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auf und rannte dem Kater hinterher nach draußen. Margret hob noch nicht einmal den Kopf, Elisabeth brummte nur. Figen hatte auch keine Lust, den Jungen zu maßregeln. Sie musste immer wieder an die gestrige Beisetzung denken. Besonders Margret hatte die Beerdigung ihres Gatten zugesetzt. Nach dem kläglichen Totenmahl im Gebäude der Brauerbruderschaft, bei dem nur ein Bruchteil der Brauer der Stadt zugegen gewesen war, hatte Margret kein Wort gesprochen und sich in der Kammer eingeschlossen.

      Figen rührte im Hirsebrei. Elisabeth hatte zwei Äpfel hineingeschnitten, trotzdem schmeckte er heute fad. Margret würgte, hielt sich die Hand vor den Mund und stürzte nach draußen. Die Schwangerschaft machte sich bemerkbar.

      Elisabeth holte tief Luft. »Gott steh uns bei!« Sie begann abzuräumen, wartete nicht, bis Figen ihren Brei gegessen hatte. Figen schob die eigene Schüssel von sich weg. Auch wenn Bechtolt in der letzten Zeit nicht sonderlich gesprächig gewesen war und sich meist in der Brauerei verschanzt hatte, wirkte das Haus nun noch trostloser.

      Figen erhob sich. Heute würde sie die Schenke herrichten. In den letzten Tagen hatte sie keine Zeit dafür gefunden. Sie hatten Weihwasser, Leinentücher und Sterbekerzen besorgt und abwechselnd Totenwache gehalten. Da die Fenster der Brauerei die ganze Zeit über offen standen, damit Bechtolts Seele hinausfliegen konnte, war Figen nach ihrer Wache jedes Mal durchgefroren gewesen und hatte keine Muße mehr gehabt, sich um die Schenke zu kümmern.

      Als sie nach draußen trat, schien ihr die Sonne ins Gesicht. Dennoch war es kühl. Sie verschränkte fröstelnd die Arme vor der Brust.

      Kuntz lief dem Kater hinterher in den Stall. »Pauli, Pauli«, rief er. Figen schmunzelte. Das Tier schien mal wieder nicht so zu wollen wie der Junge.

      Die Tür zur Brauerei war angelehnt. Sie warf einen Blick hinein. In der Mitte stand der Tisch, auf dem sie Bechtolt die letzten Tage aufgebahrt hatten. Die Kerzen drum herum waren allesamt abgebrannt. Die Bodenklappe, unter der vor Kurzem noch die Münzreserven dieses Hauses lagerten, war geöffnet. An der rechten Wand verstaubten die großen Bierbottiche, die seit Monaten nicht mehr gefüllt worden waren. Eine trostlose Brauwerkstatt, aus der ihr eine Flut trauriger Erinnerungen entgegenströmte.

      Sie zog die Tür zu und ging zur Schenke. Der Knauf der Hintertür war locker. Darum würde sie sich kümmern müssen. Figen trat in den düsteren Raum. Es roch muffig, nach Staub und altem Bier. Sie zog das Stroh aus den Fensteröffnungen, um Licht und frische Luft hereinzulassen. Die Tische und Bänke standen kreuz und quer, ein paar Schemel waren umgefallen, ein einzelner Krug sah aus, als wäre er nur kurz abgestellt worden und wartete auf die Rückkehr des Trinkers. Abgebrannte Stümpfe ragten aus den Kerzenhaltern an der Wand. Die Kerze auf der Theke hingegen hatte höchstens eine Stunde gebrannt.

      Figen strich mit dem Finger über eine Tischplatte. Staub sammelte sich auf ihrer Haut. An einer Ecke fehlte die Staubschicht. Seltsam. Hier musste kürzlich jemand gewesen sein. Margret vielleicht. Möglicherweise hatte sie in Erinnerungen geschwelgt.

      Figen räumte auf, richtete Tische und Stühle, holte einen Wascheimer und Lappen und reinigte das Inventar vom Dreck vergangener Zeiten. Sie sah bereits ihre Zöglinge vor sich sitzen. In der Nähe der Hintertür würde sie ihren Platz einrichten, von wo aus sie die Mädchen gut im Blick haben würde. Die Theke war in einer Nische eingelassen, diese würde sie für den Unterricht mit einem Laken abhängen. Sie räumte die Krüge in einen Korb und brachte sie in den Braukeller.

      Zurück in der Schenke putzte Figen über ein Bierfass, das als Abstellfläche gedient haben mochte. Dahinter sah sie etwas Weißes aufblitzen. Sie duckte sich und hob den Stoff mit spitzen Fingern auf. Ein Unterrock. Sie schüttelte sich, wollte sich nicht ausmalen, wem der gehört haben mochte. Er musste aus Zeiten stammen, als das Bier reichlich geflossen war und die Gäste auf Sittlichkeit keinen Wert gelegt hatten.

