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Bisher hatte sie nur Luthers Schriften oder Briefe von Jonata gelesen, aber noch nie Geschäftsbücher.

      Bechtolt hatte öfter Fässer von dem Fassbinder gekauft, doch ob er sie bereits bezahlt hatte, war nicht notiert. So konnte von Blankenberg nicht belegen, dass sie ihm noch Geld schuldeten. Figen legte das Buch zurück und griff nach dem letzten. In diesem waren die Einträge durchgestrichen. Es schien sich um ein Erinnerungsbuch zu handeln. Einige Posten am Ende waren offen. Darunter drei an den Fassbinder von Blankenberg. Die Summe stimmte. Außerdem Zahlungen an den Hufschmied und den Barbier.

      Figen ließ sich auf den Boden sinken und lehnte sich an die Kiste. Nicht auszudenken, wenn der Hufschmied und der Barbier auch bald vor ihrer Pforte auftauchten und auf ihrem Geld beharrten. Wie sollten sie die Schulden begleichen? Figen musste zusehen, dass sie die Schule eröffnete. Und sie musste mit Seitz sprechen. Sie nahm das Buch und lief ins Haus.

      Margret saß in der Stube und stickte. Figen legte ihr das Buch vor. »Hier!« Sie zeigte auf die Zeilen. »Der Fassbinder hat recht.«

      »Was fällt dir ein, in Bechtolts Sachen zu wühlen?« Margret ließ das Stickzeug auf den Schoß sinken und sah sie finster an.

      »Einer muss es tun. Wir schulden von Blankenberg wirklich noch über einen Gulden.«

      »Nicht wir, sondern Bechtolt. Was kümmert’s uns?« Sie senkte den Blick und stach die Nadel durch den Stoff.

      »Hast du ihm nicht zugehört?« Figen konnte nicht fassen, dass Margret so sorglos war.

      Margret blickte auf, ihre Augen funkelten böse. »Wie redest du mit mir? Erinnere dich daran, welche Stellung du in diesem Haus hast.«

      Figens Kiefer mahlten. Vor zwei Jahren hatten sie noch Schulter an Schulter in der Küche geschuftet. Wenn Margret sich auf ihre höhere Stellung berief, sollte Figen auf ihrem ausstehenden Lohn beharren. Sie atmete tief ein. Nein, das hatte keinen Sinn. Sie war froh, wenn sie im Winter genug Holz für den Kamin hatten. Und wenn sie Schulgeld erhielt, war sie nicht mehr auf Margrets Gunst angewiesen, aber dafür brauchte sie die leer stehende Schenke. Sie sollte Margret nicht gegen sich aufbringen, nicht auszudenken, wenn sie ihr den Unterricht verbot.

      »Entschuldige«, presste sie hervor. Sie nahm den Mantel vom Haken und verließ das Haus, um mit Seitz zu sprechen. Je eher sie mit dem Unterricht begann, desto eher wurde ihr Beutel mit Münzen gefüllt.

      Gretlin Denntzer, die Frau des Eisenschmiedes von gegenüber, kam ihr entgegen. Sie warf Figen einen abschätzigen Blick zu. »Mörderin!«, fauchte sie im Vorbeigehen.

      Figen blieb stehen und sah der Nachbarin fassungslos nach. Sie wollte etwas erwidern, doch die Worte blieben ihr in der kratzigen Kehle stecken. Frau Denntzer spazierte erhobenen Hauptes davon und warf ihr einen weiteren verächtlichen Blick über die Schulter zu, bevor sie im Hofeingang verschwand.

      Glaubten die Bürger Kölns, sie hätte Bechtolt umgebracht? Wie schnell wurde das verleumderische Gassengeschwätz zu einer ernst zu nehmenden Bedrohung! Dann war es nicht mehr weit, bis der Erste sie bei der Obrigkeit denunzierte.

      Figen zog den Mantel enger um sich und lief geschwind weiter. Nie könnte sie einen Menschen töten, niemals wollte sie anderen Angehörigen das Leid zufügen, das sie selbst hatte durchleben müssen. Jahrelang hatte das Bild ihrer erblassten Mutter sie bis in ihre Träume verfolgt, und nun war es Bechtolts seelenloses Gesicht, das sie in der Nacht heimsuchte. Sie erschauderte, wollte an etwas anderes denken, hoffte, Seitz würde sie aufheitern.

      Am Haus der Rosenbergs öffnete ihr die Mutter. »Ihr sucht meinen Sohn Seitz, nehme ich an.« Sie zwinkerte ihr zu.

      »Ja«, sagte Figen und blickte zu Boden. Die Frau konnte ihr wirklich direkt ins Herz sehen.

