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und wich seinem Blick aus. Hatte Gott seinen Vater aus dem Diesseits gerissen, damit sie sich auf der Beerdigung treffen konnten? Jedes Unglück der Menschen gehörte zu Gottes Plan und der Tod zum Leben wie das Gebet zur Gottesfurcht.

      Enderlin konzentrierte sich wieder auf die Trauerfeierlichkeiten. Er hatte für die Schriftlesung eine Stelle aus den Klageliedern gewählt.

      »Pars mea Dominus, dixit anima mea; propterea exspectabo eum. Bonus est Dominus sperantibus in eum, animae quaerenti illum.« – Der HERR ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen. Gut ist der HERR zu dem, der auf ihn hofft, zur Seele, die ihn sucht.

      Als sie für seinen Vater die Psalmen sangen, ließ Enderlin seine Stimme aus seinem tiefsten Innern erschallen. Dann konnte er es kaum erwarten, bis der Sarg zum Friedhof getragen wurde und er die Abschlussworte sprechen konnte. Er musste ein vertrauliches Wörtchen mit Sebalt Magnus wechseln.

      Die Trauergesellschaft trollte sich. Enderlin beeilte sich, zu Sebalt zu kommen. In dessen welliges Haar hatten sich graue Strähnen gemischt, und die Narbe, die sich über Stirn und Wange zog, hatte eine rötliche Färbung angenommen.

      »Mein Freund«, grüßte Enderlin.

      »Freund?« Sebalt lachte auf. »Wie soll man mit einem Mönch befreundet sein?«

      Enderlin schluckte. Es war wohl besser, auf diese Bemerkung nicht einzugehen. »Habt Ihr meinen Brief erhalten?«

      Sebalt schnalzte mit der Zunge. »Wahrlich eine Überraschung!«

      Enderlin sah sich um. Keiner seiner Ordensbrüder war in der Nähe, dennoch senkte er die Stimme. »Was haltet Ihr von meinem Vorschlag?«

      »Ihr habt Euch an den Falschen gewandt.«

      »Weshalb?«

      »Ich habe keinen blassen Schimmer, wo sich Eure Schwester aufhält.«

      Er schien schwer von Begriff zu sein. Enderlin seufzte. »Deswegen habe ich geschrieben, dass Ihr nach ihr suchen sollt.«

      Sebalt kratzte sich an der Knollennase. »Wo soll ich da beginnen? Sie kann überall im Lande sein.«

      »Bitte gebt Euch ein bisschen Mühe. Vielleicht wissen sie Bescheid.« Enderlin wies mit dem Kopf zu Elisabeth, Margret, Kuntz und dieser jungen Magd, dessen Namen er nicht kannte.

      »Und was habe ich davon? Was gebt Ihr mir für diesen Dienst?« Sebalt verschränkte die Arme vor der Brust.

      Enderlin räusperte sich. Was wollte der Brauer nur von ihm? Er war doch von Jonata betrogen worden. Er würde sich von ihr das holen können, was ihm als versprochenem Ehemann zustand. Ein Mal, und dann würde Enderlin seine Schwester dem Inquisitionsgericht übergeben. »Ich dachte, Ihr habt selbst ein Interesse daran.«

      »Eure Schwester ist mir nichts mehr schuldig.«

      »Ist sie nicht?«

      Sebalt lachte hämisch auf. »Ich habe bekommen, was ich wollte.«

      »Ihr habt was …?« Enderlin stockte.

      Sebalt grinste breit und stieß ihn mit der Schulter an. »Nichts, was für die Ohren eines Mönches bestimmt ist.«

      »Aber …« Hatte Jonata etwa mit zwei Männern Unzucht getrieben? Was für ein gotteslästerliches Weib! Es wurde immer schlimmer. Umso wichtiger war es, dass er sie fand und für ihre Sünden bestrafte. Jemand musste sie vor das Kirchengericht bringen. Wenn Jonata dann jedoch widerrief, ihn zu Simon führte und bereit war, in ein Kloster einzutreten, würde er beim Prior ein gutes Wort für sie einlegen. Hauptsache, einer von beiden brannte auf dem Scheiterhaufen und Enderlin gewann die Gunst des Priors wieder für sich.

      »Außerdem habe ich mich verlobt. Und dieses Versprechen werde ich für Eure Schwester nicht lösen.«

      Enderlin presste die Zähne zusammen. Wieso hatte der HERR sie zusammengebracht, wenn Sebalt nicht das gleiche Ziel verfolgte? Vielleicht brauchte der Brauer Zeit, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, oder weitere Überredung. »Jonata wäre für Euch die perfekte Verbindung – jetzt, wo die Brauerei frei geworden ist.« Dass es nicht zu einer Ehe der beiden kommen würde, musste er ihm nicht auf die Nase binden.

