italienischen Opernbühne, brachte außer seinem allgemeinen dichterischen Talent noch besondere Eigenschaften mit, die ihn seiner Zeit als den geborenen Operndichter erscheinen ließen. Seine Poesie war von Hause aus musikalisch. Er hatte im Verkehr mit Sängern und Komponisten seine musikalische Anlage so weit ausgebildet, daß er fühlte und wußte, worauf es bei einem zur Komposition bestimmten Text ankam. Er sang – "come un serafino," wie er im Scherz Farinelli schreibt7 – und spielte Klavier, er komponierte selbst ein wenig8, und es war ihm ein angenehmer Anreiz zu dichterischer Beschäftigung, auf dem Klavier zu phantasieren. Er sagt selbst, er habe nie eine Arie gedichtet, ohne sie bei sich zu komponieren, d.h. sich über ihren musikalischen Charakter vollständig ins Klare zu kommen9. Junge Künstler wie Salieri10 und die Martinez11 ließ er deklamieren und wies sie zum richtigen musikalischen Ausdruck an12.

      So sehr Metastasio die beseelende und ergänzende Macht der Musik in der Oper anerkannte13, so nachdrücklich wahrte er andererseits das Recht des Dichters. Die Annahme, in der neapolitanischen Zeit hätten Sänger und Komponist alles, der Dichter aber nichts zu sagen gehabt, ist ein großer Irrtum. Selbst der große Hasse wurde anläßlich des "Attilio Regolo" ausführlich über die Absichten des Dichters belehrt14, Jommelli erhielt sogar eine – wenn auch verbindliche – – Rüge von ihm wegen seiner angeblich überladenen Instrumentation15, und den Sängern ging es nicht besser, wenn sie über der äußeren Virtuosität die Wahrheit des Ausdrucks vergaßen. Voll Selbstbewußtsein beruft sich der Dichter endlich darauf, daß seine Texte auch ohne Musik als Tragödien die Hörer fortgerissen hätten16.

      Wenn Metastasio der dichterische Abgott fast der ganzen gebildeten Welt seiner Zeit war, so hatte das seinen guten Grund. Denn wenige Dichter haben ihr nach Inhalt und Form so aus der Seele gesprochen wie er. Er hat der Aufklärung in der Oper eine Stütze verliehen, wie sie wirksamer kaum gedacht werden konnte, und gleich den meisten Vertretern dieses Geistes knüpfte er auch an die französische Tragödie an. Das lehren die Zustände, die er schildert, und die Gestalten, die er auf die Bühne bringt: sie tragen alle das heroisch-höfische Gepräge der Franzosen. Der ungeheure Respekt der Aufklärung vor der Regel, vor der verstandesmäßigen Konstruktion beherrscht auch ihn; zuerst wird die betreffende heroische Eigenschaft erdacht und dann erst die einzelne Figur danach gemodelt. Denn der Hauptzweck auch dieser Dichtung ist, zu belehren und nicht etwa den ewig neuen Reichtum des menschlichen Lebens darzustellen. Deshalb sind alle seine Figuren nicht Individualitäten im modernen Sinn, sondern lediglich Träger bestimmter Eigenschaften, die dem Hörer mitunter mit einer geradeswegs ans Kindertheater erinnernden Naivität aufgedrängt werden.

