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Erzählung« bezeichnet, die »im gegensatz zur wahren geschichte« stehe und als bloße »kunde, nachricht, die der genauen beglaubigung entbehrt, ein bloszes weiter getragenes gerücht« (DWB, Bd. 12, Sp. 1619) angenommen werden könne. Trotz der darin anklingenden Abwertung sollte jenes »Wunderbare«, das sich in der schillernden Wirklichkeit der Fiktion als etwas »Sagenhaftes« ereignete, gerade das imaginäre Potential einer Literatur steigern, die sich mit dem romantischen Kunstideal wesentlich vorwagte in eine durch Ironie und Witz gebrochene, sich selbst reflektierende Poesie.

       1. Frühromantische Kunstmärchen bei Tieck und Fouqué: Rahmung und Selbstreferentialität

      Zu den Kunstmärchendichtern der ersten und zweiten Stunde zählen heute zwei Autoren, deren Bekanntheit hinter denen ihrer Werke zurückbleibt: Ludwig Tieck (1773–1853) und Friedrich de la Motte Fouqué (1777–1843). Mit dem Novellenmärchen Der blonde Eckbert und den als Dramen verfassten »Kinder-« bzw. »Ammenmärchen« Der gestiefelte Kater und Ritter Blaubart setzte Tieck »phantastische« Erzählungen in Szene, die zum Teil noch spätaufklärerischen Traditionen folgten, sie aber mit den Mitteln der Ironie und der kunstvollen erzählerischen Rahmung wesentlich weiterentwickelten. Nach ihm belebte de la Motte Fouqué das Genre mit seiner Undine (1811) erneut, indem er seinerseits auf ein bekanntes Motiv der Sagendichtung zurückgriff, das Goethe bereits in der Ballade Der Fischer (1779) verdichtet hatte.

       1.1 Der blonde Eckbert (Ludwig Tieck, 1797)

       1.2 Der gestiefelte Kater (Ludwig Tieck, 1797)

      In Der gestiefelte Kater spielt die Gattung mit ihrer eigenen Erscheinungsform, indem sie als dramatischer Stoff inszeniert wird, der die Möglichkeiten seiner Produktion und Rezeption bereits im Prolog reflektiert. So treffen im Publikum Zuschauer aus sowohl handwerklichen als auch bildungsbürgerlichen Kreisen zusammen und tauschen sich neugierig über das zu erwartende Schauspiel aus:

      Fischer: […] Herr Müller, was sagen Sie zu dem heutigen Stücke?

      Müller: […] Ein wunderlicher Titel ist es: »der gestiefelte Kater«. – Ich hoffe doch nimmermehr, dass man die Kinderpossen wird aufs Theater bringen.

      Schlosser: Ist es denn eine Oper?

      Fischer: Nichts weniger, auf dem Komödienzettel steht: »ein Kindermärchen«. (Tieck 2019, S. 5)

      Tatsächlich gelangt mit dem Gestiefelten Kater ein humoriges Schauspiel zur Aufführung, das jedoch entgegen den Konventionen keinerlei Identifikation mit dem Inhalt oder dem Protagonisten zulässt, sondern auf ironisierende Weise ein Panorama der literarischen Topoi entwickelt, die das Märchen gemeinhin prägen: Ein schrulliger, alternder König, der seine Tochter zu verheiraten gedenkt, gehört ebenso dazu wie ein exotischer Prinz, ein Hofgelehrter und Hofnarr sowie der arme Bauernsohn namens Gottlieb, der einen sprechenden Kater erbt. Dieser soll ihm zum Glück verhelfen und erbittet sich darum jene Stiefel, die ihn bei seiner abenteuerlichen Reise begleiten – diese sind im Übrigen nichts anderes als der allumspannende Katalysator einer Nicht-Handlung von gebrochenen Szenen, in die Kater Hinze, »das Publikum« sowie die LeserInnen geworfen werden. Allein, das Publikum wie die autofiktionale Figur des Dichters stellen dabei selbst weite Teile des Dramentextes und sind in ihm ständig präsent; auf diese Weise wird die vierte Wand bereits hier, innerhalb der Frühromantik und vor aller moderner Dramaturgie à la Brecht, durchbrochen. In seinem Nachwort zur Textausgabe hat Helmut Kreuzer daher zutreffend formuliert, das Theaterstück sei als »eine zu seiner Zeit hochaktuelle Satire« konzipiert, deren »einziger Inhalt ein missglückter Theaterabend ist, der halb scheiternde Versuch einer fiktiven Theatertruppe, das Märchenstück eines fiktiven Autors vor einem fiktiven Publikum aufzuführen« (Kreuzer 2019, S. 75). Das Scheitern des Dichters, die Erwartungen von Zuschauern und Kritikern zu erfüllen, wird denn auch als grundsätzliches Problem und Vorbedingung der dramatischen Gattung veranschaulicht. Illustriert werden diese Realitätseffekte u. a. wiederholt in der Person des Fischers, der bereits mit der Sprachfertigkeit des Katers hadert und einfach nicht in das Stück hineinfinden will:

      Die Kunstrichter (im Parterre): Der Kater spricht? – Was ist denn das?

      Fischer: Unmöglich kann ich da in eine vernünftige Illusion hineinkommen. (Tieck 2019, S. 11)

      Dabei lässt sich der sprechende Kater (mehr noch als die Figur des Dichters) als ironische Metapher für den vermeintlich schöpferischen Prozess von Literatur verstehen. So gerät der Broterwerb zu einer eigentlichen Odyssee, in der Kater Hinze mal in die Szene zweier Liebenden geworfen wird, die sich schwülstig ewige Treue schwören, mal am königlichen Gastmahl teilhat, nachdem er ein Kaninchen gefangen hat und schließlich doch noch alle Umstände – die Reise des Königs

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