      Sebalt lachte und schlug ihm auf die Schulter. »Spart Eure Bemühungen für jemand anderen auf. Ich kann Euch nicht helfen.« Dann verließ er mit seinen Eltern den Friedhof.

      Enderlin blieb regungslos stehen. Diese Begegnung hatte er sich anders vorgestellt.

      Hab Vertrauen! Gott wird dir einen anderen Weg zeigen!

      Er sah zu den Mägden. Margret heulte immer noch, und auch Elisabeth wischte sich Tränen von den Wangen. Er trat zu ihnen.

      »Enderlin«, sagte Elisabeth und drückte ihn an sich. Er war überrumpelt von so viel Herzlichkeit, ließ die Umarmung jedoch zu. Elisabeth roch nach Lavendelwasser. Manche Dinge veränderten sich nicht. »Es ist so schrecklich.«

      »Die Wege Gottes sind unergründlich«, sagte er.

      »Es kann doch nicht Gottes Wille gewesen sein, dass mein geliebter Bechtolt von mir genommen wird«, sagte Margret schluchzend.

      »Geliebter?«, schoss es aus ihm heraus.

      »Du wusstest es nicht, oder?«, fragte Elisabeth und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Er machte einen Schritt zurück, sodass sie ihn nicht mehr erreichen konnte. »Dein Vater ist mit Margret den Bund der Ehe eingegangen.«

      »Er hat …« Die Worte blieben ihm im Halse stecken wie das trockene Stück Brot bei einem Gottesurteil. Unter den prüfenden Blicken der Richter saugt es das letzte Tröpfchen Speichel auf und überführt den Angeklagten, wenn es sich in seiner Kehle verkantet. Eine alles entscheidende Probe, in der nur Gott dem Beschuldigten zu Hilfe eilen konnte und bei der jeder Übeltäter zum Scheitern verurteilt war.

      Hatte sein Vater nicht erkannt, dass auch er zum Scheitern verurteilt war? Warum hatte er aus seinen Fehlern nicht gelernt? Schließlich war der begriffsstutzige Kuntz aus einer unbedachten Nacht mit der Magd entstanden. Das hätte seinem Vater zeigen müssen, dass dieses Weib nicht für die Ehe mit ihm bestimmt war. Vielleicht hatte er deswegen seine Strafe von Gott erhalten.

      »Hat tatsächlich jemand Hand an ihn gelegt?«, fragte er.

      Die junge Magd nickte. »Ihm wurde die Kehle durchgeschnitten.« Ihr Blick war seltsam leer. Auch sie schien Bechtolt zu nahegestanden zu haben. Sie hatte ein Teufelsmal auf der Nase. Besser war es, wenn er sie nicht berührte.

      »Hast du etwas von Jonata gehört?«, fragte er. »Jetzt, da unser Vater von uns gegangen ist, hatte ich gehofft, mit ihr sprechen zu können.«

      Die junge Magd hob ruckartig den Kopf. Schrecken stand in ihren Augen.

      »Weißt du, wo sich meine Schwester aufhält?«, wandte er sich direkt an sie.

      Sie starrte ihn an, rührte sich nicht. Erst nach ein paar Augenaufschlägen schüttelte sie den Kopf.

      »Wir haben seit Jonatas Verschwinden vor vier Jahren nichts mehr von ihr gehört«, antwortete Elisabeth. Ihre Worte klangen ehrlich. Aber diese Magd mit den schwarzen Haaren und dem Teufelsmal auf der Nase war ein Rätsel.

      »Sprich die Wahrheit!«, verlangte Enderlin.

      Sie wich zurück. »Ich sage die Wahrheit.«

      »Würdest du das vor Gott bezeugen?«

      Elisabeth trat zwischen ihn und die Magd. »Lass Figen in Ruhe. Sie hat deinen Vater gefunden und ist immer noch verstört. Der Anblick war nicht leicht zu ertragen.«

      Figen war also ihr Name. »Aber wenn sie etwas weiß –«

      »Ich habe doch gerade gesagt, dass wir seit Jahren nichts von Jonata gehört haben«, sagte Elisabeth scharf.

      Enderlin atmete tief durch. Er musste mit Figen allein sprechen. Irgendwie musste er den Prior dazu bringen, dass er das Kloster verlassen durfte. Und dann würde er die Wahrheit über Jonata erfahren.

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