      Sie ließ sich auf einem Schemel nieder, holte die Bonner Münze hervor und strich über die Prägung. Der Mörder hatte das Geldstück ebenfalls in Händen gehalten. Der Mann, der das Messer geführt und Bechtolt die Kehle aufgeschlitzt hatte. Sie erschauderte und ließ das Geldstück zurück in den Beutel gleiten. Wer mochte es gewesen sein? Kannte sie ihn? Ihre Hände zitterten. Der Frevler durfte nicht ungestraft davonkommen!

      ***

      Es polterte an der Tür.

      »Gehst du?«, fragte Elisabeth. Sie hob demonstrativ die Hände, mit denen sie den Brotteig bearbeitete. Doch bevor Figen an der Tür war, kam ihr Margret zuvor. Sie war nicht sonderlich gesprächig, aber zumindest verschanzte sie sich nicht mehr in der Kammer wie die letzten drei Tage.

      Vor dem Haus stand der alte Fassbinder von Blankenberg. Die Gugel war an den Enden über der Schulter ausgefranst und bedeckte seinen kahlen Kopf. Unter den Augen lagen Schatten. »Margret, genau zu Euch wollte ich.« Er rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. »Ihr schuldet mir noch Geld.«

      »Was?« Sie stemmte den Arm in die Hüfte. »Nicht dass ich wüsste!«

      »Dein Mann –«

      »… ist selig!«, keifte sie.

      »Richtig. Und deswegen will ich jetzt sofort mein Geld. Einen Gulden und fünf Schillinge.«

      Figen blieb die Luft weg. So viel?

      »Pah, verschwindet!« Margret wollte die Tür zuschlagen, aber er schob den Fuß auf die Schwelle.

      »Ich lasse mich nicht von Euch abspeisen!«

      »Ich weiß nichts von Schulden!«

      »Hätte ich auf dem Kerbholz bestanden, hätte ich den Beweis in der Hand. Aber der Faulpelz meinte, es reiche, es mit der Feder zu vermerken. Also seht in seinen Büchern nach.«

      »Er hat seit Wochen keine Fässer mehr gekauft.«

      »Er schuldet es mir schon lange! Jetzt brauche ich mein Geld.« Er ballte die Hand, seine Augen funkelten. Figen hatte das Gefühl, er würde Margret gleich die Faust ins Gesicht schlagen.

      »Das hättet Ihr mit meinem Mann klären müssen!«

      Er lachte bitter auf. »Ihr seid wohl zum Scherzen aufgelegt.«

      »Seht Ihr mich etwa lachen?«

      »Ich war gutmütig, und nun soll es mich teuer zu stehen kommen? Ich verlange, dass Ihr –«

      »Von mir bekommt Ihr keinen Pfennig.«

      Zwischen seinen Brauen stand eine tiefe Falte. »Seid gewiss: Ich komme wieder. Wenn Ihr nicht zahlt, gehe ich zu Mergentheim. Er wird Euch schon zur Vernunft bringen.«

      Margret drängte ihn von der Türschwelle.

      »Und wenn Mergentheim nichts unternimmt, komm ich mit meinen Söhnen wieder und hole mir, was mir zusteht.«

      Margret schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Ihre Augen glühten vor Zorn. »Dieser Galgenschwengel!«

      »Wir sollten nachsehen, ob es stimmt«, sagte Figen leise.

      Margret rauschte brummend an ihr vorbei.

      Wenn Bechtolt ihm wirklich noch so viel schuldete, steckten sie in Schwierigkeiten. Ohne einen Mann im Haus wären sie den Plünderern schutzlos ausgeliefert. Figen folgte Margret in die Vorratskammer, wo sie Kisten von links nach rechts räumte.

      »Willst du nicht wissen, ob er die Wahrheit spricht?«

      »Hast du seinen Atem gerochen?« Sie machte eine Geste, die andeutete, dass er zu viel getrunken hatte. »Der will sich nur wichtigtun.«

      Figen hatte nicht den Eindruck gehabt. Wenn Margret keine Lust hatte, den Dingen auf den Grund zu gehen, würde sie es selbst tun. Sie ging in die Brauwerkstatt und öffnete die Kiste in der Ecke. Ein zerknülltes Leinenhemd lag obenauf. Sie fand unzählige Notizen und Briefe. Sie würde Tage brauchen, um alles zu sichten.

      Sie klaubte drei Bücher hervor und schlug das erste auf. Es handelte sich um ein Verkaufsbuch, in dem Bechtolt eingetragen hatte, wie viel Bier er wem verkauft und wie viele Münzen er erhalten hatte. Das zweite war ein Ausgabenheft. Mit klopfendem Herzen legte sie es auf den Tisch und

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