      »Komm. Er ist in der Werkstatt.«

      Figen folgte ihr durch einen dunklen Gang in den hinteren Teil des Hauses. Schon im Flur roch es nach Holz und Talgkerzen. Als sie den Arbeitsraum betraten, war sie beeindruckt von den Dutzenden Laternen, die in einer Reihe an den vier Wänden hingen. Sie sahen alle unterschiedlich aus, einige waren aus Metall, andere aus Holz, einige leuchteten hell, andere spendeten nur wenig Licht. In jeder zweiten brannte eine Kerze. Noch nie hatte Figen einen Raum so hell erleuchtet gesehen. Die Rosenbergs mussten sehr reich sein, wenn sie es sich erlauben konnten, so viele Kerzen gleichzeitig brennen zu lassen.

      Seitz sah auf und lächelte breit. »Figen, was für eine Überraschung! Wollt Ihr mir bei der Arbeit zusehen?« Er nahm ihre Hand und zog sie zu seinem Platz. Er trug eine eng anliegende Strumpfhose und darüber ein Leinenhemd, dessen Verschnürung offen war und einen Blick auf seinen muskulösen Oberkörper freigab. Figen zwang sich, nicht hinzustarren, und fühlte die Hitze in sich aufsteigen.

      »Euch muss man wohl alleine lassen«, sagte seine Mutter und verließ schmunzelnd die Werkstatt.

      Am anderen Ende des Raums schnitt ein jüngerer Bruder eine Hornplatte zurecht. Er hob kurz den Kopf und stellte sich als Georg vor.

      »Seht her«, sagte Seitz. »Das wird der Boden der Laterne.« Er hielt ihr einen hölzernen Kreis hin. »Und das die Oberseite.« Ein zweiter Kreis mit einem Loch darin lag auf der Werkbank. Figen schob mit dem Schuh ein paar Sägespäne zur Seite und trat näher heran.

      Seitz zeigte ihr, wie er die beiden kreisförmigen Holzstücke für eine runde Laterne mit Stäben zusammenstecken wollte. »Hier werde ich die Hornplatten befestigen«, erklärte er.

      Welch ein glückliches Geschick, dass sich aus Holzkanten und Hornplatten ein Gebilde formen ließ, das den Wind ausschloss und das Licht hinauswarf. Damit ließ sich bei Dunkelheit der Weg in den Garten leuchten, falls sie ein paar Kräuter für eine Suppe vergessen hatte, ohne dass ein Luftzug die Flamme auspusten würde. Doch woher sollte sie das Geld für eine Laterne nehmen?

      »Wenn die Bruderschaft auf der nächsten Versammlung zustimmt, werde ich bald wieder als Geselle zugelassen.« Seitz strahlte übers ganze Gesicht. Dann wäre er wieder vollends in das bürgerliche Leben Kölns aufgenommen.

      Nach der Verbrennung von Luthers Schriften vor zwei Jahren auf dem Domhof war der Kampf gegen Luther ein geistiger in Form des gedruckten Wortes geworden. Der Inquisitor Hochstraten hatte dieses Jahr ein Buch herausgebracht, in dem er die lutherischen Irrtümer aufzuzeigen glaubte. Außerdem verhöhnten zahlreiche Flugschriften Luther und riefen die Bevölkerung zur kirchentreuen Haltung auf. Aber es tauchten auch immer wieder Flugblätter auf, die nach lutherischer Gesinnung die Kirche und den Papst als teuflisch darstellten. Nach Seitz’ Verbannung war niemand mehr an den Pranger gestellt worden. Ein gutes Zeichen für ihre Entscheidung, Luthertexte als Lehrmaterial zu nutzen.

      »Und wann werdet Ihr die Meisterprüfung ablegen?«, fragte sie.

      »Puh!« Er pustete sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht. Er trug die Haare heute offen, sie reichten ihm bis über die Schultern. »Ich muss noch fünf Jahre als Geselle arbeiten.«

      »So lange?« Ihr Herz sank. Als Geselle würde er nicht heiraten können. Aber was machte sie sich darum überhaupt Gedanken? Als ältester Sohn des Hauses würde er keine Magd heiraten können, die als Waise vom Lande gekommen war. Vor allem, wenn er gesellschaftlich gerade wieder aufstieg, in den Gesellenstatus zurückkehren konnte und seine Ketzerei langsam in Vergessenheit geriet.

      Seitz nickte ernst. »Ich habe vier Jahre verloren, als ich bei meinem Oheim auf dem Lande bleiben musste. Aber Ihr seid doch sicherlich nicht gekommen, um mich nach meiner Meisterprüfung zu fragen.« Er hob die Augenbrauen und sah Figen verschmitzt an.

      Sie schüttelte den Kopf. »Die Schulstube ist fertig, und ich möchte bald mit dem Unterricht beginnen.«

      »Wunderbar. Wann soll ich meine Schwestern schicken?« Er grinste breit. Wie sie seinen Enthusiasmus liebte!

      »Sie werden als Erste in meinen Bänken sitzen. Aber …« Figen atmete tief durch. »Es sollten noch weitere Mädchen zum Unterricht erscheinen. Und Ihr wolltet doch … also in der Versammlung …«

      Er zwinkerte ihr zu. »Macht Euch darum keine Gedanken. Heute Abend treffe ich mich mit ein paar Freunden

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