      Echt rationalistisch ist auch die Intrige als die treibende Kraft in allen seinen Dramen, mit Ausnahme des "Attilio Regolo". Mag auch die Intrige als solche für uns Deutsche, wenn uns daneben nicht wirkliche Charakterkunst geboten wird, weit weniger Reiz haben als für die Romanen, so muß Metastasio doch zugestanden werden, daß er in ihrer Behandlung sowohl seinen venezianischen Vorgängern als seinem Nachfolger Scribe an Geist und Geschmack weit überlegen ist. Und dasselbe ist bei der Behandlung des Empfindungsgebietes der Fall, auf dem sich die Intrige fast ausschließlich abspielt, der Liebe. Zwar tritt auch sie, wie bei den meisten Rationalisten, nicht als Leidenschaft, sondern als "Galanterie", d.h. als gesellschaftliche Erscheinungsform auf. Die Konvention spricht bei allen Konflikten das letzte Wort. Darum kommt es zwar mitunter zu großen sinnlichen Wallungen, aber sehr selten zu einer wirklich großen Leidenschaft. Aber innerhalb dieser Grenzen bewegt sich Metastasio mit ganz unleugbarem Geschmack und sicherem Urteil. Überhaupt liegt über seiner Dichtung der ganze feine Duft jener aristokratischen Gesellschaftskultur. Sie hat wirklich Stil und ist schon deshalb allen früheren und späteren Mitbewerbern turmhoch überlegen. Die äußere Form entspricht diesem Inhalt durchaus; sie gehört zu den stärksten Seiten von Metastasios Poesie. Auch sie trägt ein ganz unverkennbar aristokratisches Gepräge. Der Dichter will Belesenheit, Bildung und Eleganz zeigen, er will dem Hörer seine Weisheit in schönem Gewande vorsetzen. Das sinnfälligste Beispiel sind die oft meisterhaft fein geschliffenen, allgemeinen Sentenzen, die wohl auf den in seiner Jugend ja ebenfalls in dieser Luft aufgewachsenen Schiller nicht ohne Einfluß geblieben sind. Auch die zierliche Art, wie er gelegentlich die verzwickten Schicksale seiner Helden lenkt und mit wirkungsvollen Katastrophen zu spielen scheint, gehört in diesen Zusammenhang, in erster Linie aber seine geradezu vollendete äußere Technik, die im Dialog überhaupt keine toten Punkte zu kennen scheint und den Hörer außerdem noch durch ein in allen Farben schillerndes sprachliches Gewand beständig zu fesseln versteht.

      So ist Metastasios Librettistik zwar keine Dichtung im höchsten Sinne, sondern nur modische Gesellschaftskunst, wenn auch von ganz besonders verfeinerter Art. Da sie ein Erzeugnis wohldurchdachter Regeln war, ließen sich ihre Grundsätze auch leicht erlernen. Die Dichtungen der Verazi, Gamerra u.a. sind ihre treuen Abbilder, nur freilich ohne den Geist und die formale Gewandtheit des Originals.

      In der äußeren Gestalt seiner Dramen lehnte sich Metastasio an die Formenwelt an, die die neapolitanische Oper bereits unter ihrem Schulhaupte Al. Scarlatti (1659–172517) erhalten hatte. Sie hatte von dem früheren Reichtum nicht allein bloß noch Rezitativ und Arie, sondern auch innerhalb dieser Formen im wesentlichen nur noch einen einzigen Typus übriggelassen. Der Chor war schon seit 1650 gefallen.

      Diese – übrigens schon in der letzten venezianischen Periode deutlich vorbereitete18 – Verarmung des Formenschatzes ist der sinnfällige Beleg dafür, wie sehr sich die Ansichten über das Verhältnis von Drama und Musik in der Oper gewandelt hatten. Bei den großen Venezianern hatten sich beide noch aufs innigste durchdrungen, jetzt begann jedes seine eigenen Wege einzuschlagen. Das Drama wurde der neuen Art des Seccorezitativs überwiesen, an dem der Musik der denkbar bescheidenste Anteil zufiel, der Musik aber fiel die Arie zu, die wiederum mehr oder minder außerhalb des Dramas stand. In dieser Scheidung lag, allem sonstigen Fortschritte zum Trotz, die Achillesferse der ganzen Gattung, die denn auch bald als solche erkannt wurde, und zwar nicht allein von ihren ausgesprochenen Gegnern, sondern besonders von den Komponisten selbst, die sich mit wachsender Energie die Heilung des Übels zum Ziele setzten. Das Problem, das unter allen Umständen gelöst werden mußte, sollte der opera seria überhaupt noch eine Zukunft beschieden sein, lautete: Wiedervereinigung von Drama und Musik in der Oper, und zwar dadurch, daß den dramatischen Partien wieder musikalisches, den musikalischen dramatisches Blut zugeführt wurde. Den Versuchen, jenes Problem zu lösen, verdankt die italienische Oper eine ihrer glänzendsten Blütezeiten, obwohl sie geraume Zeit auf dem halben Wege einer bloß musikalischen Reform stehen blieben. Daß das Heil letzten Endes nur von einer Beseitigung der bisherigen Librettistik, als der Wurzel alles Übels, kommen konnte, ist erst Gluck und seinem Dichter Calsabigi zum Bewußtsein gekommen.

      An dem vom Cembalo (Kielflügel) allein19 begleiteten "Recitativo secco" beweist allein schon der Name, daß es dabei nicht auf volle musikalische Wirkungen abgesehen war20. Tatsächlich stehen wir bei diesen Partien, denen die ganze Entwicklung des Dramas anvertraut

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